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Stadtgötter
ОглавлениеDie Hauptgötter hatten manchmal unterschiedliche Namen in verschiedenen Städten, was darauf hindeutet, dass z.B. die Mutter-, Liebes- und Kriegsgottheit eines Ortes mit der Inanna eines anderen gleichgesetzt worden war. Die Ähnlichkeiten indes waren noch groß genug, dass sie ein und denselben Namen tragen konnten. Die Ištar von Ninive im Norden sprach andere Menschen an als die Inanna von Uruk, und doch hatten beide etwas Gemeinsames.
Es gab auch viele kleinere Götter, die in bestimmten Städten auf bestimmte Weise verehrt wurden. Manchmal galten sie als führende Gottheit im lokalen Pantheon und wurden dabei anderen, berühmteren Göttern gleichgesetzt. In der Stadt Lagaš im Südosten zum Beispiel verblasste die Erinnerung an den Hauptgott Ningirsu (der Name bedeutet „Herr von Girsu“, einem bestimmten Teil der Stadt) irgendwann, doch man assoziierte ihn mit Ninurta („Herr der Erde“), einem Gott von Nippur; sie teilten gewisse kriegerische Eigenschaften und die Macht über die Fruchtbarkeit, und natürlich begannen beider Namen mit Nin-, was entweder „Herr“ oder „Dame“ heißt. Die Stadtgötter herrschten auf lokaler Ebene, aber manchmal besuchten sie auch andere Städte und deren Götter, mit Prozessionen auf dem Wasser, die jeden entlang ihres Wegs beeindruckt haben müssen (Sjöberg 1957–1971). Systematisch denkende Intellektuelle inkorporierten diese lokalen Götter als Kinder von Göttern, die verbreiteter waren.
Man kann vor allem an den Namen, die die Menschen einander gaben, ablesen, wie bedeutend solche lokalen Götter waren. Einige tauchten lediglich innerhalb ihrer eigenen Städte auf, und ihre Beliebtheit bei der Namensgebung schwand zusammen mit der Bedeutung ihrer Städte. Im Laufe der mesopotamischen Geschichte könnte es eine gewisse Homogenisierung von Namen gegeben haben, denn die Hauptgötter scheinen die lokalen Götter abgelöst zu haben. Doch selbst bei den Hauptgöttern gab es Tendenzen einzelner Städte, den oder die einen den anderen vorzuziehen.
Bei der Namensgebung glauben wir heute die Einstellung bzw. Gefühle der Eltern oder Verwandten nachvollziehen zu können, die diesen Namen für ihr Kind aussuchten. Diese Gefühle haben jedoch nicht immer etwas mit der Religion zu tun; Stil und Mode mögen ebenfalls eine Rolle gespielt haben, wenn auch vielleicht nicht so ausgeprägt, wie das heute der Fall ist. Ich erinnere mich an einen Cartoon im New Yorker von 1988 mit Müttern, die ihre Kinder zum Abendessen herbeirufen – und alle Kinder hießen Christopher. Aber das war vor langer Zeit, und all die Christophers haben inzwischen eigene Kinder, die sie anders genannt haben.