Читать книгу Macht euch die Erde untertan - Daniel Headrick - Страница 7
Menschen und Natur
ОглавлениеAlle Lebewesen überleben dadurch, dass sie Ressourcen aus ihrer Umwelt beziehen. Dabei konkurrieren sie mit anderen Lebewesen: Manche gedeihen, manche können gerade überleben und manche sterben aus. Die Natur besitzt jedoch Mittel, eine Art davon abzuhalten, andere zu erdrücken und zu zerstören. Ein solches Mittel ist die Begrenzung des Ressourcenangebots in einer bestimmten Umwelt. Bei jeder biologischen Art zeigt die Belastbarkeit ihrer Umwelt weite Ausschläge wegen Plünderung, Krankheiten, Klimawandel und anderen Faktoren. Luchse überleben dadurch, dass sie Hasen fressen, sobald sie also die Hasen in ihrem Gebiet dezimiert haben, werden viele Luchse verhungern, was der Hasenpopulation erlaubt, sich zu erholen, worauf sich die Luchspopulation erholt und so weiter. Ein anderes Mittel ist die Begrenzung der Ressourcen, die ein Lebewesen aufnehmen kann. Nachdem ein Löwe eine Gazelle gefressen hat, legt er sich in den Schatten eines Baums und verdaut, bevor er wieder auf Jagd geht.
Menschen dagegen entnehmen ihrer Umwelt Ressourcen weit über ihre Bedürfnisse hinaus. Im Nordamerika des 19. Jahrhunderts schossen Jäger mit Repetiergewehren so viele Bisons, wie sie konnten, und schnitten nur ihre Zungen heraus; manchmal schossen sie nur aus Freude am Töten. Lange vor den Europäern mit ihren Gewehren jagten amerikanische Indianer Bisonherden über den Rand von Schluchten, um das Fleisch einiger weniger Tiere zu bekommen. Die Jäger der Steinzeit rotteten viele der größten und wildesten Tiere aus, die damals auf der Erde lebten. Seit dem Erscheinen des Homo sapiens ist das Motiv, der Umwelt so viele Ressourcen zu entnehmen, wie die Technologie es zulässt, ein menschlicher Charakterzug.
Ein großer Teil der Weltgeschichte besteht daraus, dass die Menschen allmählich die Werkzeuge zur Erfüllung ihrer Wünsche auf Kosten der übrigen Natur erwarben. Immer wieder haben Menschen Wege gefunden, die Grenzen ihrer körperlichen Fähigkeiten durch technologische und organisatorische Innovationen zu überwinden, wodurch sie in fast jeder Umwelt gedeihen konnten. Schon in der prähistorischen Epoche brannten sie Wälder ab, entwässerten Sümpfe, pflügten den Boden, domestizierten Pflanzen und Tiere und bauten umfangreiche Bewässerungsanlagen. Die meisten dieser Aktivitäten erlaubten es mehr Menschen, zu überleben und sich fortzupflanzen und später Staaten und Hochkulturen aufzubauen.
Trotz vieler Rückschläge waren die menschlichen Siege über die Natur häufiger als die Niederlagen. In der Moderne haben die Menschen durch die Beschleunigung des technologischen Wandels immer größere Macht zur Veränderung der natürlichen Umwelt für den eigenen Nutzen gewonnen. Heute können Menschen ganze Wälder entfernen, sich alles verfügbare Frischwasser aneignen, das Klima verändern und „die ganze Erde besitzen“.
Doch es wäre falsch, den menschlichen Einfluss auf die Umwelt nur negativ zu sehen. Domestizierte Tiere, aber auch „Mitläufer“ wie Kakerlaken und Spatzen, sind viel zahlreicher, als sie es ohne uns wären; dasselbe gilt für domestizierte Pflanzen und Gräser.
Gleichzeitig besitzt die Natur immer noch Macht und unterbricht von Zeit zu Zeit den menschlichen Drang zum Unterwerfen, Beherrschen und Besitzen. Dürren, Überflutungen, Wirbelstürme und andere Wetteranomalien erinnern an diese Macht. Vulkane, Erdbeben und Tsunamis richten gewaltigen Schaden an. Und in periodischen Abständen sind Epidemien eine Gefahr für ganze Völker.
