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Aufmerksamkeit
Worum geht es?
Aufmerksamkeit* ist der Prozess*, der die Richtung des Energie- und Informationsflusses* formt. Aufmerksamkeit kann im Bewusstsein* sein, dann sind wir uns des Objektes unserer Aufmerksamkeit bewusst. Aufmerksamkeit kann auch nicht-bewusst* sein, dann ist der Energie- und Informationsfluss ausgerichtet, doch wir uns dieses Flusses* nicht bewusst. Die Fachbegriffe dafür sind fokale (bewusste) und nichtfokale (unbewusste) Aufmerksamkeit.
Implikationen: Was bedeutet Aufmerksamkeit für unser Leben?
Wenn wir das Gewahrsein* nutzen, um absichtsvoll die Richtung des Energie- und Informationsflusses zu verändern, stärken wir die Fähigkeit zu fokaler Aufmerksamkeit, durch die wir die Möglichkeit zur Entscheidung und Flexibilität stärken. Wir können auswählen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken, wir können diese Aufmerksamkeit aufrechterhalten und dann die Aufmerksamkeit wechseln, wenn es nötig ist. Wir können Kindern, Jugendlichen und sogar Erwachsenen vermitteln, wie sich die fokale Aufmerksamkeit stärken lässt. In vielerlei Hinsicht ermöglicht uns die fokale Aufmerksamkeit, Absichten* in Handlungen zu verwandeln und dabei ein Gefühl von Sinn und Entscheidungsfreiheit zu empfinden. Wenn in einem Moment die fokale Aufmerksamkeit verwendet wird, wird unsere explizite Erinnerung* für dieses Ereignis effektiver gebildet. Die langfristige Codierung* der Erinnerung erfordert die Festigung der synaptischen Verknüpfungen* zwischen Neuronen* durch langfristige Potentiation. Wenn diese Formen von gespeicherter Erinnerung explizit codiert werden, dann sind sie als faktische und autobiographische Repräsentationen* zugänglich und können, wenn nötig, durchsucht werden. Die explizite Erinnerung ist flexibler und flüssiger als ihr impliziter Gegenpart.
Auch die nichtfokale Aufmerksamkeit formt unsere Erinnerung, aber sie beeinflusst vor allem die implizite Erinnerung*, die unsere Emotionenn*, Wahrnehmungen*, unser Gefühl, mit etwas vertraut zu sein, und unseren körperlichen Ausdruck codiert* und speichert*. Wenn die fokale Aufmerksamkeit blockiert ist, wie es bei einer traumatischen* Erfahrung der Fall sein kann, dann kann die explizite Erinnerung, die im Hippocampus* in der limbischen Region* entsteht, nicht gebildet werden. Auch in solch einer Situation formen sich Verbindungen zwischen den Neuronen – die Grundlage von Erinnerung –, aber daran sind Regionen des Gehirns* beteiligt, die nicht durch den Hippocampus miteinander verknüpft sind. Diese impliziten neuronalen Verbindungen beeinflussen dann unsere Gefühle, Gedanken, unsere Entscheidungsfindung und unsere Verhaltensreaktionen, doch oft kennen wir die Ursachen dieser impliziten Einflüsse nicht. Ein Beispiel: Studien deuten darauf hin, dass die Basalganglien, die unter dem Cortex* liegen, für regelkonformes Verhalten verantwortlich sind, das man implizit erlernen und automatisch anwenden kann. Zudem scheint die Amygdala* auch die emotionalen Reaktionen – beispielsweise Angst – implizit zu verschlüsseln, weshalb wir durch Priming darauf vorbereitet werden, in dieser Weise zu reagieren.
