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TITEL: ERINNERUNGEN VON MARÍA DELS ÀNGELS GUIRAO HUERTAS
ART: LEICHTE SPRACHE
AUTORIN: MARÍA DELS ÀNGELS GUIRAO HUERTAS
KAPITEL 1: VORSTELLUNG
STÄWO bedeutet: Städtisches Wohnheim für geistig Behinderte.
Man sagt nicht: Sie haben mich im STÄWO eingesperrt.
Man sagt auch nicht: Sie haben mich ins STÄWO gesteckt.
Man sagt: Sie haben mich eingewiesen.
Und wenn man das sagt
muss man nicht mehr STÄWO sagen.
Vorher war ich nicht in einem STÄWO eingewiesen.
Ich war in einem LÄWO eingewiesen.
LÄWO bedeutet:
Ländliches Wohnheim für geistig Behinderte.
Das war in der Nähe von Arcuelamora.
Arcuelamora ist mein Dorf.
Meine Mutter ist gestorben.
Die Bank hat das Haus von meiner Mutter behalten.
Darum bin ich eingewiesen worden.
Meine Mutter hatte Nießbrauch auf Lebenszeit an dem Haus.
Nießbrauch auf Lebenszeit bedeutet:
Du und deine Kinder dürfen an dem Ort leben
bis ihr tot seid.
Im gleichen Jahr behielt die gleiche Bank
den Club Los Maderos.
Die Prostituierten hatten keinen Nießbrauch
auf Lebenszeit.
Ich zog dann zu meinem Onkel Joaquín.
Nach drei Monaten kam die Sozialarbeiterin.
Sie heißt Mamen oder Doña Mamen.
Sozialarbeiterin bedeutet:
Sie hilft Menschen die von gesellschaftlicher Ausgrenzung bedroht sind.
Gesellschaftliche Ausgrenzung bedeutet:
eine Person bettelt
oder sie ist kriminell
oder sie ist drogenabhängig.
Oder sie hat keine Wohnung.
Ich fragte Mamen:
Bin ich eine Person
die von gesellschaftlicher Ausgrenzung bedroht ist?
Sie sagte mir: Leider ja.
Ich fragte warum.
Sie sagte: Weil du besondere Bedürfnisse hast.
Und weil es bei deinem Onkel nicht mal ein Badezimmer gibt.
Ich sagte ihr: Kein einziges Haus in Arcuelamora
hat ein scheiß Badezimmer.
Außer Los Maderos.
Sind die Nutten als Einzige in ganz Arcuelamora
nicht von gesellschaftlicher Ausgrenzung bedroht?
fragte ich Mamen.
Sie sagte: Ich bin hier
um über dich zu sprechen
und über niemanden sonst.
Sie sagte mir auch:
Man sagt nicht Nutte.
Man sagt Prostituierte.
Und man sagt nicht Scheiße.
Man sagt Scheibenkleister.
Denn wenn du Schimpfwörter sagst
bist du noch mehr
von gesellschaftlicher Ausgrenzung bedroht.
So lernte ich das Wort Prostituierte.
Mamen hat viele Interviews mit mir gemacht.
Ein Interview ist wie in den Zeitschriften
oder im Fernsehen.
Nur bei dir zu Hause.
Sie kam oft in das Haus von meinem Onkel.
Manchmal kam sie am Vormittag
und manchmal kam sie am Nachmittag.
Manchmal kam sie im Winter.
Manchmal im Sommer.
Manchmal im Frühling und
manchmal im Herbst.
Aber die Interviews waren sehr langweilig.
Mamen hat mir immer die gleichen Fragen gestellt.
Einmal hat Mamen mir einen Schlafanzug geschenkt.
Und einmal hat sie mir einen Pullover geschenkt.
Sie sind schon kaputtgegangen.
Eines Tages hörten die Interviews auf.
Wir sind nicht mehr alleine spazieren gegangen.
Das hatten wir oft gemacht.
Und Mamen ist auch nicht mehr in den Gemüsegarten gekommen.
Im Gemüsegarten haben mein Onkel Joaquín und ich
Bohnen geerntet
oder Äpfel.
Oder wir haben gepflügt.
Oder wir haben der Agustinilla Futter gegeben.
Die Agustinilla ist die Stute von meinem Onkel.
Mamen ist auch nicht mehr kurz vor die Tür gegangen
um mit den Nachbarn frische Luft zu schnappen.
An diesem Tag wollte Mamen mit meinem Onkel
und mit mir
ins Haus gehen.