Manche Naturereignisse, die Menschen schaden, sind eigentlich ungewollte Folgen menschlicher Handlungen. Das Verbrennen fossiler Brennstoffe erzeugt Treibhausgase, die zu globaler Erwärmung führen, und diese wiederum verursacht Wetteranomalien, die auf menschliche Gesellschaften einwirken. Neue Transportmittel erlauben Krankheiten wie Cholera, SARS und Zika eine rasche Verbreitung. Antibiotika, die an Nutztiere verfüttert werden, fördern die Entstehung resistenter Bakterien, die die menschliche Gesundheit gefährden.
Schließlich sind die Menschen auch sehr von der Natur abhängig – nicht nur von jenen Teilen, die wir domestiziert haben, sondern auch von den übrigen: den Wäldern, die Kohlenstoff binden und Sauerstoff abgeben; der Wildnis, die Erholung vom Stress der Zivilisation bietet; schließlich den unzähligen Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, die wissenschaftliche Durchbrüche zum Wohl der Menschheit versprechen. Mit anderen Worten, alles in der Natur, einschließlich der Menschen, ist miteinander verbunden, wie Ökologen betonen, und interagiert in komplexen Rückkopplungsschleifen.
Dieses Buch untersucht die komplexen Interaktionen zwischen dem Menschen und der übrigen Natur. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund. Der eine sind die menschlichen Einwirkungen auf die Natur und ihre Veränderung im Lauf der Zeit. Der andere ist die Einwirkung der Natur auf Menschen und menschliche Zivilisationen, vor allem durch „Naturkatastrophen“, die die wachsende Macht des Menschen über die Natur unterbrochen (und manchmal umgekehrt) haben. Für beide Formen der Interaktion werden in den folgenden Kapiteln zahlreiche Beispiele genannt.
Die Kapitel 1 bis 3 sind weitgehend chronologisch und folgen der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften von Jägern und Sammlern zu Ackerbauern und Viehzüchtern und zu den ersten Zivilisationen. Nicht alle Regionen der Welt durchliefen all diese Phasen, und die, die es taten, folgten dem Ablauf zu verschiedenen Zeiten.
Das erste Kapitel erzählt vom schwierigen und konkurrierenden Verhältnis der frühen Menschen zu ihrer jeweiligen Umwelt. Die frühen Menschen waren den Naturkräften extrem ausgesetzt und wären einmal fast ausgestorben. Doch ihre Nachkommen erreichten alle Kontinente außer der Antarktis und lernten, unter Bedingungen zu überleben, für die ihr Körper völlig ungeeignet war. Wenn sie sich in einer neuen Umgebung etablierten, rotteten sie mit nichts weiter als Feuer und einfachen Waffen zahlreiche Arten größerer Tiere aus wie noch nie eine Kreatur vor ihnen.
Kapitel 2 beschreibt die Domestizierung von Pflanzen und Tieren, die den Aufstieg zweier Arten von Gemeinschaften erlaubte: die Dörfer von Ackerbauern und die nomadischen Gruppen von Hirten mit ihren Herden. Dabei veränderten die Menschen Landschaften, indem sie Wälder und Steppen zu Ackerland und Weiden umwandelten. Obwohl die Menschheit wuchs, gingen ihre Gesundheit und Statur zurück, und neue Krankheiten traten auf.
Kapitel 3 betrachtet das Auftreten komplexer hierarchischer Gesellschaften auf der ganzen Welt. Bemerkenswerterweise waren viele frühe Zivilisationen um die Wasserkontrolle herum organisiert: Bewässerung, Entwässerung und der Kampf gegen Überschwemmungen. Manche Gesellschaften wurden von Dürren fast zerstört, während andere sich als widerstandsfähiger erwiesen.
Ab Kapitel 4 wird die Darstellung stärker geografisch gegliedert, da die Geschichte der beiden Hemisphären sich trennt. Kapitel 4 beschreibt, wie Menschen zunehmend auf regenbewässertem Land anbauten und das Gebiet in Eurasien und Afrika, auf dem sie von der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. siedelten. Doch die wachsenden Kontakte zwischen großen Gesellschaften machten sie anfälliger gegenüber Seuchen wie der Pest.
