Читать книгу Macht euch die Erde untertan - Daniel Headrick - Страница 18

Der Homo sapiens in Eurasien

Оглавление

Vom Nahen Osten aus nahmen einige Homo sapiens vor 40 000–35 000 Jahren den Weg nach Zentralasien, Europa und Sibirien, vor rund 35 000 Jahren nach Asien und über Land vor etwa 30 000 Jahren nach Indien. Ob sie dort auf Vertreter des Homo erectus trafen oder ob diese längst ausgestorben waren, ist nicht bekannt. Gleichzeitig wanderten andere nach Europa und wurden die Vorfahren der heutigen europäischen Bevölkerung.55

Eurasien befand sich damals mitten in der Eiszeit. Eispanzer bedeckten die Nordhälfte des Kontinents, Tundra und Steppe die Südhälfte. Auf diesem gewaltigen offenen Grasland weideten Herden von Rentieren, Büffeln, Antilopen und Wildpferden, aber auch Einzeltiere wie Wollmammuts und Wollnashörner. Es war zwar kalt und windig, aber ein Paradies für Jäger.

Dann wurde das Klima noch kälter und erreichte vor 26 000–19 000 Jahren das sogenannte Letzteiszeitliche Maximum. Eis bedeckte Skandinavien, Schottland und den Norden Deutschlands und Frankreichs, und Alpengletscher bedeckten die Schweiz, Österreich, Norditalien und Teile Südfrankreichs. Südlich des Eises herrschten arktische Bedingungen. Da die Wachstumssaison nur 60 Tage dauerte, konnten nur die anspruchslosesten Gräser, Moose und Flechten überleben. Dann begann sich vor 18 800 Jahren das Klima zu erwärmen und bis vor 12 700 Jahren rasch zwischen warm und kalt zu schwanken.56 In dieser sich rapide verändernden Umwelt gedieh der Homo sapiens.

Die ersten, als Cro-Magnon-Menschen bekannten Homo sapiens in Europa sind berühmt wegen ihrer Höhlenmalereien von Mammuts, Rentieren, Büffeln, Pferden, Löwen und anderen gefährlichen Tieren, die sie jagten, denn ihr Verhältnis zu den Tieren in ihrer Welt war voller Symbolismus und Spiritualität. Ebenso erstaunlich waren ihre Technologie und ihre Sitten. Statt dieselben Handäxte zu übernehmen, die frühere Homo sapiens und Neandertaler für Hunderttausende von Jahren gebraucht hatten, erfanden die Cro-Magnon-Menschen neue Werkzeuge und wechselten sie regelmäßig. Ihre früheste Phase, genannt Aurignacien, dauerte von vor 40 000–28 000 Jahren, als sie geschnitzte Knochen und Geweihe benutzten, sowie Öllampen, um die Höhlen zu beleuchten, in denen sie malten. Sie benutzten auch Wurfspeere statt der Lanzen, die ihre Vorfahren führten. In der nächsten Phase, dem Gravettien (vor 28 000–22 000 Jahren), schnitzten sie „Venus“-Figurinen und führten Begräbniszeremonien durch. In der Solutréen-Phase vor 22 000–17 000 Jahren erhitzten Handwerker Felsbrocken und stellten durch das Behauen mit Steinen bifaziale Messerspitzen, Speerspitzen und Messer und Sägen aus Feuerstein her. Schließlich erfanden sie während der Magdalénien-Phase vor 18 000–10 000 Jahren Speerschleudern und Pfeil und Bogen und produzierten kunstvolle Knochen- und Geweihschnitzereien. Aus Feuerstein machten sie Klingen, Meißel, Schaber und Mikrolithen, winzige scharfe Scherben, die in Speer- oder Pfeilschäfte eingesetzt wurden. Sie schnitzten auch Flöten und machten Harpunen und Fischreusen. Kurz gesagt, die Cro-Magnon-Menschen waren kreativ und fortgeschritten.57

Da sie während der Eiszeit gediehen, war ihre wichtigste Erfindung vielleicht die Nadel. Die früheste, in Russland gefundene ist 40 000 Jahre alt. Mit Nadeln und Sehnen konnten die Cro-Magnon-Menschen – oder genauer die Cro-Magnon-Frauen – Kleider aus Tierfellen nähen, die vor der Kälte schützten. Genetiker haben noch andere Hinweise für das Auftauchen von zugeschnittener Kleidung gefunden: Läuse (Pediculus humanus corporis), die in Kleidern leben.58

