Читать книгу Leichte Sprache - Cristina Morales - Страница 15

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Ein Porté, das aus dem Stegreif glückt, kommt einem überraschenden Kuss am nächsten. Einem überraschenden ersehnten Kuss. Man kann Porté oder Porte sagen. Im Unterricht verwenden wir im Plural normalerweise den spanischen Ausdruck, Portes machen. Im Singular sagt man es üblicherweise auf Französisch, also ein Porté machen. Es gibt auch spanische Tanzlehrer, die zu Hebungen Cogida sagen, von coger, nehmen: Jetzt machen wir Cogidas, was für eine gute Cogida, passt auf, wenn ihr aus diesen schwierigen Cogidas herausgeht. Diese Bezeichnung finde ich wegen ihrer sexuellen Konnotation am passendsten, denn Portes sind ganz eindeutig mehr oder weniger lange, mehr oder weniger ausgekostete Küsse, mit oder ohne Zusammenstoßen der Zähne, und mir gefällt der Gedanke, dass spanische Tänzer, die in ihrem Unterricht »Cogidas machen« sagen, das in dem Wissen tun, dass eine Cogida ein lateinamerikanischer Fick ist, und damit ihren Schülern Schlüpfrigkeit einflüstern, aber nach zehn Jahren Tanz kann ich versichern, dass kein spanischer Tänzer aus diesem Grund Cogida sagt, sondern sie sagen das einfach nur, weil Porte oder Porté in ihren Ohren nach verstaubtem klassischen Ballett klingt. Lateinamerikanische Tänzer sagen blöderweise nicht Cogida, dabei wäre es so naheliegend. Tanz ist leider ein sehr konservatives Geschäft.

Das antwortete ich bei dem Treffen der Selbstvertretungsgruppe, zu der Patricia und Ángela jeden Dienstag gehen und zu der ich mitgehen musste – ich war aber nur wegen Marga dabei, die es einfach draufhat, ehe du dich versiehst, hat sie dich flachgelegt –, auf die Frage, was ein Porté ist. Marga ist diesen Quatsch mit der Selbstvertretungsgruppe los, weil sie jetzt ganz offiziell depressiv ist. Sie musste einige Wochen um die Diagnose der Psychiaterin kämpfen, und gestern hat sie sie endlich bekommen, trotz aller Berichte der Psychologin und der Sozialarbeiterin, die meinten, dass Marga sehr heißblütig sei und dass der schwüle Sommer die Frequenz ihrer exhibitionistischen Episoden steigern würde, über welche sich die Leute amüsieren oder entsetzt sind oder wegen der sie die Polizei rufen und die nur in wenigen Einzelfällen in einem der Sexualkontakte enden, die aber Margas eigentliches Ziel sind, und wenn sie das nicht erreicht, schließt sie sich in ihrem Zimmer ein und masturbiert mit allem, was sie zwischen die Finger kriegt. Die Therapie, die ihre Psychologin Laia Buedo und die Sozialarbeiterin Susana Gómez vorschlugen, bestand natürlich in einer Gehirn- und Vaginalwäsche: häufigere Teilnahme an den geselligen Freizeitaktivitäten, die von den lokalen und regionalen STÄWOs organisiert wurden, darunter das Treffen der Selbstvertretungsgruppe am Dienstag, weil dort Einheiten zur Sexual- und Fortpflanzungserziehung dazugehörten, um auf diese Weise Margas Interaktion mit Leuten ihres Alters und aus ihrem Umfeld zu fördern und die Etablierung einer gesunden intimen Beziehung mit einem Kameraden oder einer Kameradin zu begünstigen.

