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Eine erfolgreiche

Achtsamkeitspraxis aufbauen

Wenn wir uns einfach hinsetzen und versuchen, 45 Minuten lang still unseren Atem zu beobachten, dann wird diese Zeit wohl für die meisten von uns zu einer Übung in Frustration werden. Schon alleine das hektische, geistige Geplapper lässt dieses ganze Achtsamkeitsvorhaben als ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen, wir fühlen uns unfähig und verlieren jegliche Lust. Und unser Gehirn verknüpft Achtsamkeit dann mit Ärger und Selbstkritik.

Statt es so anzugehen, dass eine frustrierende Erfahrung absehbar ist, wollen wir unsere Achtsamkeitspraxis so planen, dass wir Erfolg haben können. Beginnen Sie mit einer Zeitspanne und Frequenz, die angenehm, klärend und bestärkend für Sie ist.

Wir können uns die Achtsamkeitspraxis als Pflanze vorstellen, die eben eine bestimmte Menge an Sonne, Wasser und Erde braucht, um gedeihen zu können. Die Elemente, die unser achtsames Bewusstsein wachsen und erblühen lassen, sind ganz einfach: die Position, in der wir üben, die Intentionen, die wir setzen, die Unterstützung, die wir uns holen, und die Zeit, die wir für unsere Praxis einplanen.

Es gibt vier wesentliche Körperhaltungen für die Achtsamkeitspraxis: Sitzen, Gehen, Stehen und Liegen. Unser Ziel ist es, jede Haltung bewusst und achtsam wahrzunehmen, einschließlich der Haltung, in der wir das Geschirr waschen, an die Tafel schreiben und mit unserem Partner streiten. Die folgenden Empfehlungen beziehen sich auf die achtsame Sitzposition. Zunächst ist es hilfreich, die Ablenkungen beim Sitzen so gering wie möglich zu halten, damit wir uns wirklich konzentrieren können. Deswegen ist ein ruhiger Sitzplatz gerade am Anfang von Vorteil. So kräftigen wir unsere Aufmerksamkeit, bevor wir dann irgendwann auch im Schulumfeld den von uns gewählten Fokus halten können.

Einen Platz schaffen

Unsere Häuser und Wohnungen haben bestimmte Plätze, an denen wir essen, unseren Körper reinigen und uns ausruhen. Genauso schaffen wir bewusst einen Platz, an dem wir unsere Achtsamkeit vertiefen wollen. Natürlich ist es letztlich das Ziel jeden Ort mit offenherziger Präsenz zu erfüllen, doch um diese Fähigkeit zu entwickeln, schaffen wir uns einen achtsamen Sitzplatz, zu dem wir immer wieder zurückkehren können, wie an einen sicheren Hafen. Wenn Sie genug Platz haben, können Sie ein Achtsamkeitszimmer einrichten, es kann aber auch einfach eine Ecke Ihres Schlafzimmers sein, die Sie mit Blumen und Bilder von inspirierenden Lehrenden oder kleinen Kunstwerken gestalten. Wenn wir unseren Sitzplatz mit Schönheit und Bedeutung gefüllt haben, ist es jedesmal ein kleines Geschenk, sich dort niederzulassen.

Auch in der Natur kann man sich einen Sitzplatz schaffen. Wenn es eine schöne Bank in einem Park in Ihrer Nähe gibt, können Sie sich dorthin zurückziehen, um still zu werden und der Natur zu lauschen. Sie können den Wechsel der Jahreszeiten beobachten und die Zugvögel, wie sie kommen und gehen. Vielleicht lernen Sie etwas über die Natur und vielleicht auch über die Natur unseres Geistes.

