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Ziegenblut 15 00 Uhr

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Nur noch zwei Tage bis zum großen Tiermarkt in Artin Jelow.

Sindo war mit der Ziegenherde auf dem Weg dorthin. Natürlich waren es nicht seine Ziegen, aber er trug die Verantwortung für die Tiere, voll und ganz. Vor sechs Wochen hatte er Bakhtingan verlassen und war seither in den Bergen unterwegs. Auf den Markt, der das Ende des Frühjahreszugs und den Beginn des Sommers markierte, freute sich der schlaksige Bursche. Am meisten der Mädchen wegen. Nachdem die strengen Taliban endlich fort waren, durfte man den Mädchen wieder in die Augen schauen. Und träumen … Sein Traum hieß Laleh und war ausnehmend schön.

Halb eingenickt hing er auf der kühlen Seite eines mächtigen Steinblocks solcherlei Gedanken nach, als er jemanden kommen hörte. Aufstehen oder nicht? Die Ziegen sah er weiter oben im schmalen Tal nach Gras scharren, sie waren in Sicherheit. Die Sonne hatte den Zenit überschritten, er würde so oder so bald weiterziehen müssen. Also blieb er lieber sitzen. Der riesige Lastwagenkonvoi auf der Straße war Störung genug.

Gleich darauf ging ein Knabe an ihm vorbei, ohne irgendetwas wahrzunehmen außer dem Adler über ihnen. Als der Kleine kurze Zeit später denselben Pfad zurückkam, hatte er immer noch keine Augen für den Hirten. Halb verärgert über die Ignoranz des offensichtlich paschtunischen Knaben wollte er ihm eben nachrufen, als er vom etwa fünfzig Meter entfernten Abstellplatz Autotüren knallen und Befehle rufen hörte. Das war kein gutes Zeichen! Im Nu war er auf den Beinen und spähte hinter dem Felsen hervor. Der Kleine hatte sich ebenfalls hinter einen Felsen gleich neben der Straße geduckt.

Mist, was ist da los? Wer war der Mann, der beim PKW verprügelt wurde? Die Salven, welche etwas später abgefeuert wurden, galten offensichtlich nicht diesem, sondern – den Containern? Sindo konnte es nicht lassen und huschte ein paar Felsbrocken näher, um mit anzusehen, wie der Mann von einem Toyota überfahren wurde. Der junge Hirte kriegte Gänsehaut. Er konnte sich keinen Reim auf die Ereignisse machen. War es ein Taliban-Kämpfer? Dann ist der Junge ein Komplize? Aber wie ein Kämpfer sieht der nicht gerade aus. Die anderen waren auf jeden Fall von der Allianz. Nur schon, weil amerikanische Panzerwagen mit dem Konvoi unterwegs waren.

Diese ungehobelten Fremden! Zwar hatten sie geholfen, die Taliban aus der Gegend zu vertreiben, aber die Geschichten, die ihm sein Onkel erzählt hatte, warfen kein allzu gutes Licht auf die selbsternannten Befreier Afghanistans. Ein falscher Blick und … Wie seinem Cousin Mishal geschehen, der an einem amerikanischen Checkpoint getötet wurde. Nicht erst seit damals hielt Onkel Borak genauso wenig von den Besatzern wie von den Gotteskämpfern.

Sindos Neugierde übertraf jedoch seine Bedenken. So schlich er weiter zur Straße, bis er einen Felsblock hinter dem Jungen war. In der Zwischenzeit waren die Pick-ups weitergefahren. Noch bevor er den Platz erneut im Blickwinkel hatte, hörte er einen einzelnen Schuss. Verflucht, sie sind noch da!

Gleich darauf erschienen zuerst einer, dann noch ein zweiter Soldat. Sie hatten den Jungen entdeckt. Neben dem Wagen lag der überfahrene Mann nun regungslos da.

Wieso haben sie ihn erschossen, also doch ein Taliban, oder ein Spion?

Ganz gleich, wer jener war, dem Knaben würde es schlecht ergehen. Das erkannte der Hirte schon am Ausdruck des fetten Soldaten. Zudem konnte er ihre Worte deutlich hören.

Sie werden ihn schänden und dann umbringen, dachte Sindo.

Dem jungen Mann wurde es mulmig.