So haben wir es im Winter manchmal gemacht.
Aber es war Sommer.
Und wir sollten uns setzen.
Mamen wollte uns eine wichtige Sache sagen
und zwar allein.
Aber es war nicht nur eine Sache.
Es waren 4:
1) Das war die erste Sache
die sie uns gesagt hat:
Die Regierung kann mir eine Rente zahlen.
Regierung bedeutet: die Politiker im Fernsehen
oder die Leute die ein Fest eröffnen.
Rente bedeutet:
Sie geben dir jeden Monat Geld.
Aber um das Geld zu bekommen
musst du ein Konto bei einer Bank haben.
Ein Konto bei einer Bank bedeutet:
Die Regierung gibt das Geld der Bank.
Danach gibt die Bank das Geld dir.
Wir haben für mich ein Konto bei einer Bank gemacht.
Es war die Bank
die mein Haus behalten hat
und die Bank
die das Haus von den Prostituierten behalten hat.
Denn die Bank war die einzige Bank in Arcuelamora.
Diese Bank heißt BANCOREA.
BANCOREA bedeutet: Bank der Región de Arcos.
Jeder weiß was eine Bank ist.
Und was die Región de Arcos ist.
Ich muss das nicht erklären.
2) Das war die zweite Sache
die Mamen uns gesagt hat:
Ich kann im LÄWO in Sommorrín wohnen.
Somorrín ist ein Dorf.
Es ist größer als mein Dorf.
Mit dem Auto ist es nah.
Dort sind die Ärzte
und dort sind die Läden
und dort ist die Schule
und dort ist die BANCOREA
und dort ist das Rathaus.
Das Rathaus ist da wo die Politiker aus dem Dorf sind.
Mit dem Fahrrad oder mit dem Fuhrwerk
ist Somorrín nicht so nah.
Aber mich haben sie immer im Auto hingefahren.
3) Das war die dritte Sache
die Mamen uns gesagt hat:
Das LÄWO behält dann jeden Monat fast das ganze Geld
von meiner Rente.
Ich soll das dem LÄWO erlauben.
Dann bezahlen sie mit dem Geld mein Zimmer
und sie bezahlen meine Kleidung
und mein Essen
und mein Badezimmer
und meine Ausflüge am Wochenende
und alles was ich zum Leben brauche.
Mamen hat gesagt:
Mit dem Rest von deinem Geld kannst du machen was du willst.
Ich habe gesagt:
Na so ein Glück Doña Mamen.
Mamen hat gesagt:
Nenn mich doch nicht Doña Liebes.
Wir sind doch jetzt Freundinnen.
Und ich bin nur sechs Jahre älter als du.
Da war ich 18 Jahre alt.
Und Mamen war 24 Jahre alt.
Jetzt bin ich 43 Jahre alt.
Und Mamen ist wenn sie nicht gestorben ist 49 Jahre alt.
Wenn ich 49 Jahre alt bin
ist sie wenn sie nicht gestorben ist 55 Jahre alt.
Und immer so weiter.
Wenn keine von uns wegstirbt.
Ab da habe ich zu Doña Mamen
einfach nur Mamen gesagt.
Meine Cousine Patricia hat nicht Mamen gesagt.
Patricia hat »die Mamen« gesagt.
So wie Patricia zu mir auch »die Àngels« sagt.
Zu ihrer Schwester sagt sie »die Nati«.
Zu ihrer anderen Cousine sagt sie »die Marga«.
Zu dem Chinesen von unten sagt sie »der Ting«.
Sie setzt einfach ein »die« oder ein »der« vor jeden Namen.
So wie es die Katalanen machen
wenn sie Katalanisch sprechen.
Und manchmal auch wenn sie Spanisch sprechen.
Weil so was hängenbleibt.
Aber meine Cousine Patricia ist keine Katalanin.
Und sie kann auch kein Katalanisch.
Ich bin Katalanin von der Seite meiner Tante her.
Ich heiße Ángela.
Ángela heißt auf Katalanisch Àngels.
Jetzt lebe ich in Katalonien.
Und ich muss mich in die katalanische Gesellschaft integrieren.
Ich muss ihre besondere Sprache respektieren
damit die Katalanen meine
besonderen Bedürfnisse respektieren.
Darum sage ich in Barcelona:
Ich heiße Àngels.
Das ist keine Lüge.
Das ist nur eine Übersetzung.
Auf Katalanisch kann man »die Àngels« sagen
oder »die Marga« oder »die Nati«.
Aber auf Spanisch nicht.