Zum Glück für meine Cousine und für die Unterwerfung dieses therapeutischen Faschismus bestand die vom medizinischen Faschismus – also der Psychiaterin – vorgeschlagene und letztlich durchgesetzte Therapie in einer Tablette Tripteridol alle zwölf Stunden für die Dauer von zwei Monaten und darin, dass Marga zu nichts gezwungen wurde, was sie nicht tun wollte, wenn das Pharmazeutikum erstmal seine zähmende Wirkung entfaltet hätte. Und weil die Sozialarbeiterin schon so ein Gesicht gezogen hat, als ich letztens um zehn Uhr morgens nach Hause kam und in ihre Erklärung platzte, wie man das Brot mit Butter bestreicht, und weil Patricia und Ángela jedem in den Arsch kriechen, um bloß die betreute Wohnung nicht zu verlieren, lassen sie mich jetzt nicht aus den Augen und Marga in Ruhe, die das Tripteridol ansonsten nach Bedarf nimmt, und in den drei Stunden, die wir anderen unterwegs sind – bis wir bei der Selbstvertretungsgruppe ankommen, die Sitzung abgehalten wird und wir zurückkehren –, auf die Straße geht, irgendjemanden mit in die Wohnung schleppt und ihn ganz entspannt vögelt (viel entspannter als sonst, wenn sie so mit Tripteridol vollgepumpt ist), und wenn sie kein Glück oder keine Lust hat, masturbiert sie vor dem Wohnzimmerspiegel und stöhnt wie ein Schwein im Schlachthaus. Sie kann mit allem masturbieren, was sie findet, aber die Klitoris meiner Cousine ist so empfindlich und ihre Technik so ausgefeilt, dass sie auch ohne irgendwelche Gegenstände und sogar ohne die Hände zu benutzen masturbieren kann. Ihr genügt es, in den Vierfüßlerstand zu gehen und das Becken zu bewegen, damit die Reibung der Nähte ihr Vergnügen bereitet, wobei sie die Reibung gar nicht unbedingt braucht, sie kann sich auch einfach nur durch ihre Bewegungen genital stimulieren. Das habe ich ihr beigebracht: Es ist eine Aufwärmübung aus dem Tanzunterricht. Die ist dafür da, alle Muskeln und Gelenke unterhalb der Hüfte zu lockern. Es geht nicht darum, sich wie eine Katze zu strecken; wenn du das machst, verlierst du den Fokus auf die Lust und schwitzt umsonst. Es geht darum, dass du im Geist – wenigstens näherungsweise – deine Hüften, deinen Unterbauch, dein Schambein, die großen Schamlippen, deinen Damm, dein Steißbein, deine Sitzhöcker, deinen Anus findest. Fortgeschrittenes Niveau ist, die kleinen Schamlippen, die Vagina, den Enddarm zu verorten. Du findest also im Geist all das und gehst auf alle viere, in einen stabilen Vierfüßlerstand. Stabil heißt, dass deine Beine, deine Arme und dein Rücken praktisch die vier Beine und die Platte eines Tisches sind. Bei dieser Übung nehmen wir an, dass die Tischplatte da beginnt, wo das Gummi hochgeschnittener Unterhosen sitzt, und am Scheitel endet, das heißt, der Nacken sollte so ausgerichtet sein, dass dein Blick genau in den Zwischenraum zwischen deinen Händen fällt. Die Position des Nackens ist entscheidend. Wenn sich der Blick nicht dorthin, sondern weiter nach hinten richtet und du deine Beine anschaust, oder weiter nach vorne und du die Wand anschaust, dann ist das keine Masturbation mehr, sondern einfach nur eine Aufwärmübung, um einen Hexenschuss zu vermeiden.

Wenn du dich in einen Tisch verwandelt hast, musst du zu einem Tisch mit Motor werden, aber ein Motor, mit dem du dich nicht im Raum fortbewegst, sondern innerlich; oder du wirst zu einem Tisch, auf dem eine Kristallkugel liegt, in der die Vektoren der Zukunft aufblitzen: Dein innerer Motor oder deine Kristallkugel ist dein zuvor identifiziertes Masturbationssystem. Das musst du nun in der Luft und mit der Luft durchkneten, und die Luft knetest du, indem du das System nach vorne und hinten bewegst, in Kreisen und Halbkreisen, ruckartig oder geschmeidig, langsamer oder schneller, wie es dein Körper von dir verlangt, und das klappt immer. Es ist eine Stimulation von geringer Intensität, dafür aber ungewöhnlich ausdauernd. Bist du zehn Minuten lang in dieser Position, dann wird deine Möse zehn Minuten lang gestreichelt. Ich fasse mich während der Übung nicht an, aber meine Klitoris wird davon so spitz und heiß, als hätte ich sie an einen Schleifstein gehalten. Ich verlasse den Vierfüßlerstand, um ganz traditionell zu masturbieren, und bin in drei Sekunden fertig.

