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Fundamentale Ordnung des Lebens

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Das erste Stadium, das Erwachen, bezieht sich auf die Entwicklung eines Bewusstseins für die fundamentale Ordnung des Lebens. Der Buddhismus lehrt, dass jeder von uns die Buddha-Natur besitzt; das heißt, den Samen oder das Potenzial, sich in einen idealen Menschen zu verwandeln. Diese Natur ist ihrem Wesen nach hart wie ein Diamant und unzerstörbar, rein und unbefleckt. Wird sie aufgedeckt, wird sie zum Kern des Lebens, der unser Glück bestimmt, indem er uns in die Lage versetzt, Meister unserer selbst zu werden. In unserem täglichen Leben aber ist die Buddha-Natur tief unter Täuschungen verborgen, also unter falschen, befangenen und verfehlten Ansichten. Damit die Buddha-Natur durchbrechen und zu voller Blüte kommen kann, müssen wir einen Weg durch die mannigfachen und dicken Schichten der Täuschung schlagen. Gelingt uns das, werden wir zur fundamentalen Ordnung erwachen, die jedem von uns innewohnt.

Die höchste Lehre des Mahayana-Buddhismus, das Lotos-Sutra, enthält eine Reihe von Gleichnissen. Sie wenden sich an jene, die irrtümlich glauben, der Buddha sei eine Art fernes, mythisches Wesen und sie selbst besäßen nicht die Buddha-Natur. Eines dieser Gleichnisse liest sich so:

„Einst besuchte ein armer Mann das Haus eines reichen Freundes. Während sie sich unterhielten und amüsierten, fiel der arme Mann in Schlaf. Sein Freund, der um das Wohl des armen Freundes besorgt war, nähte heimlich einen kostbaren Edelstein in das Futter der Kleidung seines Freundes, während der schlief. Als der Arme am nächsten Morgen erwachte und sich verabschiedete, hatte er keine Ahnung davon, dass ein Edelstein in seine Kleidung eingenäht worden war. Sein Leben in Armut ging weiter. Etliche Jahre später traf der reiche Mann seinen Freund zufällig wieder und war erstaunt, als er sah, dass sein Freund noch immer in ärmlichen Umständen lebte. Als er ihm von dem in seine Kleidung eingenähten Edelstein erzählte, frohlockte der arme Mann.“

Der Edelstein ist die Buddha-Natur, die wir alle besitzen, ob wir dessen gewahr sind oder nicht. Sie stellt die fundamentalste Ordnung der menschlichen Existenz dar, einen Hebel, so fest wie der, auf den sich der griechische Mathematiker Archimedes bezog als er sagte: „Gib mir einen festen Punkt, auf dem ich stehen kann, und ich werde dir die Erde aus den Angeln heben.“6 Diese fundamentale Ordnung allen Seins anzuerkennen heißt beispiellose Stärke zu erlangen.

Der Roman Anna Karenina (1877) ist ein Meisterwerk Leo Tolstois (1828–1910), eines meiner Lieblingsautoren. Lewin, der für den Autor spricht, sucht nach dem Sinn des Lebens, nach der wesentlichen Natur der Existenz. In einer berühmten Szene wird er durch das Wort eines Bauern belehrt:

„Die einen denken nur an ihr eigenes Wohl wie Mitjucha, der sich den Wanst vollschlägt, der alte Fokanytsch aber ist eine ehrliche Haut, hat Gott vor Augen und lebt für sein Seelenheil.“7

Diese Worte eines gewöhnlichen Bauern treffen Lewin ins Herz wie ein Blitz. In dieser Szene hat Tolstoi eine der bewegendsten und denkwürdigsten Beschreibungen der Weltliteratur geliefert, die die Erweckung eines Geistes durch einen anderen zeigt. Wie sehr stimmt es doch: Wenn man zur fundamentalen Ordnung des Universums erwacht, wie hier als „Denken an sein Seelenheil“ beschrieben, dann enthüllt sich eine vollkommen neue und unerwartete Welt in all ihrer Kraft und Herrlichkeit.

Tolstoi schreibt häufig über das Drama der Wandlung vom Dunklen zum Licht und von der Täuschung zum Erwachen. Nur ungefähr ist dies in seinen frühen Werken beschrieben wie etwa in den Kosaken (1863), deutlicher entwickelt dann im Nachsinnen Pierres in Krieg und Frieden (1865–1869) und eben in der Figur des Lewin. Die frischen und bewegenden Beschreibungen der großen menschlichen Gefühle, die so plötzlich Tolstois Protagonisten überkommen, hallen in den Herzen der jungen Menschen überall wider.

Tolstoi war außerdem mit den Lehren des Buddhismus vertraut, und die Lebensenergie, die er in seinen Werken beschrieb, hat vieles gemeinsam mit der dynamischen Sichtweise der Existenz, wie sie im Lotos-Sutra gelehrt wird. Beide sind ein Lobgesang auf die Herrlichkeit des Lebens. Sind wir doch alle „denkende Schilfrohre“ wie Blaise Pascal (1623–1662) schrieb. Der Beweis unserer Menschlichkeit liegt in der Konstruktion unserer eigenen festen Ansichten über das Leben, die Gesellschaft und das Universum. Das Glück ist dann erreicht, wenn wir unsere eigenen Ziele setzen und sie nach unseren besten Fähigkeiten zu erreichen suchen. So werden wir unser Leben ohne Reue führen.

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