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„Revitalisierung“ und „Selbst-Erneuerung“
ОглавлениеDie Vorstellung der „Revitalisierung“ bezieht sich auf die Entfaltung der schöpferischen Dynamik des Lebens, die es uns ermöglicht, jeden Tag neu geboren zu werden und die einen Menschen davon abhält, still zu stehen und unbeweglich zu werden. „Alles ist Veränderung“, wie der antike griechische Philosoph Heraklit (ca. 540–480) sagte.10 Der Buddhismus lehrt zudem, dass nichts auch nur einen Augenblick im selben Zustand verharrt. Der härteste Stein wird am Ende zu Staub zermahlen sein; alles muss am Ende zerstört werden. Vor allem die menschliche Gesellschaft verändert sich ständig. Das Geheimnis der Revitalisierung besteht darin, die Hülle der Trägheit zu durchbrechen, worin wir so bequem in der Gegenwart zu verweilen suchen. Stattdessen müssen wir sorgsam auf den Rhythmus der Veränderung hören, der tief innen schlägt.
Die buddhistische Philosophie Nichirens lehrt, dass man durch „das Durchleben des Kreislaufs von Geburt und Tod den Weg in das Land der Dharma-Natur findet, der Erleuchtung, die dem eigenen Selbst innewohnt“.11 Mit dieser Feststellung meint er, dass die Fähigkeit der steten Verjüngung für alle Zeiten in uns wohnt. Eine solche Revitalisierung ist eine andere Bezeichnung für Selbst-Erneuerung.
Die Selbst-Erneuerung, die Nichiren beschreibt, ist für den religiösen Glauben wesentlich. Ohne sie wird der Glaube anfällig für Dogmatismus. Lewin denkt über die Manifestierung des Göttlichen nach, die er in sich spürt. Er nimmt es wahr als höchstes Glück und fragt:
„Warum beschränkt sie sich [die Offenbarung] auf die christliche Kirche? […] die Juden, die Mohammedaner, die Konfuzianer, die Buddhisten – wie steht es mit denen?“12
Lewins Frage ist eine, der man nicht ausweichen darf, andernfalls wird Religion in Fanatismus verfallen. Zweifel dieser Art sind Ausdruck für die innere Kraft, die das Selbst Tag für Tag durch den Prozess der Selbst-Reflexion neu erschafft. Sie sind der Quell der Demut und Geistesgröße, welche seit alters her den Kern des ethischen Verhaltens ausmachen. Wenn Religion den Prozess der Selbst-Reflexion ignoriert, riskiert sie, tyrannisch und arrogant zu werden, und allzu oft liefert sie dann Menschen den Grund, einander Schaden zuzufügen.
Die fundamentale Ordnung im Universum liefert den Grund, auf dem ein Mensch sein Leben bauen kann. Sie fördert inneres Vertrauen und Gelassenheit zutage. Doch der Ausblick, den sie bietet, muss durch jene Art von ständiger Innenschau gefestigt werden, wie sie Lewin demonstriert – nur so bleibt sie eine lebendige, schöpferische Kraft. Anders betrachtet: Die Wahrnehmung von einer universellen Ordnung, die keine ethischen Werte wie Demut und Großzügigkeit hervorbringt, muss als falsch und trügerisch erkannt werden. Ein erhabener menschlicher Charakter kann nur dann entstehen, wenn das Bewusstsein von der fundamentalen Ordnung Hand in Hand geht mit dem Prozess der Selbst-Erneuerung. Daher gilt: Je stärker man ist, desto bescheidener wird man; je sicherer man seiner Überzeugungen ist, desto großzügiger wird man.
Die wahre Mission der Religion besteht darin, die Charakterbildung zu fördern und die Menschen zu ermutigen, Meister des eigenen Selbst sein zu wollen. Daher legen buddhistische Schriften so viel Gewicht auf die Selbst-Reflexion und fordern uns auf, Motivation aus dem eigenen inneren Bewusstsein zu ziehen. Tatsächlich war das wichtigste Ziel in Shakyamunis Leben, den vollkommenen und edlen, innerlich motivierten Charakter zu kultivieren. Diesem Zweck war seine Übung geweiht.