Misch dich nicht ein, er gehört nicht zu dir, sagte ihm seine innere Stimme. Verdammt, wieso bin ich bloß nicht abgehauen …? Ja, wenn es um seine Ziegen gegangen wäre … Er wäre hervorgestürmt wie ein Löwe. Aber ein fremder Junge, ein Paschtune, einer aus der Stadt dazu, das konnte ihm doch egal sein. Es geht dich nichts an!

Der Soldat mit der Hakennase kehrte zum Wagen zurück.


Der andere legte seine Waffe zur Seite und riss dem zitternden Jungen das Übergewand hoch.

Nawid wollte sich wehren, wenigstens den üblen Mann beißen. Aber der Körper gehorchte ihm nicht mehr. Ebenso wenig seine Gedanken. Mit einem Schwung wurde er auf den Bauch geklatscht. Das einzige, was ihn immer noch beschäftigte, war der Kampf des Adlers gegen die beiden Krähen.

Der dicke Mann zog ihm die Hosen herunter. Das Gefühl für sich und die Welt verschwand wie die Theaterbühne hinter dem Schlussvorhang.

Mit geschlossenen Augen sah Nawid deutlich, wie sich die beiden Rabenvögel im Sturzflug näherten, um den Steinadler zu attackieren. Vergebens. Dieser kreischte immer wieder auf und zerriss das Gefieder der schwarzen Vögel mit seinen scharfen Klauen und dem kräftigen Schnabel.

Der Junge merkte, wie er kräftig zu Boden gedrückt wurde und der Mann über ihn kniete. Bis die Krähen endlich von ihm abließen. Der Siegesschrei des Adlers durchfuhr Nawid wie ein Messer. Unwillkürlich öffnete er die Augen und hob den Kopf leicht an. Wenige Meter vor ihm sah er zwei große schwarze Augen, die ihn entgeistert anstarrten.

Nawid flehte weder, noch bettelte er.


Der Blick des wehrlosen Jungen ging Sindo durch Mark und Bein. Bei Allah, deiner Ziege würdest du helfen, aber das Schicksal eines Jungen lässt dich kalt? Ohne weiter nachzudenken, ging er um den Felsbrocken herum, hinter dem er bisher verborgen gewesen war.


Nachdem die Augen aus seinem Gesichtsfeld verschwunden waren, ließ Nawid seinen Kopf sinken. Er hatte wohl halluziniert. Nun lenkten ihn auch keine Gedanken mehr ab. Ihm dämmerte, was gleich geschehen musste. Dennoch lag er wie gelähmt da, unfähig, sich zu regen. Während das Bild des sterbenden Vaters vor seinem inneren Auge vorüberzog, rannen ihm Tränen durch die geschlossenen Lieder. Seine Finger verkrallten sich tief in den lehmigen Boden. Er vergrub sich in sein Schicksal.


Sindo wollte sich eigentlich anschleichen, aber in Tat und Wahrheit rannte er geduckt vorwärts und machte entsprechend Lärm. Aber der Mann war zu sehr mit sich und seinem Gewand beschäftigt, als dass er etwas anderes wahrgenommen hätte. So umrundete der Hirte das ungleiche Paar unbemerkt und zog seinen Dolch.

Mit geschlossenen Augen, konzentriert auf sich und seine Beute, bemerkte Kaden nicht, wie sich nur einen Schritt hinter ihm jemand erhob.

»Schweinehund«, zischte der Hirte durch die Zähne. Noch während er den fleischigen Kopf am Schopf nach hinten riss, durchtrennte er dem völlig perplexen Mann die Kehle mit einem sauberen Schnitt. Genauso, wie das Ziegenblut beim Schlachten hervorschießt, kam es Sindo in den Sinn; und darin hatte der junge Afghane Übung.

Ein gurgelndes Geräusch war das Letzte, was Kaden von sich gab.

Nawid biss sich auf die Zähne, als die schwere Hand unkontrolliert über seinen Rücken fuhr und sich schwallweise etwas Warmes über seinen entblößten Hintern ergoss. Er bemerkte noch, wie der Mann zur Seite rutschte und stöhnte, bevor ihm vor Ekel schwarz vor Augen wurde.

Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Rücken und schaute in dieselben schwarzen Augen wie zuvor.

»Wir müssen hier verschwinden«, schüttelte ihn Sindo heftig.

Nawid fasste sich an seine Hüfte, die Hose war hochgezogen. Er fasste sich ans Gesäß, das noch immer feucht war. Die schmierige Flüssigkeit an seinen Fingern war tief rot. Blut! Was hat er bloß mit mir gemacht? Erschrocken wagte er nicht mehr, sich zu bewegen und schloss die Augen wieder. Er wusste, dass der Schmerz erst kam, wenn man die Verletzung sah.

