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Der Intellektuelle zwischen Poesie und Gelehrsamkeit

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„Halb Poet und halb Gelehrter“ lautet Bernharts Fazit einer Szene, die er selbst erzählt, um sich zu charakterisieren: Er erlebt, wie ein Kunde in einer Buchhandlung nach Werken Bernharts sucht, worauf der Buchhändler nachfragt, welchen Bernhart er meine: Es gebe da den Poeten und den Gelehrten. Diese Selbsteinschätzung Bernharts trifft den Kern seines Schaffens und die Problematik seiner Biographie. Sie sagt mehr aus und lässt mehr aufscheinen als Begriffe, vor allem wenn man mitschwingen hört, dass sowohl der Poet wie der Gelehrte sich in ihrer Erkundung und Aussage um die Schöpfung mühen, im Innersten also immer der Theologe spricht, der in aller Wirklichkeit Bewegung und damit Veränderung entdeckt. Wenn nun die Alteration im Betrachter eine einfühlsame Teilnahme erweckt, wie Bernhart unterstreicht, „eine unausweichliche, im ursprünglichen Sinne poetische Affektion“, dann ist jede Wahrnehmung – in unterschiedlicher Intensität und auf verschiedenen Ebenen – eine poetische Empfängnis, dann ist auch der Gelehrte, der erkennt, dass er um so stärkere Bilder und Begriffe braucht, je mehr er sich abgrenzt, im Innersten ein Poet. So sieht sich denn Bernhart auch zeit seines Lebens durch „die Qual einer doppelten Anlage“ vor die Berufswahl gestellt.

Bernharts Werk ist engstens verwoben mit dem zeitgenössischen Kontext in Theologie, Kirche und Gesellschaft. Nicht nur die sich überschlagenden politischen und geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts bestimmten seinen Denkweg, es ist auch – vielleicht zuerst – seine eigene Biographie. Das zeigt sich bereits an dem Bändchen „Tragik im Weltlauf“, veranlasst durch das Grauen des Ersten Weltkrieges, aber auch durch eine tiefe persönliche Konfliktsituation: Bernhart, am 8. August 1881 im schwäbischen Ursberg geboren, stammt aus einer gläubigen Familie mit einem sehr traditionellen Verständnis von christlicher Frömmigkeit und auf Seiten des Vaters einer Aufgeschlossenheit für geistige Fragen. Das patriarchalische, autoritäre Umfeld im München des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat ihn beeindruckt und nicht wenig zu seiner Berufsentscheidung beigetragen; es lässt sich eine stark ausgeprägte Pietät Bernharts gegenüber der unterschiedlich strukturierten Religiosität seiner Eltern erkennen. 1904 zum Priester geweiht, verbrachte er seine Kaplansjahre zum großen Teil in bayerisch-schwäbischen Dorfpfarreien, damals bereits mit seinem Dissertationsthema „Bernhardische und Eckhartische Mystik in ihren Beziehungen und Gegensätzen“ beschäftigt. Er suchte den anspruchsvollen, anregenden Ausgleich zum eher körperlich denn geistig anstrengenden Seelsorgsdienst auf dem Lande, dessen Eintönigkeit und Einsamkeit er in „Der Kaplan“ später so trefflich skizziert hat. Aus der Begegnung mit der Provinzialität, mit der bedrängenden Enge der ländlichen Seelsorgearbeit wuchs ein Roman zum Meisterwerk.

Seit 1904 arbeitete er im „Hochland“ mit; nach seiner Eheschließung stellte er die Mitarbeit ein, weil er das „Hochland“ nicht mit den Schwierigkeiten des verheirateten Priesters belasten wollte. Erst seit 1934 erschienen dann im „Hochland“ wieder Beiträge aus Bernharts Feder. 1907 wurde er Sekretär der Gesellschaft für christliche Kunst in München. In dieser Funktion hielt er an Pfingsten 1908 einen Vortrag vor dem Verein katholischer deutscher Lehrerinnen; bei dieser Gelegenheit lernte er Elisabeth Nieland (1882 – 1943), die Sekretärin des Vereins, kennen, die er 1913 in London heiratete. Davor liegt die Zeit des Murnauer Benefiziaten, ein Abschnitt tiefsten Ringens um den eigenen rechten Weg und mit der Situation in seiner Kirche, das sich nicht zuletzt am erzwungenen Antimodernisteneid entzündete. Mit der Verheiratung zog sich der Benefiziat die excommunicatio latae sententiae zu. So sehr Bernhart zwischen der äußeren Gestalt, der rechtlichen Struktur und der geistlichen Dimension der Kirche zu unterscheiden wusste und damit auch spürte, welchem Gesetz er zu folgen hatte, so sehr litten er und seine Frau unter dem Ausschluss aus der vollen Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche, deren Geistigkeit und Geistlichkeit er mit allen Fasern seines Innersten anhing. Mit zahlreichen Vorstößen und auf vielfältigen Wegen bemühte sich der Schriftsteller, der immer im Dienst der Kirche schreiben wollte, um die Sanierung dieser Angelegenheit. Erst nach über 25 Jahren glücklicher Ehe und nur wenige Jahre vor dem Tod Elisabeth Bernharts erhielten sie den Bescheid der Aufhebung der Exkommunikation – und auch den zunächst nur foro interno.

