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Diaspora und Aussterben
ОглавлениеAus dieser kleinen Zahl entstand die Weltbevölkerung außerhalb Afrikas. Überall, wo sie hingingen, veränderten sie die Umwelt, die sie in Besitz nahmen. Diese intelligenten, gut bewaffneten Menschen waren allen anderen großen Tieren, die sie antrafen, überlegen. 1876 schrieb der bekannte Biologe Alfred Wallace:
Wir leben in einer zoologisch verarmten Welt, aus der die größten, wildesten und seltsamsten Lebensformen vor nicht langer Zeit verschwunden sind, und es ist dadurch für uns ohne Zweifel eine bessere Welt. Doch dieses plötzliche Aussterben so vieler großer Säugetiere, nicht nur an einem Ort, sondern auf der Hälfte des Festlands der Erde, ist gewiss eine erstaunliche Tatsache.37
Wie geschah das, und welche Rolle spielte der Homo sapiens bei dieser „erstaunlichen Tatsache“? Sein Unterschied zu früheren Arten lag im Einfluss auf seine Umwelt. Alle anderen Wesen fanden eine Nische, die sie bewohnten, wie der Homo sapiens in Afrika vor und während der vulkanischen Kälteperiode. Als er aber Afrika verließ, begann er, seine neuen Lebensräume zu verändern, manchmal zu seinem Nutzen, aber häufig in nachteiliger Weise.
Die ersten Einwanderer in eine zuvor menschenfreie Umwelt fanden oft scheinbar unerschöpfliche Ressourcen vor. Unbeschränkt von Ressourcenknappheit oder Raubtieren lebten sie üppig und vermehrten sich – zumindest für eine Weile. Sobald sie die Landschaft erschöpft hatten, muss oft eine Zeit der Desillusionierung und Schuldzuweisung gefolgt sein. Danach erreichten einige, wie in Australien, eine nachhaltige Beziehung zu der nun verarmten Umwelt. Andere entwickelten an anderen Orten neue Technologien, die ihnen das Ausbeuten neuer Ressourcen erlaubten.
Wir wissen heute, worüber Wallace nur spekulieren konnte. Australien verlor 86 Prozent seiner Megafauna (Tiere, die ausgewachsen mehr als 44 Kilo wiegen), Südamerika 80, Nordamerika 73 und Europa 14 Prozent. Bei den Säugetieren sind die Zahlen sogar noch größer: 94 Prozent in Australien, 73 in Nordamerika, 29 in Europa und 5 Prozent in Afrika.38 Die enormen Kontraste zwischen diesen Zahlen spiegeln wider, auf welche Tiere der Homo sapiens stieß, vor allem aber die Reaktionen dieser Tiere auf Menschen. Wo Tiere seit Langem in Kontakt mit Jägern und Sammlern der Gattung Homo waren, wie in Afrika und (in geringerem Maße) in Europa, waren sie scheu und dadurch überlebensfähiger. Wo sie zum ersten Mal Menschen begegneten, wie in Australien und Nord- und Südamerika, waren sie naiv und zutraulich und damit leichter zu töten.
Was dieses Aussterben verursachte, ist Thema intensiver Debatten. Zwei Hypothesen – Klimawandel und menschliche Plünderung – stehen im Raum, und einige Forscher sind der Auffassung, eine Kombination aus beidem habe das Aussterben so vieler großer Tiere verursacht. Die Kombination aus Klimawandel und menschlicher Plünderung passt am besten auf Nordamerika, wo das Aussterben sich in einer Zeit rascher Klimaveränderungen abspielte. Anderswo starben Arten zu Zeiten aus – von vor 35 000 Jahren in Australien bis vor weniger als 800 Jahren in Neuseeland –, die selten mit einer großen Klimaveränderung übereinstimmten. Außerdem hatten die betreffenden Tiere wiederholte Klimaveränderungen über Tausende von Jahren überlebt. Im Unterschied zu früherem Massenaussterben, das Tiere jeder Größe traf, waren von den jüngsten Ereignissen nur große Tiere betroffen.39
Schließlich gibt es die Koinzidenz, dass diese großen Tiere etwa zur selben Zeit ausstarben, als Menschen in ihren Lebensräumen auftauchten. Wir können den Homo sapiens also nicht freisprechen. Doch Jäger und Sammler waren nicht sehr häufig; der Geograf Ian Simmons schätzt, dass im Europa des Jungpaläolithikums vielleicht einer auf 10 Quadratkilometer kam, in Australien nur einer auf 250 und im globalen Durchschnitt einer auf 25 Quadratkilometer.40 Wie konnten so wenige Jäger und Sammler ganze Arten von Tieren ausrotten? Um dies zu verstehen, müssen wir die menschlichen Wanderungen aus Afrika nach dem Ausbruch des Toba betrachten und ihren Einfluss auf die Megafauna der Regionen, die sie in Besitz nahmen.