Eine Erklärung für diese Forschungsergebnisse wäre, dass die nichtfokale Aufmerksamkeit die Informationen* formt, die in der impliziten Erinnerung gebildet werden. Diese neuronale Verbindung benötigt nicht den Hippocampus zur Codierung oder zur Wiedererinnerung*. Mit anderen Worten, wenn Informationen ohne Gewahrsein (nichtfokal) reguliert* werden, dann werden neuronale Netze* aktiviert, die die Erfahrung als implizite Erinnerung codieren und speichern. Der Hippocampus ist nicht daran beteiligt, denn diese integrative Struktur benötigt Gewahrsein (Präsenz mit fokaler Aufmerksamkeit), um die Integration* von Erfahrungen zu gewährleisten. Deshalb sind die Elemente, die gebildet werden, wenn nur die nichtfokale Aufmerksamkeit benutzt wird, um eine Erfahrung zu verarbeiten, nur in einer impliziten Form vorhanden.
Geteilte Aufmerksamkeit ist der Prozess, bei dem die fokale Aufmerksamkeit auf einen Aspekt einer Erfahrung gelenkt wird, zum Beispiel ein nicht-traumatisierendes Element der Umgebung während eines Angriffs. Die nichtfokale Aufmerksamkeit wird auf ein anderes Element einer Erfahrung gerichtet, beispielsweise auf den traumatisierenden Aspekt des Ereignisses. In der Erfahrung der geteilten Aufmerksamkeit sind wir uns dessen bewusst, was im Brennpunkt der fokalen Aufmerksamkeit lag, doch wir sind uns nicht der nichtfokal wahrgenommenen Elemente bewusst; sie werden in impliziter Form codiert und gespeichert. Auf diese Weise kann geteilte Aufmerksamkeit zu einer Blockade der expliziten Codierung der traumatischen Aspekte einer Erfahrung führen, weil diese Aspekte während der Erfahrung nicht im Brennpunkt der Aufmerksamkeit lagen. Nur implizite Elemente werden codiert und gespeichert. Zusätzlich zum Mechanismus der geteilten Aufmerksamkeit kann die Freisetzung großer Mengen Cortisol die Aktivierung des Hippocampus noch stärker behindern. So wird die explizite Codierung einer überwältigenden Erfahrung verhindert. Die gleichzeitige Freisetzung von Katecholaminen (Noradrenalin oder Adrenalin) kann zudem die Codierung impliziter Erinnerung der Aspekte des Traumas verstärken, die körperlich schmerzhaft und emotional leidvoll sind und die mit nichtfokaler Aufmerksamkeit wahrgenommen wurden. Leider werden die nichtfokale Aufmerksamkeit und die darauf folgende Bildung impliziter Erinnerungen an eine traumatische Erfahrung nicht von der Teilung der Aufmerksamkeit behindert. Sie könnten durch diese Freisetzung von Noradrenalin sogar noch verstärkt werden.
Dieses Profil der zunehmenden impliziten Erinnerung und der blockierten Codierung expliziter Erinnerung bei einer traumatischen Erfahrung könnte ein wichtiger Mechanismus bei der Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung sein. Aus Sicht der Interpersonellen Neurobiologie* ist ein Trauma ein schmerzvolles Beispiel für eine mangelhafte Integration.
Ein Verständnis dessen, was für eine Rolle nichtfokale Aufmerksamkeit und fokale Aufmerksamkeit bei der unterschiedlichen Codierung impliziter und expliziter Erinnerung spielt, kann uns nicht nur helfen, die Wirkung von Traumata auf den Geist* zu verstehen, sondern es kann auch zu neuen Strategien der klinischen Intervention führen. Beeinträchtigte Integration könnte im Zentrum des Prozesses stehen, durch den negative physiologische Reaktionen und geteilte Aufmerksamkeit einen Menschen beeinflussen. Demgemäß wären integrative Interventionen die gebotene Verfahrensweise bei der Behandlung von traumatischen Erfahrungen. Wenn wir traumatisierten Menschen die Fertigkeiten des achtsamen Gewahrseins*, der inneren Bilder und der Ressourcenbildung lehren, können sie den Fokus ihrer Aufmerksamkeit nutzen, um ihren inneren Zustand* der Fehlregulation* zu verändern. Aufmerksamkeit kann eine wichtige Rolle spielen, um die Konfiguration posttraumatischer Erinnerung in einen besser integrierten Zustand zu verwandeln, der mit dem Heilungsprozess einhergeht.