Ich erzählte das in der Selbstvertretungsgruppe, weil sie mich als Tänzerin eingeladen hatten. Sie fragten nach meinen Tanzstunden und ich fing vorne an, mit dem Aufwärmen, mit den neusten Trends im Zeitgenössischen Tanz, die nun auch die Aktivierung der Genitalien einschlossen, aber als ich das Wort Vagina aussprach, passierte, was aus Faschismusgründen immer passiert. Patricia unterbrach mich und versuchte, einen Themenwechsel zu erzwingen. Meine Schiebetüren begannen zu klicken und rote LED-Leuchten zeigten diese über sie laufende Nachricht: WENN IHR NICHT WOLLT, DASS ICH REDE, WOFÜR BRINGT IHR MICH DANN HER, IHR MIESEN FUNKTIONÄRSWICHSERINNEN. Aber meine Schwester ist nicht nur Gelegenheitsfascho, sondern auch blind wie ein Maulwurf, sie sieht nicht mal Neonbuchstaben. Das mit den LEDs ist metaphorisch gemeint, meine Schiebetüren sind nicht beleuchtet. Ich wollte damit ausdrücken, dass meine Schwester Patricia so kurzsichtig ist, dass sie von ihrem Platz aus das Klicken der Schiebetüren nicht bemerkt hat und auch nicht, dass die Nachricht aus metaphorischen Leuchtbuchstaben nun zu einer wortwörtlichen aus meinem Mund werden sollte. Weder bin ich schuld daran, dass sie die Hand vor Augen nicht sieht, noch sind ihre Faschoallüren meine Schuld, also hatte sie sich mein Wieso lädtst du mich zum Reden ein, wenn ich nur das Echo eines Diskurses sein soll, der nicht einmal deiner ist, ehrlich verdient, und doch hielt ich inne. Mir tat Patricia leid, wie sie vor der Betreuerin der Selbstvertretungsgruppe, diesem unlustigen Clown, die Rolle des Gutmenschen spielte. Die Betreuerin sollte das Gespräch moderieren, also wieder zurückführen, gewisse Entwicklungen unterbinden, die so ein Treffen nehmen kann, aber ihr Eingreifen war nicht nötig, weil sich meine Schwester schon darum kümmerte und als Moderatorin des Nachmittagsprogramms auftrat. Mir tat Àngels leid, wie sie auf dem Bildschirm ihres Handys die ersten Absätze des Romans las, den sie gerade schreibt, und dafür beglückwünscht wurde. Mir taten alle übrigen leid, die auf die Frage, wohin sie in den Ferien fahren würden, nach Port Aventura antworteten, vor allem eine andere aus der Selbstvertretungsgruppe tat mir leid, sie hatte Schiebetüren wie ich, die von einem Aerobicstirnband zurückgehalten wurden. Es tut höllisch weh, wenn sie dir das abnehmen, denn dann schießen die Schiebetüren raus und knallen derart in der Mitte zusammen, dass sie davon sogar kaputtgehen können.

»Es geht darum, dass du im Geist – wenigstens näherungsweise – deine Hüften, deinen Unterbauch, dein Schambein, die großen Schamlippen, deinen Damm, dein Steißbein, deine Sitzhöcker, deinen Anus findest. Fortgeschrittenes Niveau ist, die kleinen Schamlippen, die Vagina, …«

»Was für interessante Aufwärmübungen, Nati, wirklich. Aber da wir nicht viel Zeit haben, erzähl uns doch direkt von diesen schönen Sachen, die du machst, wenn du mit einem Partner tanzt?«, fuhr mir Patricia in die Parade.

Ich schob meine Schiebetüren zur Seite, um meine übliche Abwehr von Autoritätsbeschuss zu unterbinden und ihren Befehl zu mir durchdringen zu lassen, sonst wäre er abgeprallt und mitten in ihrem Gesicht eingeschlagen und hätte ihre daumendicken Brillengläser zerschmettert. Nachdenken, um langfristig zu handeln, ist Nachgeben. Nachdenken, um mittelfristig zu handeln, ist Nachgeben. Nachdenken, um kurzfristig zu handeln, ist Nachgeben. Jede Planung für die Zukunft ist ein Trugbild, das uns von den Institutionen, also dem Militär, also dem Kapitalismus, eingeimpft wurde, und was damit erreicht wird, ist einzig und allein das Verlangsamen unserer unmittelbaren Reaktion, wodurch dem Aggressor – in diesem Fall meiner Schwester – ein Vorteil verschafft wird. Und dennoch saß ich da und dachte, dass ich mir das hier aufhebe, um es ihr später in irgendeiner Form heimzuzahlen.

Ich unterbrach also meine Beschreibung des masturbatorischen Apparats und erzählte davon, wie in einer Jam-Session ein mir unbekannter Tänzer mit Bart und ich ein blitzschnelles Porté gemacht haben, das nicht mehr als drei Sekunden dauerte, aber so gut ausgeführt war, so sauber und so hoch, dass es mir noch immer im Körper nachhallte. Da fragten sie mich, was ein Porté ist, und ich erklärte das mit den Hebungen und Cogidas. Sie fragten mich auch, was eine Jam-Session ist. Ich antwortete, eine Tanzimprovisation mit verschiedenen Tänzern, die sich vorher kennen oder auch nicht. Sie fragten noch einmal, was ein Porté ist, weil sie es immer noch nicht verstanden hatten.

»Ist ein Porté was mit Sex?«, fragte mich einer, der Ibrahim heißt, mit guttural gepresster Stimme, verkrampften Händen, X-Beinen und Gehhilfe.

