Читать книгу Endlich richtig angekommen - Corinna Friedel - Страница 5

Kapitel 3

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Am folgenden Sonntag sind wir zuerst zum Mittagessen bei meinen Eltern eingeladen. Meine Mum, Paula, eine begnadete Köchin, hat ganz regional typisch, Roschdbraden und Schbätzle mit Sooß gezaubert (Rostbraten, Spätzle und Soße). Es schmeckt wie immer himmlisch. Da werden bei mir Kindheitserinnerungen wach, an gemütliche Sonntage mit der Familie. Und einmal mehr wird mir innerlich ganz warm, das werden wir auch bald haben. Eine eigene kleine Familie!

Als wir meinen Eltern nach dem Essen das Ultraschallbild zeigen, fängt meine Mum vor Freude an zu weinen. Mein Dad Matthias, ein graumelierter Herr mit liebenswerten Lachgrübchen, einem Bart und Brille freut sich auch sehr, aber er ist kein Mann der großen Emotionen. Er ist Rechtsanwalt und somit eher bei der Fraktion Zahlen, Daten, Fakten, zuhause. Das macht meine Mum aber wett. Sie hat schon lange von „Enkele“ geträumt, wie sie sagt, und überlegt sofort, welches Zimmer meines großzügigen Elternhauses als Babyzimmer fungieren kann. Und wo im Garten Platz für Sandkasten und Schaukel ist. Nachdem meine Schwester Susanne und ich nicht mehr zuhause leben, hat sie viel ehrenamtlich für die Gemeinde gearbeitet und in der Kreisstadt unter anderem bei der Tafel ausgeholfen. Daher hätte sie jetzt viel Zeit und Liebe für die Enkelchen übrig. Da meine Schwester, ohne Mann und eher der Typ „freier Vogel“ ist, kann meine Mum in der Hinsicht von ihr nichts erwarten. Ich will ihre Euphorie nicht dämpfen, aber erlaube mir doch zu sagen, dass die kritischen 12 Wochen noch nicht ganz um sind und man ja nichts überstürzen braucht. Ich schaue hilfesuchend zu Henry. Das geht mir alles zu schnell! Der hat allerdings, anstatt mich zu unterstützen, schon einen Meterstab aus seiner hinteren Hosentasche gezaubert - warum um alles in der Welt hat er den zum Sonntagsessen bei den Schwiegereltern dabei? - und folgt meiner Mum freudestrahlend, als er das Wort „Umbau“ hört. Er ist in seinem Element. Mein Dad und ich sitzen eine Weile stumm am großen Eichenholzesstisch zusammen.

„Ich freu mich sehr für dich Josi. Henry und jetzt noch ein gemeinsames Baby. Mein Mädchen wird erwachsen“. Er sieht mich an und lächelt wehmütig.

„Ach Papa, ich bin schon lange erwachsen das weißt du doch. Und du wirst ein toller Opa sein“. Ich nehme in fest in den Arm.

Als wir uns einige Zeit später verabschieden und in Richtung meiner Schwiegereltern fahren, sie leben zwei Ortschaften weiter, habe ich ein flaues Gefühl im Bauch. Nicht, dass ich sie nicht mögen würde, Gott bewahre. Ich finde sie höchstens ein bisschen, naja, eigen. Henrys Mutter Pauline ist Künstlerin. So mit Atelier und allem Drum und Dran. Sie malt abstrakte Bilder mit geheimnisvollen Farbverläufen und fertigt Skulpturen. Die meisten zeigen zwei, oder mehr, ineinander verschlungene Körper. Und sie sind bunt. Ziemlich cool auf jeden Fall. Pauline ist unkonventionell, extrovertiert – ein Paradiesvogel. Das klingt alles ganz gut, meinen Sie? Das stimmt. Sehr anstrengend allerdings ist die Tatsache, dass sie immer der Meinung ist, den ultimativen Blick auf die Dinge zu haben. Um es mal nett zu formulieren. Man könnte auch sagen, sie weiß immer alles besser!

Mein Schwiegervater Peter ist Illustrator für ein Politmagazin. Er ist das was man wohl als „Alten Hippie“ (nicht im Bezug aufs Alter natürlich) bezeichnet. Lange graue Haare zum Zopf gebunden, zerrissene Jeans und Schlappen. Im Winter werden die Schlappen gerne mit gestrickten, bunten Wollsocken kombiniert. Die Gedanken sind frei, lautet sein Motto. Er ist tiefenentspannt und lässt sich nie aus der Ruhe bringen.