Sindo rüttelte ihn erneut und zog ihn halb auf: »Los, wir müssen weg!«

Halb benommen sah Nawid den Soldaten neben ihm auf dem Rücken liegen. Er war blutverschmiert und blickte ihn mit glasigen Augen an. Noch immer wartete Nawid auf den kommenden Schmerz. Er wollte sprechen, aber die Lippen versagten ihren Dienst.

»Komm schon!«, Sindo zerrte den Jungen auf die Beine und weg vom Felsblock, weg von der Straße, weg von seinem toten Vater in Richtung Berge hinauf.

Der Knabe strauchelte mehrmals, so dass ihm Sindo schließlich unter die Arme griff und ihn mehr schleppte als führte. Ich bin nicht verletzt?

Kaum waren sie ein paar Meter so gegangen, als sie den Soldaten vom Wagen her rufen hörten. Eilig warfen sie sich hinter den nächsten Felsblock. Der Hirte sah gerade noch, wie sich der Soldat mit der Hakennase dem Stein näherte.

»Mist!«, fluche dieser, als er den toten Kameraden hinter dem Felsen erblickte.

Sindo zog seinen Kopf zurück und drückte sich und den Jungen ganz nahe an den aufgeheizten Stein. Gerade rechtzeitig, bevor der Milizionär ziellos in ihre Richtung feuerte.

»Verdammte Hurensöhne …!«, schrie Jamal das Tal hinauf.

Er hat uns gesehen. Voller Angst wartete Sindo auf sich nähernde Schritte und umfasste krampfhaft den blutigen Dolch. Aber der Allianzsoldat kam nicht. Kurz darauf hörten sie die Wagentüre zuknallen und das Auto mit Vollgas wegrasen. Sindo spähte vorsichtig um den Felsen. Die beiden Toten lagen unverändert da, das Gewehr war weg. »Sie werden wiederkommen«, sagte er mehr zu sich selber als zum Knaben, der zitternd neben ihm kauerte. Ihnen blieb nicht viel Zeit. »Ich bin Sindo.«

Nawid blickte ihn verstört an.

»Wie heißt du?«, fragte der Hirte unbeholfen, »war das dein Vater?«

Keine Antwort. Aber die Augen des Jungen sagten alles. Nawid versuchte zu sprechen, brachte aber nur ein Stammeln hervor. Zu groß hing ihm der Kloß im Hals.

Sindo spähte einmal mehr auf die Straße hinunter. »Wir müssen uns verstehen«, drängte er nach einer kurzen Pause. »Wenn wir uns nicht verstehen, werden sie uns töten.«

Nawid brabbelte unverständlich.

»Verflucht noch mal, bist du blöd?!«, brauste Sindo auf. Es war das erste Mal, dass er einen Menschen getötet hatte. Der Handgriff war ihm genauso leicht gefallen wie beim Schlachten einer Ziege. Aber es war doch so anders. »Was habe ich mir bloß dabei gedacht, jetzt suchen sie mich und nicht ihn«, murmelte er in sich zusammensackend.

Wütend kreischte der Adler über ihnen und wich den Geiern, die sich langsam dem Ausstellplatz näherten.

»Danke …«, hauchte Nawid endlich. Der Adler gewinnt doch immer? »… ich bin – Nawid – «, mehr vermochte er im Moment beim besten Willen nicht zu sagen.

Sindo öffnete die Augen und blickte ihn an. Ich könnte ihn einfach hier lassen, dachte er sich. Stattdessen sagte er: »Wir müssen von hier verschwinden.« Der Hirte schüttelte seinen Kopf und blickte talaufwärts. Seine Ziegen waren unbekümmert am Grasen. Schon bald musste er sie zum Schutz für die Nacht ins Steingehege weiter oben treiben. Bis dort war es mindestens eine Stunde Fußmarsch. »Komm – du kannst mir beim Zusammentreiben der Ziegen helfen.«

Ohne sich umzublicken, ging er den Pfad entlang. Nach ein paar Schritten blieb er stehen. Der Junge kauerte noch immer beim Felsen. »Sie werden wiederkommen und nach uns suchen«, meinte Sindo nervös.

Nawid drehte sich ab und schaute auf den unter ihnen liegenden Platz. Sein Vater glich aus der Ferne einer Puppe. Verdreht wie er dalag, unachtsam weggeworfen.