Aus Sicht der Interpersonellen Neurobiologie ist Aufmerksamkeit das „Skalpell“, durch das sich neuronale Pfade umgestalten lassen: Aufmerksamkeit wirkt für einen Kliniker oder Lehrer so wie das Skalpell für einen Chirurgen. Durch fokale Aufmerksamkeit können Menschen darin bestärkt werden, ihre neuronalen Neigungen, die als Reaktion auf das Trauma entstanden sind, in neue Zustände integrativer Aktivierung zu verwandeln. Kinder, deren Lehrer ihre Vorstellungskraft nutzen und sie inspirieren, aufmerksam zu sein, werden in der Lage sein, zu lernen und ein Gerüst des Wissens über sich selbst und die Welt auszubilden. Aufmerksamkeit ist die Triebkraft für Veränderung und Wachstum.
Aufmerksamkeit ist der Prozess, der den Energie- und Informationsfluss reguliert. Auf diese Weise ist es nicht das, was der Geist „tut“, sondern was der Geist „ist“. Aufmerksamkeit steht beispielsweise bei Menschen, die ein Trauma erfahren haben, im Zentrum der Symptome, durch die sich ihr Leiden manifestiert. Eine gesteigerte Wachsamkeit für subtile Stimuli, die jemanden an ein schmerzvolles Ereignis in der Vergangenheit erinnern, zeigt, wie die Aufmerksamkeit vom Trauma in Besitz genommen (versklavt) wurde. Betäubung ist eine Möglichkeit, wie fokale Aufmerksamkeit – Aufmerksamkeit mit Gewahrsein – blockiert wird, so dass Signale des Körpers nicht mehr wahrgenommen werden können. Die Aufmerksamkeit wird vom Trauma gebunden.
Wie steht dies mit der Integration in Verbindung? Wenn bei einem Menschen Chaos* oder Erstarrung* festgestellt wird, kann der Bereich des Lebens, in dem die Integration behindert ist, in den Mittelpunkt der klinischen Intervention gestellt werden. Zu einer Intervention gehört die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf weniger entwickelte Bereiche, damit sie differenzierter* werden. Als Nächstes werden dann die getrennten Bereiche durch die gleichzeitige Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Prozesse, die aus diesen differenzierten Bereichen entstehen, miteinander verknüpft. Die Kernaussage des Satzes, „Neuronen, die zusammen aktiviert werden, vernetzen sich*“, besteht darin, dass die Muster der neuronalen Aktivierung* sich aufgrund des Fokus der Aufmerksamkeit verändern. Dort, wo wir unsere Aufmerksamkeit hinlenken, wird die neuronale Aktivierung zwischen wechselseitig verbundenen Neuronen stimuliert. Diese Koppelung der neuronalen Aktivierung führt zu Veränderungen bei der Eiweißsynthese und der Zunahme synaptischer Verbindungen. So nutzen wir die Aufmerksamkeit, um im Gehirn neuronale Aktivierung und neuronales Wachstum zu stimulieren (SNAG*: stimulate neuronal activation and growth). Wenn sich die Muster der Aktivierung verändern, werden die neuronalen Verbindungen neu vernetzt.
Im Mindsight Institute, dem Zentrum der Interpersonellen Neurobiologie, verwenden wir diese Formulierung: „neue Vernetzungen inspirieren“. Das bedeutet, dass unsere Beziehungen* mit anderen uns dazu motivieren können, unsere Aufmerksamkeit auf neue und integrativer Weise zu fokussieren, so dass wir einen resilienten Geist und ein gesundes Gehirn entwickeln.