Auch in unseren Klassenzimmern können wir einen sicheren Hafen schaffen. Oft wissen Lehrende nicht, woher sie 20, ja sogar fünf Minuten für eine Achtsamkeitsübung nehmen sollen. Wenn wir einen achtsamen Platz in der Klasse haben, kann man ihn auch für bloß 30 Sekunden dafür aber mehrmals täglich aufsuchen. Dieser Platz dient als eine Art Gedächtnisstütze. Wir können dort ein Gedicht hinlegen, das uns am Herzen liegt, eine Pflanze aufstellen, irgendetwas, das uns daran erinnert unser Tempo herunterzufahren, einen tiefen Atemzug zu nehmen und zu unserem Herzen zurückzukehren. Wenn wir in einer Pause oder zu Mittag Zeit finden, können wir an diesem Platz auch 10 oder 20 Minuten lang achtsames Atmen oder Mitgefühl praktizieren.

Eine Zeit festlegen

Wie lange und wie oft sollen wir sitzen? Zu Beginn ist das Wichtigste, sich für eine Zeitspanne zu entscheiden, die unsere momentanen Fähigkeiten nicht übersteigt. Wenn Sie gerade mit Achtsamkeit beginnen und irgendeiner Idealvorstellung nachhängen, dass man zweimal täglich 40 Minuten sitzen sollte, stehen die Chancen gut, dass Sie das nicht schaffen werden und das Ganze in einen Kampf gegen sich selbst ausartet. Überlegen Sie einfach, welche Zeit realistisch und machbar ist. Wenn das jeden Morgen zehn Minuten sind, dann legen Sie das für sich fest. Sie können die Zeit jederzeit erweitern, wenn Sie sich motiviert fühlen und Ihre Praxis vertiefen wollen.

Man kann sowohl die Länge der Praxis als auch die Tageszeit im Laufe der Zeit anpassen. Denken Sie daran, dass Ihre Praxis einer Pflanze ähnelt, die eine bestimmte Menge Sonne und Wasser braucht. Versuchen Sie morgens 15 Minuten lang zu sitzen und schauen Sie, was das mit Ihnen macht. War es zu lange? Versuchen Sie abends zu sitzen. Waren Sie da zu müde? Vielleicht haben Sie Kinder, vielleicht sind Sie ein Morgenmensch, vielleicht müssen Sie um fünf Uhr morgens aufstehen, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein – finden Sie den richtigen Zeitpunkt in Ihrem spezifischen Tagesablauf und verpflichten Sie sich zu einer machbaren Dauer der Übung.

Wenn wir uns für eine Praxis entscheiden, dann sollten wir es so angehen, dass unsere Chancen auf Erfolg möglichst gut stehen. Achtsamkeit ist keine Strafe, sie ist eine Geschenk. Wir können unsere Achtsamkeitszeiten im Kalender festhalten, damit wir sie nicht vergessen. Wir können einen Wecker stellen, und uns während des Tages immer wieder daran erinnern lassen, kurze Achtsamkeitspausen einzulegen. Wenn wir dann gerade die Straße runtergehen oder unter der Dusche sind, halten wir kurz inne und genießen den Augenblick.

Die richtige Haltung einnehmen

Was nun folgt, ist die Grundlage für das achtsame Sitzen. Wenn wir eine Haltung einnehmen, dann legen wir den Grundstein, von dem aus unser Bewusstsein wachsen kann. Denken Sie an einen dreibeinigen, stabilen Stuhl. Sie sollten an drei Punkten Kontakt mit der Erde haben. Manche Praktizierende sitzen zu Anfang mit verschränkten Beinen und angehobenen Knien. Das führt mit Sicherheit irgendwann zu Rückenschmerzen. Wenn Sie auf einem Kissen sitzen können und Ihre Knie den Boden berühren, ist das großartig, doch da die meisten von uns daran gewöhnt sind auf Stühlen zu sitzen, kann es sein, dass Ihr Körper sich dagegen wehrt. Sie können immer auf einem Stuhl oder auf einer Meditationsbank sitzen. Für welche Haltung Sie sich auch entscheiden, sorgen Sie dafür, dass entweder Knie oder Füße gut auf dem Boden aufliegen und Sie stabil sitzen. Wenn Ihr Körper spezielle Bedürfnisse hat oder Sie unter Schmerzen leiden, dann legen Sie sich hin oder üben im Stehen. Wir müssen eine Haltung finden, die gut machbar ist und die uns den Kontakt zur Erde spüren lässt.