Sindo ging zu ihm zurück: »Du kannst nichts mehr tun, er ist tot.«

»Wieso? Ich hab doch gar nichts getan?«

»Jeder ist schuld – in diesem Land, irgendwie«, erschauerte Sindo beim Gedanken an seine eigene Bluttat. Schließlich fasste er den Knaben bei der Hand und zog ihn hinter sich den Weg hinauf.

Erst jetzt ließ sich Nawid wegführen. Er spürte, dass die Verbindung zu seinem Vater unwiederbringlich gelöst worden war. Und er wusste nicht, was er tun sollte. Er glaubte, dass Sindo ihm nicht böse wollte. Was hätte er auch sonst glauben sollen? Mit der immer hastiger werdenden Vorwärtsbewegung und der sich senkenden Sonne verkrochen sich seine Gedanken langsam in dem neuen, dunklen Abgrund, der sich in seiner Seele auftat.


Jamal hatte inzwischen das amerikanische Begleitfahrzeug eingeholt und hupend zum Stehen gebracht.

»Was ist?«, schnauzte ihn der Dolmetscher aus dem Fond des Panzerwagens an.

»Ein Taliban-Hinterhalt, sie haben Kaden erschossen. Ihr müsst das Nest sofort ausheben …!«

Der Offizier auf dem Beifahrersitz musterte den wild gestikulierenden Alliierten skeptisch durch seine verspiegelte Sonnenbrille.

»Wie viele? Bewaffnung?«, ließ er knapp via den Übersetzer fragen.

»Ich weiß nicht. Sie haben den verunfallten Mann und meinen Kameraden hinterrücks ermordet. Ich konnte gerade noch in den Wagen springen und – schnell, bevor sie sich in den Bergen verschanzen …«

Dem Amerikaner war deutlich anzusehen, dass er Jamal kein Wort glaubte. Schon wollte er den Befehl zum Weiterfahren geben, als Burhān, der Anführer des Gefangenentransports, zu ihnen stieß.

»Was ist los?«, sagte er in gebrochenem Englisch.

Der braungebrannte Amerikaner deutete mit dem Kopf wortlos zum Soldaten, der inzwischen ausgestiegen war.

Nach einem gedämpften aber intensiven Palaver schlug ihn der afghanische Offizier heftig ins Gesicht. »Artina, Memme …!«, war das einzige vernehmbare Wort.

Zum Panzerfahrzeug gewendet ließ er verlauten: »Offensichtlich hat sich eine Gruppe Taliban im Tal beim Abstellplatz verschanzt. Zur Sicherung der Straße müssen sie ausgehoben werden. Du musst eure Aufklärung und Unterstützung anfordern.«

»Ich glaube deinem Soldaten kein Wort«, erwiderte der Offizier kühl.

»Du kannst glauben, was du willst – wir werden gehen und ich werde deine mangelnde Kooperationsbereitschaft melden.«

Der Amerikaner nahm seine Sonnenbrille ab und fixierte den hitzigen Allianz-Anführer durchdringend, bevor er aus dem Panzerfahrzeug stieg. Der hoch dekorierte Zweisternegeneral überragte den kleingewachsenen Burhān um mehr als einen Kopf.

»Ich warne dich, Aziz Burhān«, sagte Generalmajor DeWitt ruhig, »du wirst die Verantwortung für diese Operation alleine tragen müssen.«

»Ich bin bereit, für mein Land zu kämpfen, im Gegensatz – «

»Still!« unterbrach ihn der Amerikaner zischend.

Beide wussten sehr wohl, mit wem und wovon sie sprachen.

Unverzüglich ließ DeWitt seine Panzerwagen wenden. Sie brausten los, ohne auf die anderen zu warten. Via Funk forderte er von der US-Basis in Mazār-i šarīf Satellitenaufklärung und zwei Kampfhubschrauber vom Luftstützpunkt in Kunduz an. Er wollte den Schauplatz ungestört inspizieren, bevor das Tohuwabohu losgehen würde.

Burhāns zunächst zufriedene Miene verdüsterte sich, als er mit seinen Leuten den Amerikanern nicht zu folgen mochte. Er traf auf dem Abstellplatz ein, als dieser bereits durch sechs amerikanische Soldaten gegen das Seitental hin abgesichert war. »Verflucht«, brummte Burhān, als er zu DeWitt lief, der gerade beim Toten kniete.

Überfahren und dann erschossen, war sich der Generalmajor schnell schlüssig. »Wo ist der Soldat?«, fragte er beim Aufstehen.

