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Insecuritas als Existential

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„Der ungeborgene Mensch gibt dem Zeitalter die Physiognomie, sei es in der Auflehnung des Trotzes, sei es in der Verzweiflung des Nihilismus, sei es in der Hilflosigkeit der vielen Unerfüllten, sei es im irrenden Suchen, das endlichen Halt verschmäht und harmonisierenden Lockungen widersteht.“ Diese Worte stammen nicht etwa von Peter Wust, sondern von Karl Jaspers. Sie finden sich in seiner Schrift „Die geistige Situation der Zeit“16 von 1931. „Der ungeborgene Mensch gibt dem Zeitalter die Physiognomie“: Das ist ein Satz, der auf unsere heutige Situation mehr denn je zutrifft. Peter Wust kannte die Schriften von Karl Jaspers, und er kannte sicherlich auch dieses Wort. Was hier über den „ungeborgenen Menschen“ in den 20er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gesagt wird, arbeitet Wust als ein Existential menschlichen Seins heraus, ja als das Existential des Menschseins. Die Ungeborgenheit, die Ungesichertheit, lateinisch: die Insecuritas, ist für Wust nicht nur ein Kennzeichen des Menschen im 20. Jahrhundert, sondern ein Kennzeichen des Menschseins überhaupt. Die conditio humana ist wesentlich geprägt durch diesen Begriff der Insecuritas; der Mensch ist in diesem Sinne nach Wust das „animal insecurum“ (UW 40 f.), das „ungesicherte Lebewesen“. Wust will damit keineswegs die klassische Definition des Menschen verabschieden, die ihn als „animal rationale“, als „vernünftiges Lebewesen“, bestimmt, aber er will den Aspekt der Ungesichertheit herausheben, der mit der Geistigkeit des Menschen immer schon mitgegeben ist.

In seiner anthropologischen Konzeption versteht es Wust, modernes Denken mit Positionen der klassischen Metaphysik zu verknüpfen. Denn er stellt den Begriff der Ungeborgenheit oder Ungesichertheit in einen größeren Rahmen, nämlich in den von Thomas von Aquin im Anschluss an neuplatonische Auffassungen formulierten Gedanken der Horizontstellung des Menschen.17 Der Mensch lebt hiernach in zwei Welten: in der Welt des Göttlichen und in der Welt des Tierischen; er hat sowohl teil am „mundus sensibilis“ als auch am „mundus intelligibilis“. In Wusts Worten ausgedrückt: Er hat sowohl am „Bios“ als auch am „Logos“ teil. Mit dieser Horizontstellung ist gleichzeitig eine tragische Dialektik verbunden: Der Mensch gehört beiden Bereichen zu, ist aber in keinem der beiden Bereiche wahrhaft ansässig (vgl. UW 46 f.). D. h., der Zustand einer absolut unanfechtbaren Gesichertheit ist für den Menschen prinzipiell nicht zu erreichen.

Diese Gedanken weiß Wust mit den Einsichten der modernen philosophischen Anthropologie zu verbinden, wie sie ihm bei Max Scheler18 begegnet sind: Der Mensch ist hiernach nicht mehr umweltgebunden wie das Tier, sondern weltoffen. Wust spricht in diesem Zusammenhang von der „Indefinitheit“ der menschlichen Natur (vgl. UW 42 u. ö.). Diese Weltoffenheit des Menschen ist jedoch zweideutig; denn sie bedeutet zum einen eine Erhebung über das Schicksalhafte hinaus in den Raum der Freiheit, zum anderen ist damit aber immer auch ein Risiko und Wagnis verbunden. Der Mensch ist, wie Friedrich Nietzsche es so treffend formuliert hat, „das noch nicht festgestellte Tier“.19

Diese Entscheidungs- und Wagnissituation wird nach Wust um so tiefer und offensichtlicher, je weiter wir vordringen zum eigentlich Menschlichen, d. h. in den Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Welt und in den Fragen nach unserem Heil, also: in Philosophie und Religion. Die Situation der Ungesichertheit spielt somit nicht nur im vitalen Bereich eine entscheidende Rolle, sondern sie verschärft sich geradezu in den Bereichen der geistigen und übernatürlichen Existenz des Menschen. In keinem dieser Bereiche kommt der Mensch zu einer letzten Gewissheit.

Eigensinn und Bindung

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