In sitzender Haltung ist es hilfreich das Becken leicht nach vorne zu kippen, damit die Wirbelsäule nicht nach hinten zusammensinkt. Öffnen sie ganz natürlich die Brust, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Wirbelsäule und richten Sie sich auf.

Wenn Sie auf einem Stuhl sitzen, dann setzen Sie sich ein wenig nach vorne und lehnen Sie sich nicht an. Wenn Sie merken, dass Sie zusammensinken oder sich zurücklehnen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch Ihr Geist an Wachheit und Fokus verliert.

Die Hände lassen Sie im Schoß oder auf den Knien ruhen. Es ist nicht nötig, sie auf eine bestimmte Weise zu halten, aber lassen Sie sie besser nicht an der Seite hängen. Nehmen Sie bewusst wahr, wie und wo Ihre Hände liegen.

Während Sie sitzen, können Sie Ihre Augen halb oder nur ein klein wenig offen lassen. Das erinnert uns daran, unsere Aufmerksamkeit halb nach innen und halb nach außen zu richten. Wir entspannen uns und sind gleichzeitig sehr bewusst. Wenn es Sie zu sehr ablenkt, die Augen geöffnet zu lassen, ist es auch völlig in Ordnung sie zu schließen.

Jedesmal, wenn Sie mit der Praxis beginnen, nehmen Sie diese Haltung ein. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren ganzen Körper. Nehmen Sie einige Atemzüge, bei jedem Einatmen fühlen Sie sich groß und fokussiert, wie eine Eiche, bei jedem Ausatmen entspannen Sie sich und lassen in die Erde hinunter los. So schaffen Sie eine solide körperliche Grundlage für Ihre Praxis.

Eine Intention setzen

Nachdem wir eine Haltung eingenommen haben, ist es äußerst wichtig, sich die Absicht unserer Praxis in Erinnerung zu rufen. „Warum tue ich das?“ ist eine gute Frage für jeden Tag und jede Praxis. Warum wollen wir unseren Geist fokussieren, unseren Körper entspannen und unser Herz öffnen?

So verbinden wir uns mit der grundlegenden Bedeutung dieser Praxis. Wir arbeiten hart daran, im gegenwärtigen Augenblick präsent zu sein, für unser eigenes Leben und zum Nutzen unserer Schülerinnen und der Welt. Es gibt so viel Chaos in unserem Geist, unseren Beziehungen und unserer Gesellschaft, betrachten wir die Intention dieser Praxis als Gegengewicht.

Sich Unterstützung holen

Sobald wir zu üben beginnen, merken wir, wie hilfreich eine Gemeinschaft und eine Lehrende für unsere Weiterentwicklung sind. Wenn es ein Achtsamkeitszentrum in Ihrer Nähe gibt, dann nutzen Sie dieses Angebot unbedingt. Sie können auch mit anderen Lehrern eine Gruppe gründen, die einmal pro Woche zusammen sitzt oder jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn für 10 Minuten zusammenkommt. In der Gruppe zu praktizieren, gibt ihnen den Auftrieb, den ein Zugvogel erhält, wenn er mit seinem Schwarm fliegt. Falls Sie keine Achtsamkeitsgruppe in Ihrer Nähe finden, gibt es großartige Kurse und Lehrerinnen, sowie eine Vielzahl an geleiteten Achtsamkeitsmeditationen online.

Ob man nun eine Gemeinschaft hat oder nicht, zu Beginn unserer Praxis verbinden wir uns in jedem Fall mit unseren Lehrern und der Achtsamkeitsgemeinde in ihrer Gesamtheit. Nachdem wir eine Intention gesetzt haben, denken wir liebevoll an unsere Gemeinschaft, unsere Ältesten, Lehrerinnen und Vorbilder. Stellen Sie sich vor, dass sie alle sich um Sie versammelt haben und Sie mit wohlwollenden Augen anblicken. Stellen Sie sich Ihre weisen Großeltern vor, Menschen, die Sie inspirieren, möglicherweise auch Ihre besten Freunde. Sie können alle Menschen miteinbeziehen, von denen Sie sich unterstützt fühlen, und die Sie als weise Lehrer achten. Uns mit diesen wohlwollenden Menschen zu verbinden, spannt ein Netz der Unterstützung für unsere Praxis.

