Читать книгу Verborgene Spuren in Schloss Ludwigsburg - Daniel Schulz - Страница 11
Forschungsmethode und Forschungsstand
ОглавлениеMeine Arbeit behandelt einerseits die barocke Hochkunst, die Ikonographie des Gebäudes und seiner Ausstattung. Anderseits befasst sie sich mit den Spuren, die Künstler und Handwerker als Graffiti an die Wände gekritzelt haben und mit den Hinterlassenschaften der Schlossbewohner, die als Depotfunde ihren Weg unter den Fussboden fanden. Darauf spielt der Titel der Dissertation an: Die Graffiti entstammen mehrheitlich der Schlossbauzeit Herzog Eberhard Ludwigs, während die Fundstücke überwiegend aus der Zeit König Friedrichs I. von Württemberg stammen, aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Mein Forschungsvorhaben habe ich unter folgenden Fragestellungen betrieben:
- Lässt sich die (Bau-)Geschichte des Schlosses aus der Perspektive der Arbeiter, Handwerker und Künstler anhand der überlieferten Quellen darstellen?
- Welcher Code steht hinter den Skulpturen, Gemälden und Fresken und schlagen sich biographische Ereignisse aus dem Leben des Schlossbauherrn Eberhard Ludwig in der Ikonographie nieder? Was ziehen wir heute für Erkenntnisse aus der barocken Ikonographie?
- Warum sind Graffiti für Historiker/Kunsthistoriker/Empirische Kulturwissenschaftler von Interesse? Welche Einblicke bekommt man durch sie, die andere Quellen nicht vermitteln?
- Lässt sich anhand der Fundobjekte die Alltagsgeschichte im Schloss darstellen oder illustrieren?
- In was für einem Verhältnis stehen „High & Low“? Spiegelt sich darin eine Sozialgeschichte und gibt es eine Parallelwelt in einem Schloss?
Dabei ignoriere ich die „klassische“ Baugeschichte, die mobile Ausstattungsgeschichte des Schlosses und die Umbauphase unter König Friedrich, da dies bereits umfangreich erforscht und dargestellt wurde.
Ich betreibe meine Forschungen nicht nach einer bestimmten Methodik, sondern nach einer Kombination aus Methoden der Kunstwissenschaft, Soziologie, Geschichte, Ethnologie, Philosophie und Denkmalpflege.
Aby Warburg und Erwin Panofsky entwickelten die Ikonographie und die ikonologische Methode als ein Analyseinstrument zur Untersuchung von Kunstobjekten und visueller Phänomene in der Bildenden Kunst. Diese Methode bildet die Grundlage zur Entschlüsselung des „Eberhard-Ludwig-Code“, der hinter der Schlossausstattung mit Fresken und Skulpturen steht. Während sich die Ikonographie mit der Bestimmung und Deutung von Motiven und Attributen, Inhalt und Symbolik der Bildgegenstände befasst, berücksichtigt die Ikonologie zusätzlich zeitgenössische literarische und bildliche Quellen, die auf die jeweiligen Motive und ihre Darstellungsweise Einfluss hatten. Für die Motive barocker Allegorien gab es Musterbücher, von denen die „Iconologia“ des Cesare Ripa am einflussreichsten war.
Die Ikonologie untersucht nationale, epochale, religiöse oder philosophische Prinzipien, die über das Kunstwerk hinausweisen, es in einen größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang stellen und so zu einem Zeitdokument machen. Damit bedingt die ikonologische Methode einen interdisziplinären Forschungsansatz. Dabei spielt zunächst die Kunstsoziologie nach Martin Warnke eine Rolle, die Erforschung der politischen und sozialen Bedingungen unter denen Kunstwerke entstanden, sowie deren politische Wirkung.
Im geschichtlichen Bereich beeinflusst meine Forschungen die Figuration, bzw. das Interdependenzgeflecht, ein von Norbert Elias in die Soziologie eingeführter Begriff, der das soziale Zusammensein von Individuen, deren wechselseitige Abhängigkeit und die Verteilung von Machtquellen untersucht. Verschiedene untereinander abhängige Individuen (Spieler) treffen sich in einer Figuration, einem dynamischen sozialen Netzwerk. In seiner bahnbrechenden Studie „Die höfische Gesellschaft“ untersuchte Elias ein solches Geflecht am Bespiel des französischen Hofs Ludwigs XIV. Sybille Oßwald-Bargende nutze die Methode der Figuration in ihrer Studie „Die Mätresse, der Fürst und die Macht“ über Wilhelmina von Grävenitz. Ihr Forschungsansatz gab meiner Arbeit wichtige Impulse.