In diesen Kleidern wagte sich der Homo sapiens auf die Steppen Osteuropas und Zentralasiens, ein Land ohne Bäume oder Höhlen und mit wenigen essbaren Pflanzen, wo es so kalt war, dass sogar die Neandertaler sich fernhielten. Der Homo Sapiens erreichte vor 35 000–30 000 Jahren den Baikalsee in Sibirien. Seine Nahrung war vor allem Fleisch, das während des Winters teilweise in Gruben gefroren aufbewahrt wurde. Als Zuflucht gruben die Menschen recht große Häuser in den Boden und deckten sie mit Mammutknochen und Fellen oder Torf ab, wie Ausgrabungen in der Ukraine gezeigt haben. Als Brennstoff verbrannten sie Tierknochen. Dank ihrer Kultur und ihres Einfallsreichtums konnten sie in Umgebungen leben, für die ihre Körper völlig ungeeignet waren. Während des Letzteiszeitlichen Maximums, als sogar für sie die Lebensbedingungen zu unwirtlich waren, zogen sie sich in Regionen zurück, die näher am Mittelmeer lagen. Danach aber gingen sie wieder nach Norden und Osten und erreichten Beringia, die Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska, als der Meeresspiegel vor 28 000 Jahren tiefer lag.59

Wie lässt sich das außergewöhnliche Aufblühen menschlicher Kultur und Technologie im jungpaläolithischen Eurasien erklären? Schon Tausende von Jahren zuvor hatte der Homo sapiens ja in Afrika die Fähigkeit zu symbolischem Denken, Sprache und zur Anpassung seiner Technologie an wechselnde Bedingungen gezeigt. Wenn weder Gehirn noch Sprache die entscheidenden Faktoren waren, wurde das Aufblühen vielleicht durchs Klima bewirkt. Auch Afrika erlebte Klimaveränderungen – manchmal war es kühler und trockener, manchmal wärmer und feuchter –, aber dort konnten Menschen sich diesem Wechsel anpassen, ohne ihr Verhalten radikal zu ändern. Der natürliche Konservatismus der Hominiden, der in den zurückliegenden Jahrmillionen so gut dokumentiert ist, genügte zum Überleben und zur Fortpflanzung, und Menschen konnten gelegentlich mit neuem Verhalten und Kulturformen experimentieren, ohne ihre Lebensweise radikal zu ändern. Zweifellos werden weitere archäologische Funde die Lücke zwischen unserem Wissen über das Afrika der Mittelsteinzeit und das Eurasien des Jungpaläolithikums verringern.

In Eurasien hatten die Neandertaler sich dem Klima der Eiszeit körperlich angepasst, indem sie gedrungener und kräftiger wurden, und kulturell, indem sie Feuer machten und sich in Felle hüllten. Die Vertreter des Homo sapiens blieben dagegen biologisch Tropentiere, doch sie passten sich der Kälte an, indem sie Kleider nähten und mit neuen Gegenständen und Verhaltensweisen experimentierten. Die Herausforderung der Eiszeit entfesselte das Potenzial für rasche Innovation, das jahrtausendelang in ihnen geschlummert hatte.

Die Anthropologin Rachel Caspari hat vor Kurzem das Zahlenverhältnis älterer Personen (definiert als doppeltes fortpflanzungsfähiges Alter) zu jüngeren (bis zum fortpflanzungsfähigen Alter) unter den Überresten von Neandertalern und Cro-Magnon-Menschen untersucht. Sie fand heraus, dass dieses Verhältnis bei den Cro-Magnon fünfmal so hoch war wie bei den Neandertalern. Was die größere Langlebigkeit der Cro-Magnon verursachte, ist nicht bekannt, doch die Folgen waren dramatisch, denn kulturelle Evolution hing von der Überlieferung von Wissen zwischen den Generationen ab. Ältere Menschen, vor allem Großeltern, konnten ihr Wissen und ihre Erfahrung an jüngere Generationen weitergeben. Indem sie ihre sozialen und intellektuellen Ressourcen beitrugen, konnten sie die Zahl der überlebenden Enkel steigern. Nach Casparis Worten wirken „die typischen Merkmale des Jungpaläolithikums – etwa die explosive Zunahme des Gebrauchs von Symbolen oder die Verwendung exotischer Materialen bei der Werkzeugherstellung –, als seien sie die Folge eines Bevölkerungswachstums gewesen“.60

Macht euch die Erde untertan

Подняться наверх