Auf Spanisch klingt das sehr hässlich.
Es klingt nach schlechter Erziehung.
Wenn Patricia »die Mamen« gesagt hat
dann hat sie immer den gleichen Scherz gemacht.
Der ging so:
Wenn ein anderer Eingewiesener etwas von ihr wollte
oder wenn er sich über etwas beschwerte
oder wenn er etwas brauchte
dann sagte Patricia zu ihm:
Schade Schokolade scheiß auf die Mamenlade.
Weil Patricia »Schade Schokolade scheiß auf die Mamenlade«
gesagt hat
deshalb wurde Patricia oft bestraft.
Sie durfte nicht fernsehen.
Sie bekam kein Geld.
Sie durfte keinen Spaziergang machen am Sonntag.
Ich habe ihr gesagt:
Sag das besser nicht mehr.
Und sie hat auf mich gehört.
Und sie hat sich besser benommen.
Sie hat nicht mehr die Mamen oder Mamen gesagt.
Sie hat Doña Mamen gesagt.
Und da hat Mamen nicht gesagt:
Nenn mich doch nicht Doña Mamen Liebes.
Damals war Mamen 34 Jahre alt.
Denn ich war 28 Jahre alt.
Und Patricia war 18 Jahre alt.
Patricia war gerade erst eingewiesen worden.
Sie kannte die Regeln noch nicht so gut.
Ich glaube:
Mamen gefiel Doña.
Denn Mamen war nicht die Freundin von Patricia.
Und Mamen war schon die Direktorin vom LÄWO in Somorrín.
Direktorin bedeutet: Sie ist die Bestimmerin
und sie hat das größte Büro.
Einmal sagte ein Eingewiesener:
Ich finde den orangen Wachsmaler nicht.
Und Patricia sagte zu ihm:
Schade Schokolade scheiß auf Doña Mamenlade.
Ich habe den Namen von diesem Eingewiesenen vergessen.
Ich weiß aber noch: Er hat das Fragiles-X-Syndrom.
Das Fragiles-X-Syndrom ist eine schwierige Sache.
Ich weiß: Nur wenige wissen was das Fragiles-X-Syndrom ist.
Ich kann das jetzt nicht erklären.
Es würde zu lange dauern.
Ich will nur sagen: Von da an
haben sie Patricia die Pillen gegeben.
Denn sie haben gesagt:
Patricia ist verhaltensauffällig.
Das von Patricia und das mit dem Fragilen X
sind Abschweifungen.
Abschweifen bedeutet:
Mitten in einer Geschichte
fängt man eine andere Geschichte an.
In Leichter Sprache sollen wir nicht abschweifen.
Denn das macht es schwieriger
die Hauptgeschichte zu verstehen.
Die Hauptgeschichte in diesem Text
ist meine Geschichte.
Ich muss noch die vierte Sache erklären
die Mamen gesagt hat.
Zu meinem Onkel und zu mir.
Das war nämlich die wichtigste Sache.
Ich schreibe in Leichter Sprache.
Und wenn du in Leichter Sprache schreibst und glaubst:
die Leute verstehen ein Wort nicht
dann musst du das Wort erklären.
Du musst alle Wörter erklären
die schwierig sind oder die unbekannt sind.
Darum sollte ich jetzt erklären:
Fragiles-X-Syndrom
verhaltensauffällig
und Leichte Sprache.
Aber dann schweife ich noch 3 Mal ab.
Ich sehe jetzt: Hier gibt es ein Problem.
Und die Leitlinien für Materialien in Leichter Sprache
der Abteilung Bibliotheksservice
für Menschen mit besonderen Bedürfnissen
können das Problem nicht lösen.
Gut.
Ich sage es meiner Betreuerin
in meiner Selbstvertretungsgruppe
am Dienstagnachmittag.
Aber bis dahin mache ich so weiter wie ich denke.
Ich erkläre jetzt nicht
was Richtlinien bedeutet
oder was Bibliotheksservice bedeutet
oder was Betreuerin bedeutet.
Okay?
Ich erkläre jetzt nur
was Selbstvertretungsgruppe bedeutet.
Denn das ist eine sehr wichtige Sache.
Es ist nicht die gleiche wichtige Sache
wie das mit der Nummer 4
was Mamen zu meinem Onkel und zu mir gesagt hat.
Aber sie ist auch wichtig.
Ich schreibe diese Geschichte.
Und darum entscheide wohl ich was wichtig ist
und was Abschweifen ist.
