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Kapitel 5

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Das Volk der Celtae ist hochgewachsen, rotblond und hellhäutig,weil die bräunende Sonne ihren Weg über Alpen und Pyrenäen nicht recht findet.

– Ammianus Marcellinus XV 12,1 –

Während die Küche von der ungewohnten Betriebsamkeit umhereilender Polizisten erfüllt war, hockte Tilla im Flur auf dem Boden. Sie hatte sich das Tuch aus dem langen roten Haar gezogen, das ihr Gesicht nun wie ein Vorhang verdeckte. Paris hatte sich in ihrem Schoß verkrochen.

Die uniformierten Polizisten hatten mehrfach versucht, Tilla ins angrenzende Wohnzimmer zu nötigen, doch sie hatte sich geweigert. Dort waren die Sachen ihrer Mutter, ihr Geruch und ihre Gegenwart. Noch fehlte ihr der Mut, sich dem zu stellen. Sie hatte ihre Mutter im Stich gelassen und fühlte sich zugleich von ihr im Stich gelassen. Ihre Mutter war tot.

»Frau Leinewig …«

»Leinwig«, verbesserte Tilla müde.

»Entschuldigung. Ich bin Andreas Kamenz, Kommissar Kamenz. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

Tilla sah zu ihm auf. Er war kaum älter als sie. Sie stand mühsam auf und sah ihn an.

»Hatte Ihre Mutter Probleme?«

»Probleme?«, fragte Tilla irritiert.

»Nun, Probleme, die zu ihrem Entschluss geführt haben können.«

»Entschluss?«, brüllte sie den überraschten Polizisten an. »Was für einen Entschluss bitteschön?« Paris sprang von ihrem Arm.

Bevor der junge Kommissar ihr antworten konnte, trat ein älterer Mann mit einem Alukoffer von der Küche in den Flur. Er betrachtete Tilla sorgenvoll, nahm seine Brille ab und steckte sie in die Brusttasche seines Jacketts.

»Mein aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust, Frau Leinwig. Ich habe ihre Mutter und ihre Arbeit immer sehr geschätzt.« Dann wandte er sich an den Polizeibeamten. »Es sieht tatsächlich alles nach einer Vergiftung aus. Die Symptome passen zu Aconitin. Sicherheit kann aber nur eine Obduktion geben, die ich in diesem Fall empfehlen würde.«

Andreas Kamenz nickte. »Das werde ich veranlassen. Ich danke Ihnen für Ihr schnelles Kommen, Herr Doktor Rosenberg.«

Der Graugekleidete nickte Tilla noch einmal zu und verließ dann das Haus. Tilla starrte ihm fassungslos nach, während das Wort Obduktion in ihrem Kopf nachhallte.

»Frau Leinwig, auf dem Küchentisch steht ein Gebräu mit einem wirklich ekligen Geruch. Sagen Sie, was ist Aconitum Napellus?«, fragte Kamenz in ruhigem Ton.

Tillas Zorn fiel in sich zusammen. Verwirrt antwortete sie: »Das ist Eisenhut. Wieso?«

»Unsere Leute haben das Kraut im Tee mit dem verglichen, was Ihre Mutter an Kräutern hortete. Es ergab sich eine Ähnlichkeit mit dem Inhalt einer Schublade, auf der Aconitum Napellus stand. Die Lade war herausgezogen und stand auf der Arbeitsplatte vor dem Fenster.« Vorsichtig fügte er hinzu: »Das war es, was ich mit dem Entschluss Ihrer Mutter meinte.«

Tilla starrte den jungen Mann verstört an. Selbstmord? »Hören Sie, das ist völlig unmöglich! Meine Mutter würde niemals …«, begann Tilla fahrig, um dann jedoch verwirrt abzubrechen. Es war ihr einfach nicht möglich, das Unaussprechliche auszusprechen.

»So etwas ist immer besonders schmerzhaft für die Hinterbliebenen«, bemerkte Kamenz leise.

