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Gefühlssprech

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Ich habe die Masche der nachdenklichen Politiker mit den weichen Themen und dem Gefühlssprech, den sie auch noch Streitkultur nennen, einmal als «Feminisierung» der Politik bezeichnet.7 Denn es hat doch, irgendwie!, etwas Urkomisches: Die persönliche Betroffenheit, früher gern Frauen zum Vorwurf gemacht, wenn sie die Sachlage einmal allzu sehr aus ihrem ureigenen (und angeblich nicht verallgemeinerungsfähigen) Blickwinkel geschildert haben, solche Betroffenheit ist heute zum Markenzeichen just der Politiker geworden, die sich besonders gut auf den Erwerb jenes Kapitals verstehen, das da «Glaubwürdigkeit» heißt. Und die ist, das ist wahr, eine Frage der Darstellung und keine Angelegenheit des Sachverstandes. Es fällt auf, dass sich viele Politiker heute von einem Sprechverhalten getrennt haben, das bislang als männlich galt und das sich durch die strenge Scheidung von privat und öffentlich, Gefühl und Sache, Besonderem und Allgemeinem auszeichnete. Heute reden Politiker und andere öffentlichkeitswirksame Meinungsträger in Talk-Shows und Nachrichtensendungen bevorzugt vom Allerintimsten: von ihren «Ängsten» und ihrer «Betroffenheit», von ihrem Lebensgefühl und ihren Männerfreundschaften. Wo ganz, ganz früher schmallippige Herren in dunklen Anzügen von Pflicht sprachen, Gott und dem Vaterland gegenüber, tun unsere menschelnden Hedonisten heute so, als ob sich die politischen Aufgaben der Zeit schon von selbst erledigten, solange just sie gute Gefühle dabei haben, den richtigen italienischen Wein trinken und von der Freundin gelobt werden.

Womöglich sogar dafür, dass ihr in den 80er Jahren neuerworbener Gefühlssprech so ziemlich dem entspricht, was amerikanischen Autorinnen wie Carol Gilligan oder Deborah Tannen zufolge weibliche Sprechhaltung ist: Frauen sprechen eine «Bindungs- und Intimitätssprache», zielen auf Symbiose, auf umstandsloses Verstehen, auf Gemeinschaft; auf Einverständnis also, auf Konsens. Der klassische Mann hingegen bediene sich einer «Status- und Unabhängigkeitssprache», handele Positionen aus und sei am Ergebnis orientiert, nicht an den Gefühlen dabei.8 Er konkurriert, er setzt sich durch, er vertritt nicht den sanften Relativismus des «anything goes», sondern das, was er für die Wahrheit hält. Wenn das so ist, dann ist männliche Sprechweise von der Bühne öffentlichkeitswirksamer Selbstdarsteller verschwunden. Im Kampf um die Stimmen der Wählermehrheit, nämlich der Frauen, haben sich auch die männlichen Matadore dem angepasst, was ihre klugen Berater dem ewig Weiblichen als angemessen empfinden. So kann man jedenfalls vermuten.

Sicher, es gibt unterschiedliches männliches und weibliches Sprechen, das man mit Deborah Tannen dem öffentlichen Bereich und dem privaten Bereich zuordnen könnte. Womöglich stimmt es auch immer noch, dass entsprechend unterschiedlich auch die Kompetenzen verteilt sind: Männer konkurrieren eher, wähnen sich also stets im öffentlichen Raum, und Frauen kooperieren zu sehr, glauben sich also stets in einer Situation der Intimität und Nähe. Nach ihrer unendlichen Abwertung, zusammen mit allen möglichen anderen angeblichen Charakterzumessungen des «Weiblichen», ist diese Differenz in der politischen Debatte der 80er Jahre im Gegenzug unendlich aufgewertet worden — auch das eine Parodie, ein Klischee des Weiblichen. Nun ist es just das Beziehungsverhalten der Frauen, ihr kooperativer Stil, der nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Raum Geltung beanspruchen dürfe.