Auf Seite 19
in den Leitlinien für Materialien in Leichter Sprache
steht es ganz klar:
»Beschränke die Freiheit des Autors nicht zu sehr.«
Und etwas später steht da noch eine Sache.
Diese Sache verstehe ich nicht ganz.
Denn ich glaube: Sie sagt ungefähr das Gleiche.
»Sei nicht dogmatisch.
Lass die Fiktion Fiktion sein.«
Ich glaube: Fiktion ist Science-Fiction.
So wie »Avatar« und »Krieg der Sterne«.
Und das finde ich sehr gut.
Also mache ich mein Ding.
Selbstvertretungsgruppe bedeutet:
Eine Gruppe aus erwachsenen Menschen
die eine geistige Behinderung haben
oder die besonderen Förderbedarf haben.
Und sie treffen sich 1 Mal in der Woche
um 6 Dinge zu tun:
1) Fähigkeiten der Kommunikation erwerben.
2) Größere persönliche und soziale Autonomie erlangen.
3) Ihre Möglichkeiten verbessern, für sich selbst zu sprechen und zu entscheiden.
4) Lernen, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen.
5) Lernen, am Vereinsleben teilzunehmen.
6) Über Themen diskutieren, die sie interessieren.
Ich erkläre jetzt nicht
was geistige Behinderung bedeutet
oder was besonderer Förderbedarf bedeutet
oder was Vereinsleben bedeutet.
Okay?
In Leichter Sprache
soll man kurze Sätze schreiben
Oder man soll die Sätze selbst kürzen.
Denn so liest du schneller.
Und du wirst beim Lesen nicht so schnell müde.
Auch beim Schreiben wirst du nicht so schnell müde.
In Leichter Sprache soll man den Text nicht einrücken.
Man soll den Text auch nicht als Blocksatz formatieren.
Das hat nichts mit dem Rücken zu tun oder mit Blockaden.
Es bedeutet:
Alle Zeilen fangen zusammen an.
Alle fangen auf der linken Seite vom Blatt an.
Das bedeutet: nicht einrücken.
Und die Zeilen gehen immer nach rechts.
Darum muss man jede Zeile so lang lassen
wie sie eben ist.
Manche Zeilen sind länger.
Und manche Zeilen sind kürzer.
Der Text wird kein perfekter Kasten.
Das bedeutet: nicht als Blocksatz formatieren.
Es gibt einen Test.
Mit dem Test kann man überprüfen
ob ein Text ein guter Text in Leichter Sprache ist:
Man dreht die Seite um.
Dann muss es aussehen
als ob die Sätze Gras sind
oder als ob die Sätze Berge sind
oder als ob die Sätze
Hochhäuser in einer großen Stadt sind.
Wie im Film.
Es gibt noch viel mehr Leitlinien für Leichte Sprache.
Ich lerne sie gerade.
Und ich glaube: Ich mache das gut.
Meine Betreuerin in der Selbstvertretungsgruppe hat mir gesagt:
Mach weiter so.
Dann kannst du ein Buch über dich schreiben.
Und du kannst das Buch in einem Verlag veröffentlichen.
Veröffentlichen bedeutet:
Die Buchläden haben das Buch.
Und die Buchläden verkaufen das Buch.
Dann können andere es lesen.
Dann bin ich eine Autorin.
Und ihr seid meine Leser.
Das ist stark.
Das ist das Stärkste
was mir in meinem ganzen scheibenkleister Leben passiert ist.
Seit meine Betreuerin Laia mir das gesagt hat
denke ich an nichts anderes mehr.
Ich lerne den ganzen Tag lang die Leitlinien
für Materialien in Leichter Sprache
der Abteilung Bibliotheksservice
für Menschen mit besonderen Bedürfnissen.
Diese Abschweifung war sehr lang.
Die Leitlinien sagen:
So kann dieses Material nicht veröffentlicht werden.
Das macht mich ein bisschen wütend.
Denn ich habe 4 Tage dafür gebraucht.
Aber ich weiß auch:
In den Filmen machen die Autoren viele Papierkugeln
aus vielen Seiten
die sie nicht veröffentlichen können.
Die Papierkugeln werfen sie in den Papierkorb
wie Bälle beim Basketball.
Ich möchte diesen Satz zu Ende schreiben
und das Handy an den Computer anschließen
und alles runterladen
was ich geschrieben habe.
Alle Abweichungen
die ich nicht veröffentlichen kann.
Ich möchte sie ausdrucken
und eine Papierkugel daraus machen
und ich möchte die Papierkugel
in den Müll werfen.