Das folgende Kapitel erzählt von den Folgen der Mittelalterlichen Klimaanomalie (einer besonders warmen Periode vom 8. zum 14. Jahrhundert) für die Entwicklung ausgedehnter Gesellschaften in ganz Eurasien und Afrika südlich der Sahara. In vielen Teilen der östlichen Hemisphäre wurden die Eingriffe des Menschen in die Natur aber durch den Beginn der Kleinen Eiszeit und die Katastrophe des Schwarzen Tods zurückgedreht.
Kapitel 6 beschreibt die enormen biologischen Veränderungen, die den Beginn der Kontakte zwischen östlicher und westlicher Hemisphäre vom 16. bis zum 18. Jahrhundert begleiteten. Aus Europa und Afrika eingeschleppte Krankheiten kosteten mindestens 90 Prozent der indigenen Bevölkerung Nord- und Südamerikas das Leben und erlaubten die Erholung von Wäldern und Tierpopulationen. Gleichzeitig drangen Pflanzen und Tiere aus der Alten Welt in Nord- und Südamerika ein, und einige verwilderten und veränderten die Biotope der Neuen Welt drastisch.
Kapitel 7 betrachtet diese Epoche in der östlichen Hemisphäre. Klimatisch war dies die Kleine Eiszeit, die große ökonomische und politische Krisen auslöste. Die Völker der östlichen Hemisphäre überlebten die Krise (und gediehen an manchen Orten sogar) dank der Feldfrüchte aus der Neuen Welt.
Kapitel 8 und 9 richten den Blick auf die Industrialisierung und den Machtzuwachs des Menschen über die Natur. Ihre Auswirkungen waren sehr unterschiedlich: Die westlichen Staaten wurden zu Machtzentren, die übrigen Regionen zu Objekten, denen Veränderungen aufgezwungen wurden.
Kapitel 8 stellt die industrielle Revolution und ihre Wirkung für die Umwelt der beiden großen sich industrialisierenden Länder dar. In Großbritannien wie in den Vereinigten Staaten dehnten Städte und Industrien sich drastisch aus und verschmutzten Luft und Wasser. Die Wirkung der amerikanischen Industrialisierung war besonders heftig und ausgedehnt. Sie führte zur Plünderung natürlicher Ressourcen, der Zerstörung von fruchtbarem Boden und Wäldern und der Dezimierung oder Ausrottung verschiedener Tierarten. Gleichzeitig förderte die Industrialisierung ein rasches Bevölkerungswachstum und reduzierte die Anfälligkeit der Menschen gegenüber Naturkatastrophen.
Kapitel 9 betrachtet den sich nicht industrialisierenden Teil der Welt in dieser Periode, vor allem das Monsungebiet Asiens. Indien, China und Südostasien (aber auch Ägypten und Brasilien) wurden von der westlichen Industrialisierung tief beeinflusst, besonders durch die Nachfrage nach tropischen Nutzpflanzen, die eine starke Expansion von Ackerland auf Kosten von Wäldern und ihrer Fauna und Flora bewirkte. Obwohl die Bevölkerung dieser Regionen wuchs, stieg der Lebensstandard nicht an, und die Menschen blieben Überflutungen, Dürren und Epidemien ebenso ausgeliefert wie früher.
Zwei thematische Kapitel handeln vom 20. Jahrhundert. Kapitel 10 untersucht die Wirkung von zwei Weltkriegen und Konflikten wie dem Vietnamkrieg auf die Umwelt. Es diskutiert auch große Entwicklungspläne, etwa in der Sowjetunion, den USA, in China unter Mao und in Brasilien, und die Wirkung dieser Pläne auf Wälder, Tierwelt und andere Umweltaspekte. Kapitel 11 betrachtet die Wirtschaft in Friedenszeiten und den Aufstieg der Konsumgesellschaft und ihrer Umweltkosten, vor allem die Wirkungen des Autoverkehrs, der Ölindustrie und der industriellen Landwirtschaft. Die hierbei dargestellten Regionen sind die USA, Westeuropa, Japan und China nach Mao.
