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Insecuritas humana und der Weg der Mystik

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Wenn auch mit Beantwortung der drei Fragen nach der religiösen Gottesgewissheit, der Offenbarungsgewissheit und der Heilsgewissheit die oberste Ebene des „Insecuritas“-Raumes grundsätzlich durchschritten ist, so wird die Dialektik von Gottesnähe und Gottesferne Wust zufolge von dem mystischen Weg, den nur noch wenige Einzelne beschreiten, noch einmal überhöht und überschritten. Mit der bekannten Mystikerin Evelyn Underhill25 unterscheidet Wust fünf Phasen des mystischen Weges: Während der „niedere Weg“ die Phase des Erwachens der Seele zu sich selbst sowie die Phasen der Reinigung und der Erleuchtung ihres Inneren umfasst, beginnt der „höhere Weg“ mit der Phase der „Dunklen Nacht“, und er endet mit der Phase der „Einung“ (UW 159 f.).

Was Wust in diesem Zusammenhang beschreibt, scheint zu einem guten Teil der eigenen Erfahrung zu entstammen:26 Auf die Metanoia, „durch die das Steuer (...) [des] Lebensschiffes ruckhaft in die Richtung der höheren Wertdimension herumgeworfen wird“, wobei „dieser ruckhaften Umwälzung im Innern der Seele ein langer und qualvoller Zustand der Ungewißheit voraus[geht]“ (UW 160), folgt aber schon bald wieder „ein Rückschlag von anderer Art“:

„Denn das aus den Fesseln der Weltlust befreite höhere Wertbewußtsein des erwachten Selbst erkennt nun auf einmal ganz klar die ungeheure Distanz zwischen seinem bisherigen Dasein und dem noch in weiter Ferne vor ihm liegenden Ziel, dem es auf dem mystischen Weg entgegengeführt werden soll. Es erschrickt förmlich über sich selbst, sobald es sich einmal im Spiegel dieses übernatürlichen Vollkommenheitsideals erblickt. Und so verwandelt sich denn jetzt die ursprünglich als ein so großes neues Glück empfundene göttliche Nähe in eine Gottesferne, die vernichtend wirkt.“ (UW 161)

Dieser Rückschlag ist nach Wust unbedingt notwendig, kann doch erst jetzt die Phase der inneren Erleuchtung einsetzen. „Das mystische Selbst findet im Rückzug auf den Seelengrund, der die eigentliche Begegnungsstätte zwischen Gott und der Seele ist, zum ersten Male den ganz tiefen Frieden und die große Stille, die ihm alle Verluste irdischer Güter so reichlich ersetzen, daß allmählich der Kampf aufhört und eine gewisse Kontinuität des neuen Lebenswillens entsteht.“ (Ebd.)

Aber damit ist erst der „niedere Weg“ an ein Ende gekommen, und der „höhere Weg“ steht noch bevor, der mit der „Dunklen Nacht“ einsetzt, wo die Seele völlig allein mit sich selbst zu sein scheint und das „Schweigen Gottes“ erlebt – ein Gefühl „äußerster Gottverlassenheit“ (UW 163), ja „geistiger Leere und Langeweile“ (UW 164), was bis zur „Gefahr der äußersten Verzweiflung“ (UW 165) führen kann. Aber wenn die Seele schließlich „in dieser äußersten Bedrohung standgehalten hat, dann tritt plötzlich die Erlösung ein. Die abgründige Finsternis der ,Dunklen Nacht‘ beginnt zu weichen. Neues Licht strömt auf einmal von allen Seiten in ihr Inneres herein. (...) Sie hat sich jetzt der letzten Phase der Erleuchtung genähert.“ (Ebd.) Den „Höhepunkt der mystischen Entwicklung der Seele“ deutet Wust mit einem Hinweis auf die Symbolik von Albrecht Dürers „Hieronymus im Gehäus“ – die bildende Kunst scheint hier als Ausdrucksmittel angemessener zu sein als die Sprache:

„Wir sehen, wie die Zelle des Einsiedlers ganz in ein überirdisches Licht getaucht ist. Dieses Licht quillt förmlich aus den Wänden hervor und durchrieselt die winzigsten Dinge in der Umgebung des Klausners. Im Vordergrund liegt der Löwe ganz zahm und friedlich – der Dämon der Selbstsucht ist bezwungen. Der Einsiedler ist ganz in Andacht vertieft in das Heilige Wort der Schrift: seine erlöste Seele ist ganz Hingabe geworden. Die Sabbatstille des siebenten Tages erfüllt ihn selbst wie den ganzen Raum um ihn her. Alles atmet hier jenen Frieden, den die Welt nicht geben kann. Der ,sopor mysticus‘, der mystische Schlaf der ,Einung‘, hat die Seele ganz umfangen. Nicht sie selbst wirkt jetzt mehr, sondern Gott ist es, der noch allein in ihr wirkt.“ (UW 166)

Eigensinn und Bindung

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