Als wir auf Henrys Elternhaus zufahren, muss ich mich zusammennehmen, um nichts Abfälliges zu äußern. Ich hab’s halt gerne ordentlich, wie meine Mum. Unterschiedlicher könnten unsere Eltern nicht leben. Seine Eltern sind immer so unkonventionell, mit allem beschäftigt, dass eher keine Zeit bleibt für die konventionellen Dinge, wie Gartenpflege. Das Haus ist an sich sehr schön. Fachwerk mit roten Holzläden. An der Vorderseite wuchert Efeu und wilder Wein, bis fast unters Dach. Der Garten, zweifelsohne ein Paradies für Insekten, ist schwer begehbar. Diverse Sträucher und Bäume versuchen das durch enormes Wachstum zu verhindern.

Als Pauline die Tür öffnet versuche ich einen erschreckten Schrei zu ersticken. Dieser Look ist neu! Nicht, dass das an sich ungewöhnlich ist. Sie probiert sich gerne aus. Es vergeht kein Monat, in dem sie sich nicht fast komplett neu erfindet. Rote kurze Haare, lange blaue Haare, diverse Kleidungskombinationen, alles war schon dabei. Aber heute ist es besonders gruselig. Ein Undercut auf der einen, Flechtwerk auf der anderen Seite, ziert ihren Kopf. Dazwischen schimmert blaue Farbe, mit gelb gemischt. Am Körper trägt sie eine Art indischen Sari, aus Taft in Regenbogenfarben. Diese Farben hat sie offensichtlich auch versucht an den Augenlidern aufzugreifen. Alle! Es sieht ein bisschen aus wie ein Unfall. Hämatomartig! Auf jeden Fall weder besonders gesund noch besonders gut. Aber das ist nur meine persönliche Meinung. Muss jeder selbst wissen!

Als wir gemeinsam am Couchtisch sitzen - der Esstisch ist von etlichen Unterlagen und diversen Katzen (Peterle, Mizele und Susele) - belagert, versuche ich mich nicht in diesem künstlerischen Chaos umzusehen.

Es gibt Kaffee - eine Tasse am Tag darf ich ja - und etwas das wohl ein Hefezopf hätte werden sollen. Es sieht leider mehr nach Küchenunfall aus. Teigig, weiß, schaut uns das Hefemonster an. Ich beschließe spontan, dass ich keinen Appetit mehr habe.

„Greift zu ihr lieben, ich hab heute mal einen echten schwäbischen Hefezopf ausprobiert“, freut sich Pauline. „Altes Familienrezept“, zwinkert sie mir verschwörerisch zu und klatscht begeistert in die Hände. „Ihr wisst ja, wie gerne ich mich ab und zu in der Küche austobe, das kurbelt meine Kreativität an. Ich besuche seit neustem einen Backkurs, weisch Josi, von einem Blogger. Das sind die ...“ „Äh ja, Pauline super“, grätsche ich dazwischen, sonst dauert der Vortrag sehr lange. „Ich weiß was Blogger sind, das ist sicher großartig“, lächle ich sie unschuldig an.

Henry nutzt den Moment. „Wisst ihr, wir müssen euch etwas wichtiges erzählen.“ Er schiebt das Ultraschallbild unserer kleinen Bohne auf den Tisch. Sein Vater gibt ein leises, glucksendes Lachen von sich „Gugg mol Pauli, des sieht aus wie die Bilder von unsere Katzenjunge, von der Susele, findsch ned?“ Er schiebt das Bild zu Pauline rüber.

Wie bitte, denke ich, Katzenjunges? Das hier ist ein wunderschönes, einzigartiges Bild unseres Wunschbabys „Böhnchen“. Es wird ein Vorzeigebaby! Einmalig, klug, schön! Ich will grade etwas erwidern, als Pauline einwirft, „Herzlichen Glückwunsch ihr beiden! War das geplant oder eher ein klitzekleiner Unfall?“ Neugierig schaut sie uns an.

„Nein Mama, selbstverständlich ist das ein Wunschkind, oder denkst du wir sind zu blöd zu verhüten?“, gibt Henry missmutig zurück.

„Da wärt ihr nicht die ersten“, gibt Pauline zu bedenken. „Das hat ja nicht unbedingt mit blöd zu tun. Ich habe erst neulich auf einem Blog gelesen…“, weiter kommt sie nicht, Peter fällt ihr ins Wort.

„Du haschs gehört Pauli, es war gebland. Und mehr muss mer jetzt ned wissen“, kontert Peter in seinem breiten schwäbisch.

Dankbar nicke ich ihm zu. Vergessen ist sein blöder Kommentar mit den Katzenbabys.