Bernhart ist ein Theologe, der zuinnerst in und mit und von seiner Mutter Kirche lebt. Im gleichen Atemzug ist er sich der Tragik jeglicher Mutterschaft bewusst: Sie fördert, um frei zu lassen; sie muss bestrebt sein, sich überflüssig zu machen.

1916 starb Bernharts Vater. Bis zu dessen Tod hatte er ihm die Tatsache seiner Verheiratung vorenthalten, aus Furcht, der Vater würde innerlich daran zerbrechen. Nach dem Tod des Vaters aber grämte sich der Sohn darüber, dass er sich ihm nicht eröffnet hatte, dass der Vater nicht mehr erfahren hatte, wer er eigentlich gewesen ist. So wollte er zwar Gutes tun und den Vater schonen, gleichzeitig aber hatte er damit nicht der Wahrhaftigkeit und der Aufrichtigkeit gedient, war nicht dazu gestanden, dass er als Priester „das erbarmungslose Gesetz seiner Kirche gebrochen“ hatte „und so der Ehrlichkeit seines Gewissens gefolgt“ war. „Meine Gedanken kreisten hartnäckig um ein lateinisches Diktum, das mich zugleich verklagte und entschuldigte: ,Facto pius sceleratus eodem‘, was besagt, daß der Mensch mit einem und demselben Tun zum Frommen und zum Ruchlosen werden kann. Ich weiß nicht mehr, auf welchen Dichter das Wort zurückgeht, nur daß es den Menschen unheimlich scharf gesehen hat. Fortan ging es mir nach und trug dazu bei, daß ich die Weltverfassung als von Hause aus unheimlich verstehen lernte. Da nun auch der Krieg mit all seinen Verstrickungen von Schuld und Recht den Erdkreis erfüllte, stellte sich mir das Thema ein, über das ich aus eigenem Bedürfnis und fremder Anregung zu schreiben begann. Was schließlich heraus kam, ist im Frühjahr 1917 in der Beckschen Verlagsbuchhandlung als ,Tragik im Weltlauf‘ erschienen.“4

Geistig prägte Bernhart die Jenaer Studienzeit 1911/12, die Begegnung mit dem modernen Denken seiner Zeit. Weit gespannt sind die Beziehungen und Begegnungen des freien Schriftstellers – sie reichen von nationalkonservativen Kreisen um Paul Nikolaus Cossmann bis zu Thomas Mann. Nicht um Themen und Arbeit, wohl aber oft um die ökonomische Grundlage musste Bernhart in den Münchener Jahren seit 1913 bangen. 1934 zogen er und seine Frau ins schwäbische Türkheim, in das Elternhaus um, nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Notwendigkeit und um Konzentration zu finden für einige größere Vorhaben: In den Folgejahren entstand die Auswahl aus der „Summa theologica“ des Thomas von Aquin und die 1955 erschienene, mit sensibler Präzision und Sprachgewalt komponierte Übersetzung der „Confessiones“ von Augustinus. Überschattet waren diese Jahre von den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft und des Krieges, nicht zuletzt aber von der schweren Krankheit und dem Tod (1943) seiner Frau. Sie war ihm Weggefährtin, kongeniale Mitarbeiterin, sie war die Künstlerin, Mahnerin und Trösterin, die ihn zu seiner vollen Schaffenskraft befreit, motiviert, getragen hat. Schon in dem Essay „Der eheliche Mensch“ (aus: „De profundis“, 1935) setzte er ihr ein Denkmal.

Bernhart war ein Brückenbauer, ein Interpret und Übersetzer mit Empathie und Präzision, ein Theologe, der die biblische Botschaft ins Gespräch brachte mit im Katholizismus seiner Zeit gemiedenen oder verfemten Autoren wie Goethe und Nietzsche.

Eigensinn und Bindung

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