Daran knüpft die Spurensicherung nach Carlo Ginzburg an, die nach einer Sherlock-Holmes-Methode vorhandene Spuren analysiert, kombiniert und auch nebensächliche Indizien auswertet. Diese Methode geht auf den Kunstanalytiker Morelli zurück. Morelli erschloss die individuelle Handschrift eines Künstlers aus der Gestaltung von Details wie Ohrläppchen, Händen, der Form von Fingern, Fingernägeln oder Füßen. Ginzburg vergleicht diese Methode mit der Technik Sherlock Holmes, der tatsächlich ein literarischer Zeitgenosse Morellis war. So konnte Holmes durch die anatomische Analyse eines abgeschnittenen Ohres Verwandtschaftsverhältnisse aufdecken. In diesem Zusammenhang ist die Mikrogeschichte bedeutend, eine geschichtswissenschaftliche Forschungsrichtung, die ihre Erkenntnisse durch detaillierte Analysen von relativ überschaubaren Forschungseinheiten erzielt. Das historische Detail liefert bei der kleinräumigen Betrachtung wieder Aussagen über größere geschichtliche Zusammenhänge. Daran knüpft die „dichte Beschreibung“ des Ethnologen Clifford Geertz an, der Gesellschaften aus der Perspektive der handelnden Personen untersucht, nicht vom Standpunkt des außenstehenden Betrachters. Geertz verwendet seit 1973 einen „semiotischen“ Kulturbegriff, der auf zeichenhaften Bedeutungen beruht. Er bezieht sich auf Max Weber und dessen Bild von einem „selbstgesponnenen Bedeutungsgewebe“ in dem der Mensch verstrickt ist. Kultur ist ein ständig in Herstellung und Wandlung befindliches Gewebe, das immer wieder neue Interpretationen und Bedeutungen erfährt. Geertz spricht auch von einem Code, dessen symbolischer Gehalt entschlüsselt werden muss. Dabei bezieht der Forscher seine eigene Rolle und Herangehensweise in die Beschreibung mit ein, denn unsere Erwartungen und unser Hintergrundwissen fließen immer in jede Interpretation mit ein.
Eine weitere wichtige Rolle in meinen Forschungen spielt die Spurensicherung als Form der Konzeptkunst, die Günter Metken definierte, eine Kunstrichtung, die sich seit den späten 60er Jahren mit äußerlich wahrnehmbaren zeitlichen Ablagerungen und mit inneren Tiefenschichten befasst. Die Spurensicherung betreibenden Künstler beschäftigen sich mit in Vergessenheit geratenen Kulturen, versuchen künstlerisch Spuren aller Art festzuhalten, entwerfen individuelle Mythologien und entwickeln aus Relikten realer oder erfundener Kulturen Aussagen über das Menschsein. Einige Künstler betreiben eine regelrechte Feldforschung indem sie ihr persönliches Umfeld oder ihre eigenen Gefühle untersuchen. Dieses künstlerische Vorgehen ähnelt der archäologischen Methode des Aufdeckens von Strukturen in Schichten (Schichtengrabung).
Spurensuche und Spurensicherung ist aber nicht nur ein Thema in Kunst und Geschichte, sondern auch relevant für die Denkmalpflege. Deshalb versuche ich das Thema Spurensuche mit einem kunstwissenschaftlichen und denkmalpflegerischen Ansatz zu verbinden.
Hierbei sind Theorien der Denkmalpflege von Bedeutung, insbesondere von Georg Dehio und Alois Riegl. Dehio wandte sich um 1900 gegen den damals üblichen purifizierenden Weiterbau alter Baudenkmäler, gegen die praktizierte Regotisierung von Kirchen (bei der alle anderen Stilrichtungen ausgeblendet wurden) und geißelte die mit dieser propagierten Stilreinheit verbundenen Zerstörungen als restauratorischen Vandalismus an. Sein Wahlspruch lautete „Konservieren, nicht Restaurieren!“ Dehio wirkte damit maßgeblich auf den sich damals neuformierenden und positionierenden Denkmalschutz ein. Alois Riegl ordnete dem Denkmal Gegenwartswerte und Erinnerungswerte zu, dessen Kern der Alterswert darstellt. Viele von Dehios und Riegls Forderungen und Thesen flossen in die 1964 aufgestellte Charta von Venedig ein, die internationale Richtlinie der Denkmalpflege.
Schließlich sind im Zusammenhang mit meinen Forschungen Theorien zu Gedächtnis und Erinnerungskultur relevant, z.B. von Paul Ricoeur, der das Problem des Erinnerns und den Zusammenhang mit dem kulturellen Gedächtnis erforscht.