Читать книгу Sehnsuchtskarussell - Cleo Maria Kretschmer - Страница 28
Оглавление3. März
Die ersten beiden Monate dieses Jahres sind wie ein Schnellzug vorbeigerauscht, angefüllt mit einer Vielzahl von Abenteuern und Erlebnissen. Neue Personen haben die Bühne betreten, um an der dreiundfünfzigsten Inszenierung meines Lebensschauspiels teilzunehmen. Einige sind in die Pause gegangen, andere haben das Stück für immer verlassen oder ihr angestammtes Kostüm gegen ein Neues eingetauscht.
So wie der verehrte Herr Kardinal zum Beispiel, der seine dramatische Rolle in dem erotischen Vaterdrama gegen die Figur des stolzen Königspudels eingetauscht hat. Von all den Tieren, die ich mir vorstellen kann, passt dieser rosa Hund mit seiner schicken Frisur und dem getrimmten Schwanz am besten zu ihm. Doch ich liebe alle Tiere, egal, ob Dornenvögel oder Königspudel.
Sauer bin ich nur auf meinen Kater. Keine Ahnung, was in dieses Untier gefahren ist. Erst springt er wie ein Bock auf die kleine Maui, schwängert sie, um gleich danach ihr und mir den Rücken zu kehren und nur noch alle paar Tage nach Hause zu kommen, sich den Bauch voll zu schlagen, bitterlich vor sich hinzumosern und gleich wieder zu verschwinden. Kastrieren wäre sicherlich eine gute Lösung, doch dazu müsste ich seiner erst einmal habhaft werden, um eine Zeit, in der auch der Tierarzt zu haben ist.
Jetzt wo die Ranzzeit beginnt, bietet mir dieses schwarze männliche Tier ein gutes Studium für das Verhalten des Mannes in der Balz. Die Honigbiene, mit der ich wirklich über alles reden kann, hat mir einmal erklärt, dass Männer manchmal Phasen haben, wo sie so geil sind, dass sie nur noch an dem Objekt Frau interessiert sind und die Lustbefriedigung das Einzige ist, worum es dabei geht. Er sagte mir, dass es einem Mann dann völlig egal ist, was er erwischt und vögelt, und dass es dann keine Rolle spielt, ob das Objekt der Begierde schwarz oder weiß, dick oder dünn, jung oder alt, schön oder hässlich ist. Wird er auf der freien Wildbahn nicht schnell genug fündig, melkt er sich selbst ab oder rennt ins Bordell, denn das Abspritzen ist seine fixe Idee geworden.
Dies ist beängstigend, denn der Geist dieser armen Menschen scheint tatsächlich den Weg bis ins Gehirn nicht mehr zu finden. Auch mein wahnsinniger Mo-Lee ist inzwischen von Kämpfen mit anderen Katern völlig durchlöchert und sollte sich wenigstens mal ein paar Stunden aufs Ohr hauen, um neue Kraft zu tanken. Na ja, die Männer. Der Druck des Samens scheint oft tatsächlich wie eine Zwangsneurose zu sein. Eines Tages, hoffentlich in Kürze, werde ich große Katzenfrau den kleinen Verrückten schon einfangen und dann sofort zum Onkel Doktor schleppen.
Für uns Menschen beginnt ja in diesem Monat das neue Jahr.
Ein Venusjahr, und die Herzflimmersaison ist eröffnet. Man kann nur hoffen, dass bis zum Frühjahrsbeginn am 20. März der wirklich üppige und hartnäckige Schnee das Feld geräumt hat. Auf der einen Seite sollten wir uns über diese Schneemassen freuen, denn sie bedeuten Grundwasser ohne Ende. Eine Tatsache, die nach dem supertrockenen und heißen Sommer des letzten Jahres nur zu begrüßen ist.
Dennoch küsst es sich ohne Winterklamotten einfach besser.
Der Uranus in den Fischen wird unsere Gefühle ohnehin ganz schön aufmischen, und es prickelt schon jetzt bis unter die Haarspitzen.
In der Astrowoche habe ich heute gelesen, dass am 8. Juni ein Liebeswunder geschieht und wir mit großem Tempo auf ein magisches Ereignis von großer Bedeutung zusteuern, weil die Venus auf die Sonne zurast und ihr an diesem Tag ein schwarzes Schönheitsfleckchen ins lachende Gesicht zaubert. Diese schwarze Venus, die zuletzt vor 120 Jahren ihr Späßchen getrieben hat, soll unsere verborgensten Gefühle zum Vorschein bringen. Da bin ich ja echt mal gespannt.
Alle Tabus zwischen Männern und Frauen sollen fallen, sofern es überhaupt noch welche gibt, und eine gigantische Flutwelle des Verlangens wird über die Erde kommen (hehe). In ihren Bann wird uns diese Ur-Venus schlagen, mit einer Magie, der sich niemand entziehen kann. Na, das klingt ja schon mal sehr spannend. Bisher hatte ich immer geglaubt, dass nur die Ur-Eva, diese Lillith, solche erotischen Zaubereien beherrscht.
Else Lasker-Schüler war auch eine solche Zauberin. Sie webte mit lyrischen Worten Teppiche der Liebe und entführte in selbstgeschaffene Wunderländer. Sie sendete Düfte aus den süßen Gärten zur Nacht, erfüllt vom Hauch sehnender Rosen. Und tausend Lächeln schmeichelten ihrem Gesicht, tausend Sommerwinde streichelten ihre Seele, lenzsüß war ihr Blut, auf Herzwegen pflückte sie ein Bad von Küssen, auch wenn ein Weinen war in der Welt, so, als ob Gott gestorben wäre.
Innig wollen wir sie küssen zum Dank, denn das große blaue Bilderbuch der Sterne hat sie uns geschenkt, an dem Tag, an dem Gott seinen Kindertraum träumte vom Paradies mit seinen zwei Gespielen.
Ich war mal wieder in Madame Renée Rauchalles’ literarischem Salon bei einer ihrer meisterhaften Lesungen.
Selbst Malerin und Künstlerin, hat sie einen Raum geschaffen, wo wundervolle Menschen wie Else Lasker-Schüler, Rose Ausländer, Erich Mühsam, Rainer Maria Rilke, Marina Zwetajewa, Marquise de Pompadour, Christine Lavant, Anna Achmatowa, Nelly Sachs, Sylvia Plath und andere Juwelen eine klar tönende, herrliche Stimme und Präsenz erhalten.
Diese Adresse ist ein kostbarer Geheimtipp. Ich fühle mich jedes Mal reich beschenkt. Jede dieser Lesungen ist zugleich ein Schauspiel, denn Madame Rauchalles erweckt diese Dichter und Literaten wirklich zum Leben, so, als würde sie deren Seelen channeln und in ihrem eigenen Körper für zwei Stunden Platz für die Verstorbenen und doch so Lebendigen machen. Dieser Kreis ist klein und fein.
Rasputin ist zurzeit mein Chauffeur, er durfte also mit, denn ein wenig Kultur kann ihm nicht schaden, dachte ich bei mir. »Mit duftsüßen Scharlachblumen habe ich ihn gelockt, doch er fand Schlaf in einer Wiege.« Zum Glück hat er bei der Lesung nicht allzu laut geschnarcht, dieser kleine schwarze Banause.