»Ibrahim, immer das Gleiche!«, fuhr wieder meine Schwester dazwischen, woraufhin sie ihrerseits von der Betreuerin unterbrochen wurde:

»Patricia, wir lassen Ibrahim und Natividad bitte aussprechen, meinst du nicht?«

»Entschuldigung, Laia.«

Wie wohlerzogen Laia, die Faschistin, und wie gehorsam meine Schwester, die Faschistin.

»Es kann was mit Sex sein oder auch nicht, Ibrahim. Es ist dann sexuell, wenn du jederzeit auf Lust eingestellt bist, was nicht heißen muss, dass du rund um die Uhr vögeln willst. Es heißt eher, dass du jemand bist, der die Lust sucht, so wie einer von diesen Wünschelrutengängern, die mit ihren Apparaten am Strand nach Münzen suchen. Damit ein Porté dir sexuelle Lust bereitet, muss das seltene Wunder geschehen, dass du und dein Partner euch wie dieser Apparat verhaltet, aufmerksam auf den eigenen und den fremden Körper achtet, und wenn das Gerät piepst, was sagen will, dass du auf genau die richtige Art und Weise berührt hast oder berührt wurdest, auf eine Art, die dich aufweckt, auf eine Art, die bewirkt, dass dein Leben auf einmal einen Sinn hat, wenn du also auf diese Art berührt wirst, dann hör auf zu denken, hör mit allem auf, was du gerade tust, und grabe diesen Schatz aus, ich meine, gib dich den Armen deines Partners hin, seinen Beinen, seinem Rücken, wohin auch immer das Porté dich trägt, denn dein Partner wird zu deinem Retter, zur einzigen Person, die es für dich auf der Welt gibt, und unter keinen Umständen wird er dich fallenlassen, er begleitet dich bis zum Ende des Flugs. Diese Verbindung ist ein gelungenes spontanes Porté. Ist es das Eindringen eines Körpers in den anderen? Nein. Ist es eine Masturbation, allein oder gegenseitig? Auch nicht.«

»Ist es ein Quickie?«, presste Ibrahim langsam hervor.

»Für mich war es nie wie ein Quickie. Ich habe es als Kuss empfunden, aber so ein langsamer Kuss mit weicher Zunge, mit einer Zunge, die beim Kontakt mit der anderen Zunge wie ein Eis schmilzt. Um auf deine Eingangsfrage zurückzukommen: Verstehen wir den Kuss, diesen Kuss, wie ich ihn gerade beschrieben habe, als lustvoll? Meine Antwort ist ein klares Ja. Wenn also ein Porté mit diesem Kuss verglichen werden kann, ist das Porté dann etwas mit Sex? Ich muss schlussfolgern, dass es das ist.«

»Vielen Dank für die Erklärung, Natividad. Ich verstehe zwar nicht mal die Hälfte von dem, was du sagst, aber ein bisschen was kommt an.« Dieser lange Satz von Ibrahim war schwierig zu verstehen, weil er bei jedem Wort Spucke einsog, aber ich glaube, das hat er gesagt. Ein hübscher kleiner Macho neben ihm beeilte sich mir zu übersetzen, was Ibrahim gesagt hatte. Gleichzeitig übersetzte meine Macha-Schwester, was ich gesagt hatte. Wie gründlich sie bei der Gehirnwäsche die Lektion gelernt hatten, den anderen nicht zu fragen, ob er Hilfe braucht oder haben möchte. Wie supergut hatten sie die Maxime der öffentlichen Wohlfahrt verinnerlicht, dass Helfen bedeutet, für den anderen zu handeln, ihn also zu repräsentieren, ihn also zu ersetzen. Welche Legion von unbezahlten, unter ihrem Befehl stehenden Sozialarbeitern hatte die schamlose bezahlte Sozialarbeiterin da herangezogen, die mit ihnen im Stuhlkreis saß und ihre Rekruten beim Kampf gegen finstere Redeweisen beobachtete. Ein Kampf der nicht normalisierten Leibeigenen gegen ihre eigene nicht normalisierte Sprache und für den Sieg der normalisierten, von allen Normalisierten verstandenen Sprache, der Sprache von Angelitas Roman. Fascha zu Fascha, Macho zu Macho, das Dutzend Selbstvertreter nutzte die Gelegenheit, dass das obligatorische Schweigen gebrochen war, und in diesem Geschnatter beendeten Ibrahim und ich unser Gespräch.

»Danke für dein Interesse am Tanz, und entschuldige bitte, dass ich mich nicht anders ausdrücken kann.«

»Kein Problem. Verstehst du mich, wenn ich rede?«

»Das meiste. Was ich nicht verstehe, entnehme ich dem Kontext.«

»Dann frage ich dich noch etwas.«

»Klar.«

»Glaubst du, dass ich ein Porté mit dir machen könnte oder du eins mit mir?«

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