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Kapitel 6

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Mädchenreden vertraue kein Mann, noch der Weiber Worte.

Auf geschwungnem Rad geschaffen ward ihr Herz, trug in der Brust verborgen.

– Edda, Hávamál, des hohen Lieds 83 –

Er konnte es nicht fassen. Auch wenn sie dreißig Jahre älter geworden war, so hatte sie doch nichts von ihrem Reiz eingebüßt. Ganz im Gegenteil – das Leben, das man ihr durchaus ansah, hatte ihre besondere Ausstrahlung noch um einiges vergrößert. Sie gehörte zu den Menschen, denen die Zeit einfach nichts anhaben konnte. Wieso wunderte er sich darüber? Sie war schließlich eine Hexe. Sagte man Hexen nicht nach, dass sie Raum und Zeit beherrschten? Ein Lächeln stahl sich in seine Züge, was selten passierte. Die ungewohnte Gefühlsregung erstarrte und verflog. Sie war tot. An dem Gift gestorben, das auch ihn um ein Haar nach Walhall gebracht hatte.

Wieder einmal war er dem Tod nahe gekommen, sehr nahe. Er war sicher, beim nächsten Mal würde der Tod gewinnen. Was sie anging, war er wirklich keinen Deut klüger geworden. Ihr gastfreundliches Gehabe, wie hätte er sich gewünscht, dass es ehrlich gewesen wäre. Doch noch als sie ihm zu verstehen gab, dass sie genau wusste, was er suchte, war ihm der Gedanke an so einen perfiden Angriff gar nicht gekommen. Er hatte noch darauf geachtet, dass sie zuerst von dem Tee trank. Dann hatte auch er ein paar beherzte Schlucke genommen und sich über den bitteren Geschmack hinter der Süße gewundert. Es brauchte einige Minuten, bis er ihren Plan erkannt hatte, und da war es schon fast zu spät gewesen. Sein Mund hatte gebrannt, sein Körper gekribbelt und der kalte Schweiß war ihm ausgebrochen. Sofort war er aus der Küche geeilt und hatte sich übergeben. Wie hatte sie die schmerzhaften Auswirkungen des Giftes nur unterdrücken können? Gegen seinen Willen stieg Hochachtung in ihm auf.

Erst nach einer Ewigkeit hatte er sich wieder genügend unter Kontrolle gehabt, um das Telefon bedienen zu können. Seine Leute, die er herbeordert und die das Haus gründlich durchsucht hatten, konnten nichts finden. Rein gar nichts.

Immer wieder dachte er über die Möglichkeit nach, dass sie die Suche vielleicht doch aufgegeben hatte. Aber hätte er dann nicht wenigstens die Aufzeichnung über das Artefakt finden müssen? Nein. Der einzige Grund dafür, dass er gar nichts fand, war der, dass er nichts finden sollte. Ihr Versteck war genial, da war er ganz sicher. Sie hatte ihn überlistet. Das völlige Ausbleiben von Ärger erstaunte ihn. Ihr Venuszauber hatte ihn wohl noch immer im Griff, über ihren Tod hinaus. Nicht dass er je der Typ gewesen wäre, der an so etwas wie Zauberei glaubte. Obwohl … sie hatte ihr Leben für dieses Artefakt gegeben. Ein Artefakt, von dem man annahm, dass es rund zweitausend Jahre alt war. Und wenn ihm wirklich eine so starke Magie innewohnte, wie die Sage behauptete? Er hielt nicht viel von alten Sagen, doch nun erfüllte ihn plötzlich ein geradezu bohrendes Verlangen nach dem Artefakt.

Er stieß die befremdlichen Gefühle mit einem ärgerlichen Schnaufer aus. Ob magisch oder nicht, wenn er das Kleinod fand, stand ihm in der Organisation jeder Weg offen. Kaum jemand wusste, wie dicht Hedera davor gestanden hatte, den Kreis der Geschichte zu schließen. Nur er. Er … und sein Bruder. Das kurze Hochgefühl zerstob. Seit jenem verhängnisvollen Abend vor dreißig Jahren hatte er nichts mehr von Gerfried gehört. Seit dem Abend, an dem man ihn fast getötet hatte.

Es gab viele Dinge in seinem Leben, für die er den Tod verdient hätte. Er war ein kompromissloser Killer. Einzig damals hatte er nichts weiter getan, als sich in eine Hexe zu verlieben. Und er war sicher, dass sie seine Gefühle erwidert hatte. Heute mehr als damals. Ihm war nicht entgangen, wie die Härte in den tannengrünen Augen immer wieder aufbrach und ein Sog von Sanftmut ihn einhüllte. Doch dann hatte sie ihm und sich das Gift eingeschüttet. Er war sicher, die Erklärung dafür war dreißig Jahre alt. Was nur war damals geschehen? Seit damals hatte er sich der Frage verweigert, warum man ihn durch den Wald gehetzt hatte. Hederas Verrat, den er bis heute nicht verstand und den er damals nicht im Mindesten erwartet hatte, war der Grund für diese Weigerung. Ihr Brief, der ihn seinerzeit den Häschern auslieferte, hatte ihn fast das Leben gekostet. Vor einer Woche hatte sie ihn mit einem Tee erneut an die Schwelle des Todes geführt.

Langsam drehte er sich auf seinem teuren Schreibtischstuhl um und blickte durch das Fenster aus kugelsicherem Glas über die verschiedenen Rottöne der Dächer Ilsenburgs. Unten vor dem Haus strebte die stets zornige Ilse durch den kahlen Novemberwald zu Tal.

Es waren einfache Dorfburschen, die in jener Nacht zu Killern wurden. Sein Glück, dass sie es versäumten, ihm die Beine zu brechen. So hatte er sich doch noch bis zur Harzhochstraße schleppen können, wo ihn der Alte aufgelesen hatte. Der nahende Tod hatte ihn nicht halb so verstört wie das Jahr danach, das von Schmerzen und Hilflosigkeit erfüllt gewesen war. Das Sehfeld seines rechten Auges war seither eingeschränkt, und eine von Zeit zu Zeit aufsteigende Taubheit im rechten Arm erinnerte ihn daran, dass man ihm damals den Schädel eingeschlagen hatte. Er hatte die Zeit der Schwäche überwunden. Das Schwert, Gabe seines Vaters und Zeichen seines Ordens, war ihm auf diesem Weg hilfreicher gewesen als jeder Arzt. Seine Ordensbrüder hatten es ihm gebracht, nachdem sie seine und Gerfrieds Studentenwohnung nach diesem verhängnisvollen Abend von allen Zeichen des Ordens befreit hatten. Mit diesem Schwert hatte er seinen Körper so unnachgiebig trainiert, dass es noch heute niemand in seinem Umfeld mit ihm aufnehmen konnte, was ihn mit leisem Stolz erfüllte. Immerhin war er doppelt so alt wie die, die unter seinem Befehl standen. Seine Fähigkeiten sicherten ihm ein solides Salär und der Organisation führte sein Können hervorragend ausgebildete, junge Kämpfer zu. Er unterhielt mittlerweile zahlreiche Kampfsportschulen in ganz Deutschland. Die Organisation war sehr zufrieden mit ihm. Was würden sie erst sagen, wenn er das Artefakt fände?

Sein Blick wurde starr. Hedera war tot. Sie konnte ihm nicht mehr sagen, wo es war. Und doch wusste er, sie hatte es. Um in ihre Denkmuster hinein zu finden, musste er sich den Geschehnissen von vor dreißig Jahren stellen.

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