Die nächsten drei Kapitel untersuchen aktuelle Umweltfragen in ihrem historischen Kontext. Kapitel 12 beschreibt den jüngsten Klimawandel und seine Ursachen, dazu wissenschaftliche Prognosen und mögliche Zukunftsszenarien. Es bespricht auch die politische Seite der Erderwärmung im nationalen und internationalen Rahmen und die öffentliche Reaktion auf das Problem und die Debatten.
Kapitel 13 wendet sich den Gewässern zu und zeigt die Auswirkungen der Jagd auf Wale sowie der Überfischung von Kabeljaubeständen. Es diskutiert die Nachhaltigkeit der Lachszucht und die Kontrolle der Wildlachsfischerei. Es beschreibt auch den Einfluss des Menschen auf die Ozeane in Form von toten Zonen, Korallenbleiche und Müllansammlung.
Kapitel 14 widmet sich dem Aussterben von Arten als Naturphänomen und fünf außergewöhnlichen Formen des Massenaussterbens in der Erdgeschichte wie im Fall der Dinosaurier. Wir erleben gegenwärtig ein sechstes, diesmal menschengemachtes Massenaussterben durch die Zerstörung von Biotopen, Jagd und Erderwärmung, vor allem in den tropischen Regenwäldern und der Arktis. Das Kapitel betrachtet auch das Überleben und die Ausbreitung von Pflanzen und Tieren, die vom Menschen ausgewählt und gefördert werden, aber auch von Unkraut, Pflanzenschädlingen und Krankheitserregern, die von menschlichem Handeln ungewollt profitieren.
Die letzten beiden Kapitel stellen Reaktionen auf die gegenwärtige Umweltkrise dar. Kapitel 15 betrachtet menschliche Einstellungen gegenüber der Natur. Traditionelle Gesellschaften entwickelten Regeln und Tabus, um Teile der Natur zu schützen, die sie als wertvoll ansahen, etwa heilige Wälder oder Jagdgebiete. Diese Überzeugungen und Verhaltensweisen waren zwar tief verwurzelt, stoppten aber nie den Wunsch der Menschen nach einer Nutzbarmachung der Natur, sondern bremsten ihn nur.9 Seit dem 19. Jahrhundert haben Umweltschützer auf den Schaden einer schrankenlosen Entwicklung für die natürliche Umwelt hingewiesen. In den letzten Jahrzehnten sind ihre Stimmen ein Teil des politischen Diskurses geworden. Infolgedessen haben moderne Staaten versucht, die Auswirkungen auf die Natur durch Beschränkung von Verschmutzung, Gesetze zum Schutz bedrohter Arten, die Einrichtung von Nationalparks und Schutzgebieten, internationale Fischerei- und Walfangabkommen und Verträge zur atomaren Abrüstung zu vermindern.
Im 21. Jahrhundert steht die Menschheit vor schwierigen Entscheidungen, wie im Epilog diskutiert wird. Die Notwendigkeit zum Schutz der verbliebenen natürlichen Umwelt ist klar. Gleichzeitig ist der Druck, den Weg von Expansion und Entwicklung weiterzugehen, stärker als je zuvor. Wir Menschen haben jetzt alle anderen Lebewesen übervorteilt und beherrschen einen großen Teil des Planeten. Doch wir marschieren rückwärts in die Zukunft, blind für das Kommende. Was kann die Geschichte uns über uns lehren, und wie sollten wir mit dem Planeten interagieren, den wir bewohnen? Werden technologische Durchbrüche es uns erlauben, weiterhin die Vorteile früherer Innovationen zu genießen und gleichzeitig den Schaden zu vermindern, den sie der Umwelt zugefügt haben? Werden wir, während wir immer mehr Kontrolle über die Erde ausüben, als sei sie der Planet Maschine, mit Weisheit, Zurückhaltung und Ausgewogenheit handeln, Charakterzügen, die der Mensch in der Vergangenheit so selten gezeigt hat?