„Aber euch isch klar, dass wir keine typische Oma und Opa sind. Wir sind halt nicht wie deine Eltern, Josi. Wir haben so viele unterschiedliche Hobbys und Interessen. Da können wir wirklich nicht dauernd auf euer Babyle aufpassen, gell Peter?“ Sie schaut ihren Mann stirnrunzelnd an als er nicht direkt nickend zustimmt.

„Ja, na ja“, gibt Peter brummend von sich. „Ab und zu werde mer schon nach dem Poppele schaue könne“, meint er lächelnd. „Ja, ab und zu“, fällt Pauline ein, „aber das heißt bitte schön nicht, dass wir permanent Zeit hätten. Ist ja auch egal, ich muss dir was ganz Wichtiges erzählen Henry.“ Ihr Blick hat etwas Sensationsgieriges an sich. Das gefällt mir nicht. „Rate, wen ich wieder getroffen hab?“

Sie wartet Henrys Antwort nicht ab, sondern spricht atemlos weiter, „die Heike und die Nea. Ja, da schaust du! Genau die Nea! Wir hatten uns ja vor einigen Jahren aus den Augen verloren, die Heike und ich. Aber jetzt hab ich einen Yoga Kurs angefangen. Heike und Nea leiten ihn, beide sind ausgebildete Yogameisterinnen. Es ist so toll, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Ich hab mich selten so gut und wohl gefühlt. Naja, auf jeden Fall sind die beiden jetzt für ein paar Monate hier im Ländle. Und der Kurs, also Josi, da solltest du unbedingt mal mitkommen, grade jetzt ist es ja umso wichtiger, dass du „in shape“ bleibst, wie man so schön sagt.“ Sie fährt mit den Händen ihre Hüfte nach, als sie das sagt.

Sie lacht glockenhell auf, als hätte sie mir das netteste Kompliment ever gemacht, und schaut mich ganz unschuldig an. Mir ist schlagartig übel! Und das liegt nicht alleine am Hefeteigmonster, das mich immer noch anzuglotzen scheint. Es liegt tatsächlich an der Erwähnung von Henrys ehemaliger Sandkastenfreundin: Nea. Typ: schmal, blond, athletischer Körper und vor allem eines – hinterhältig! Und hinter Henry her. Der das leider nicht begriffen hat, bevor sie vor einigen Jahren dann dankbarer Weise aus unserem Leben verschwunden ist. Ich hoffe einfach, dass wir um eine Begegnung herumkommen. Ich schaue Henry von der Seite an, denn als ich sehe, wie er sich freut, fällt mir seine Reaktion von vor ein paar Tagen wieder ein.

„Oh, das ist ja eine Überraschung! Die Nea. Nach so langer Zeit. Wir sollten mal alle zusammen essen gehen, das wäre sicher nett.“ Henry strahlt mich an. „Oder, Schatz? Ist doch schade, dass wir uns damals aus den Augen verloren haben. Wir haben uns immer gut verstanden.“

Ja, denke ich für mich. Super haben wir uns verstanden. Vor allem ich und sie. Kommunikation zwischen den Zeilen. Das hatten wir perfektioniert. Augenscheinlich haben wir nett geplaudert, aber in Wahrheit wurde eine Spitze nach der anderen ausgeteilt.

Als wir uns endlich verabschieden können, ist es schon Abend. Ich bin so müde, ich will nur noch auf die Couch. Der Tag hat mich geschlaucht, die Erwähnung des Namens Nea auch. Vielleicht tut die Schwangerschaft ihr übriges.

Auf der Heimfahrt muss ich aber eine Sache noch abklären.

„Henry, deine Kollegin, die du letztens meintest gesehen zu haben, das könnte nicht zufällig Nea gewesen sein?“

Henry atmet schwer ein, bevor er antwortet „ich glaubte sie gesehen zu haben, ja“, gibt er leise zu. „Ich hätte nach so langer Zeit nicht damit gerechnet, deshalb war ich so perplex. Außerdem weiß ich ja, dass du damals, kurz bevor sie wegzogen, einige Vorbehalte gegen sie hattest. Da wollte ich den Moment nicht verderben, nachdem wir doch grade erfahren haben, dass es unserem wundervollen Wunschkind, gut geht.“ Sein liebevoller Blick streift mich an der Seite.

„Da sie ja jetzt wohl tatsächlich einige Zeit wieder da ist, wäre es doch schön, wir könnten die Differenzen zwischen euch begraben und alles wird wieder so harmonisch wie früher“, wirft Henry noch ein.

Super! Ich wollte das Thema eben begraben, jetzt muss er nochmal nachlegen. Ich will das Biest auf keinen Fall sehen – grummel!

Endlich richtig angekommen

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