Die Welt — ein Wohnzimmer? Noch 1984 zog das «Feminat», der rein weibliche Fraktionsvorstand der Grünen in Bonn, aus, auch das Parlament wohnlicher zu gestalten. Frau merkte bald, dass es im Bundestag eher nicht aufs subjektive Wohlbefinden ankommt.9

Die aufgeschlossene Begründung für diese Präferenz des Weiblichen, die in den 80er Jahren Frauenzeitschriften und Managerschulungskurse beflügelte: das weiblich-kooperative Prinzip sei gut fürs Betriebsklima und vermeide vorzeitigen männlichen Herztod. Nun ja. Die Vorstellung, das Betriebsklima sei der entscheidende Produktionsfaktor — und nicht die materielle Produktion selbst —, entspricht just der Werteausrichtung jener neuen Mittelschicht, die in den 80er Jahren völlig zu Unrecht davon ausging, in einer Dienstleistungs- und nicht in einer Industriegesellschaft zu leben. Mit nachlassender Konjunktur zerrinnt diese Vorstellung, ist vom weiblichen Stil nicht mehr die Rede: Arbeitsmarktreserve hat Ruh.

Der politische Gefühlssprech überlebt, solange es nicht mehr um Dinge oder Sachen geht in der politischen Show, nicht um die Bestimmung von Positionen und Interessen und um das Aushandeln von Kompromissen, schon gar nicht mehr ums politische Argument, sondern höchstens noch um die Frage, ob die hinter einem Argument womöglich verborgene Motiv- und Gefühlsschicht dem moralischen Anspruch der Zuschauer genügt. Wo es sachlich nichts mehr zu entscheiden gibt, also auch kein «Sachzwang» mehr herrscht, bleibt dem politischen Meinungsbildungsprozess nur noch der Rekurs auf die moralische Konkurrenz.

Diese Gesprächs- und Verhaltensmuster zielen auf Konsens und Übereinstimmung, nicht auf Auseinandersetzung, suggerieren Gemeinschaft und gemeinsames moralisches Empfinden. Gemeinschaft setzt indes auf Eingemeindung und Ausschluss, nicht auf — wenigstens punktuelle — Einigungen mit dem, was fremd ist und — vor allem! — auch fremd bleiben darf. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett hat das vor vielen Jahren die «Tyrannei der Intimität» genannt, womit er jene inhaltlose Nähe beschrieb: dass man sich nah ist, wird wichtig — nicht, warum.10

Das intime Sprechen denunziert das Benennen von Sachverhalten als zynisch. Das öffentliche Sprechen über den Golfkrieg in den ersten Monaten des Jahres 1991 exemplifizierte diesen Sprachstil: Der Betroffenheitskultus verbot, über die «Logik» dieses Krieges, d. h. über mögliche interne wie externe Begründungen überhaupt auch nur zu sprechen, denn das hieße ja — natürlich! —, sich auf die Logik dieses Krieges einzulassen. Das aber hätte der ubiquitären weiblichen Friedfertigkeit auch und gerade auf Seiten der Männer widersprochen.

Sind wir Frauen, ist unser «weiblicher Stil» besser fürs Betriebsklima? Also stets da, wo es nichts zu entscheiden gibt? Das ist wohl ein Gerücht. Insbesondere aber steht mittlerweile in Frage, ob wir uns in der etwas größeren Bundesrepublik Deutschland noch allein mit Fragen des Betriebsklimas aufhalten dürfen. Die Appelle an Moral, Gefühl und Wellenschlag entsprachen einem Land, in dem beständig die Verbesserung des Betriebsklimas vorangetrieben wurde, weil ansonsten nicht viel zur Entscheidung anstand. «Streitkultur» ersetzte klassische Konfliktbearbeitungsstrategien. Davon aber scheinen wir, spätestens seit der 1989 eingeläuteten Veränderung der politischen Großwetterlage, wieder die eine oder andere zu brauchen. Womöglich dringend.

Der Betroffenheitskult

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