Tilla hätte ihm am liebsten in das vor Mitgefühl triefende Gesicht geschlagen, doch ihre Hand mit den klappernden Armreifen hob sich lediglich, um wirr durchs Haar zu fahren.

»Sie verstehen nicht … meine Mutter ist eine … wir sind … wir haben eine besondere Religion. Selbstmord … stört das Gleichgewicht«, haspelte Tilla, sah aber, dass er nichts davon verstand. Wie sollte er auch. Verzweifelt wedelte sie mit den Armen herum. »Meine Mutter würde sich doch nicht … umbringen. Sie war eine anerkannte Heilpraktikerin. Sie war beliebt. Ich wüsste wirklich nicht, was sie zu einem Selbstmord treiben sollte!«

»War sie vielleicht krank?«

»Krank?«, wiederholte Tilla dümmlich. »Äh, nein. Nicht, dass ich wüsste.«

»Würden Sie es denn wissen?«

Tilla erstarrte.

»Sehen Sie, manchmal verheimlichen die Menschen so etwas. Die Nachbarn sagten, Hedera Leinwig habe allein gewohnt. Sie wohnen also nicht hier? Wann waren Sie zuletzt hier?«

Tilla blickte den jungen Polizisten an. Seiner Frage haftete nichts Vorwurfsvolles an und doch war es ein Vorwurf. Einer, den sich Tilla selbst machte. »Ich … es ist schon etwas her. Ich habe bis vor kurzem in Göttingen gewohnt, wegen meines Studiums. Dann kam der Umzug, da habe ich sie nicht so häufig gesehen.«

Kamenz machte ein zustimmendes Geräusch und zog ein Notizbuch aus seiner Tasche. »Umzug? Und wo wohnen Sie jetzt?«

»In Braunschweig, also in Lehndorf.« Tilla nannte ihm ihre Wohnanschrift.

Während er schrieb, fragte er: »Dieses Aconitum Napellus, Eisenhut, es ist ziemlich giftig, oder?«

Tilla schlang die Arme um den Körper und sagte abweisend »Ja.« Sie wollte nicht mehr reden. Sie wollte hier weg, allein sein.

»Sie konnten mir sofort den deutschen Namen für das Kraut nennen. Verstehen Sie auch etwas von all diesen …« Sein Stift machte eine kreisende Bewegung in Richtung des Zimmers, in dem Hederas Apotheke untergebracht war. »… von all diesen Giftkräutern?«

Sein dunkles Haar war kurz geschnitten und nach hinten gekämmt. Ein paar Strähnen hatten sich dennoch aus der Gelstarre gelöst und standen rebellisch nach vorn. Seine blauen Augen, die zu Beginn des Gespräches noch etwas müde gewirkt hatten, schienen nun wacher und eine Nuance schmaler geworden zu sein.

Tilla begann ihre Antwort abzuwägen. »Nein, ich verstehe nicht viel davon. Pflanzenkunde ist natürlich etwas, mit dem ich aufgewachsen bin, es ist der Beruf meiner Mutter. Sie ist … sie war eine Naturheilkundige. Aber ich hatte nie viel damit zu tun.«

Kamenz Blick ruhte eine Weile auf ihr. »Kann sie sich mit der Dosierung irgendwie vertan haben?«

Tilla antwortete ungehalten: »Man kann sich nicht mit einer Dosierung vertun, Eisenhut ist einfach nur verdammt giftig.«

»Wenn das Zeug so giftig ist, wozu hatte Ihre Mutter dann so etwas?«

Tilla versuchte sich zu erinnern, wozu man Eisenhut einsetzte. »Ich glaube, meine Mutter machte Salbe daraus. Gegen starke Schmerzen.«

»Aha. Ein Tee aus Eisenhut war also eher ungewöhnlich?«

Tilla war verwirrter als je zuvor in ihrem Leben. Nach einiger Zeit antwortete sie mit dünner Stimme: »Ein Tee aus Eisenhut ist absolut tödlich.«

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