»Er liegt hinter dem Felsen da.«

Burhān stellte sich zwischen ihn und den besagten Felsblock.

Ein Hinterhalt? Wortlos ging DeWitt zum Panzerfahrzeug zurück und schaute sich die nun eintreffenden Live-Satellitenbilder an. Diese zeigten in der Tat zwei Punkte, die sich in nicht allzu weiter Entfernung das Tal hinaufbewegten. Die Auflösung war zu ungenau, um Einzelheiten zu erkennen. Allerdings war das Bewegungsmuster eindeutig: Zwei Menschen liefen langsam von ihrem Standort weg, ohne Deckung zu suchen, ohne schweres Gerät bei sich zu haben. Dazu eine Menge kleiner Tiere.

»Werten Sie aus, wann und woher die beiden kamen!«, befahl er dem Aufklärer im Fond. Ohne Burhān anzusehen, der unterdessen hinter dem Generalmajor stand, stieg DeWitt ein und schloss die Türe. Er machte sich sein eigenes Urteil über die Angelegenheit.

»… ich gehe davon aus, dass sie uns zugunsten ihrer eigenen Angelegenheiten ausspielen wollen«, meldete er dem Oberbefehlshaber General Scott in Kabul.

»Setz ein Exempel, aber vermeide jedes Risiko. Sei auf der Hut, den Freischärlern ist nicht zu trauen. Dir ist klar, dass du eigentlich gar nicht in der Pampa draußen sein dürftest – nicht jetzt, wo die Basis in Mazār für uns so wichtig geworden ist … Das Letzte, was wir jetzt brauchen können, sind weitere Tote, und schon gar nicht tote GIs!«

»Jawohl, General Scott, ich werde die Aufklärung mit den Hubschraubern vornehmen.«

Eine Viertelstunde später näherten sich die beiden Kampfhubschrauber. Die Bat Two zog eine Erkundungsschlaufe über das wegführende Tal. »Keine Spur von feindlichen Subjekten oder Kampf-Arsenal in Reichweite, weiter oben eine Ziegenherde und zwei Männer gesichtet«, meldete Captain Hensley dem Generalmajor bevor sie aufsetzten, um ihn aufzunehmen. Noch waren sie nicht am Boden, als DeWitt den Wagen verließ und schnurstracks auf den Felsen zulief, hinter dem der tote Soldat liegen sollte.

Burhān hastete ihm nach und schrie, um das Dröhnen der Rotoren zu übertönen: »Wollen wir nicht gleich losfliegen?«

Ohne sich umzusehen, gab der Amerikaner zurück: »Ich fliege los, wenn ich es befehle – keine Angst, du wirst deine Show bekommen.« Was er hinter dem Stein vorfand, bestätigte ihn in seiner Ansicht. Es ging hier um irgendwelche Stammesangelegenheiten. Dem Soldaten war offensichtlich die Kehle aufgeschlitzt worden. Wäre es wirklich ein Hinterhalt der Gottesschüler gewesen, gäbe es nicht bloß zwei, sondern viele Tote. Und vor allem Spuren von echten Kampfhandlungen. Aber nichts davon war zu entdecken.

»Diese Bastarde«, schnaubte Burhān.

DeWitt kniete neben den Toten. Er wurde überrascht, hat sich nicht gewehrt, die Hosen halb unten. Hmm … Neben der Leiche muss noch jemand gelegen haben. Eine Frau, ein Kind? Nur für das geübte Auge zu sehen, zeichneten sich zwei kleine Handabdrücke ab. Auf dem Bauch, wehrlos? Dank seinem Spürsinn hatte er schon manche Situation richtig eingeschätzt – nicht zuletzt deswegen hatten er und seine halbe Mannschaft damals in al-Kuwait überlebt. Er sah hier keine Gefahr für sich und seine Soldaten. Mit rotem Kopf stand er auf und lief zum Hubschrauber.

Burhān tänzelte hinter ihm her wie ein Schoßhund: »Ich komme mit zwei Soldaten mit.«

Der Generalmajor blieb abrupt stehen und brüllte: »Taliban? Pass auf, dass du deine Party oben am Berg nicht verpasst!«

Als die beiden Hubschrauber abhoben, sah DeWitt, wie der Anführer seine Soldaten zu Fuß das Tal hinaufhetzte. Von wegen Hinterhalt! Aber was wollte Burhān – Ehre, Rache …?

Die verlorene Legende Afghanistans

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