Fokus entwickeln

Nachdem wir unsere Haltung eingenommen, unsere Intention gesetzt und uns mit dem Kreis an Unterstützerinnen verbunden haben, können wir Aufmerksamkeit entwickeln. Es gibt viele Dinge, auf die wir unsere Aufmerksamkeit zu Beginn unserer Praxis richten können: den Atem, die Empfindungen in unserem Körper oder ein Objekt, auf das wir unseren Blick fokussieren. Zu Anfang bemerken Sie wahrscheinlich, wie leicht sich Ihr Geist ablenken lässt. Ständig muss die Aufmerksamkeit zu Ihrem Fokus zurückgeholt werden. Im Alltagschaos braucht unser zerstreuter Geist einen Fokus, oft ist es der Atem, um uns neu auszurichten.

Anfangs bleibt unser Geist vielleicht nur 25 Prozent der Zeit beim Objekt unserer Aufmerksamkeit, 75 Prozent ist er in Gedanken verloren. Mit Konsequenz und Durchhaltevermögen verschiebt sich das Verhältnis Konzentration – Ablenkung auf etwa 50:50 und irgendwann gelingt es uns dann, unsere Aufmerksamkeit mindestens 75 Prozent der Zeit auf dem gewählten Objekt zu halten.

Sobald wir den Aufmerksamkeitsmuskel gekräftigt haben, besteht der nächste Schritt in unserer Praxis darin, uns nicht mehr auf nur ein Objekt zu konzentrieren, sondern zu öffnen und in den Strom des Bewusstseins einzutreten. Das können wir gleich jetzt versuchen. Suchen Sie sich irgendetwas in Ihrem Blickfeld und sehen Sie es eine Minute lang an. Öffnen Sie dann Ihren Blick so, dass Sie alles gleichzeitig wahrnehmen – eine Art Wegtreten, nur dass wir es ganz bewusst tun. Wir nehmen wahr, dass das ursprüngliche Objekt noch da ist, doch nun als Teil einer größeren Landschaft. Zuerst entwickeln wir unsere Aufmerksamkeit an einem Objekt, auf das wir unseren Fokus richten, dann lernen wir die Kunst, uns für ein größeres Feld des Bewusstseins zu öffnen, das Atem, Klang, Gefühle und Gedanken in sich trägt; unser Fokus weitet sich, so dass wir alles zugleich aufnehmen können.

Die Übung beschließen

Das Ende unserer Übung muss nicht das Ende unserer Achtsamkeit bedeuten. Wir können achtsam unsere Augen öffnen, achtsam Nachrichten auf unserem Handy checken, was immer wir tun, können wir auch achtsam tun. So gewinnt unsere Praxis eine Kontinuität, die uns von unserem Sitzplatz direkt in jede Ecke und jeden Winkel unseres Lebens führt.

Bitte bringen Sie am Ende Ihrer Praxis allem, was sich während der Übungszeit gezeigt hat, Wertschätzung entgegen. Eine erfolgreiche Praxis misst man nicht daran, wie gelassen wir waren oder wie wenige Gedanken wir hatten. Wenn es ein Maß für unseren Fortschritt gibt, dann besteht er darin, wie offen und empathisch wir dem begegnen, was im Feld unseres Bewusstseins zu Tage tritt. Am Ende der Praxis danken wir jedem Besucher, der unser Bewusstsein betreten hat, ob es sich nun um Wut, Angst, Frieden oder Freude handelt. Würdigen wir unsere Fähigkeit, präsent und offen zu bleiben, demgegenüber was ist. Dann beschließen wir, den Rest des Tages in dieser interessierten, empathischen Präsenz zu verweilen.

Die achtsame Schule - Praxisbuch

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