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Persönliche Götter
ОглавлениеEin Aspekt der mesopotamischen Religion, der nie ganz greifbar werden wird, ist die Existenz eines persönlichen Gottes. Das war ein Gott, der mit einem Individuum in Verbindung stand und manchmal offenbar keine andere Funktion hatte, als seine schützende Hand über diese Person zu halten. Auch die Hauptgötter konnten mitunter persönliche Götter sein. Herrscher wie die akkadischen Könige sahen Ištar, eine wirklich wichtige Göttin, als ihre persönliche Gottheit an, und Gudea, der Prinz von Lagaš, fühlte sich mit Ningirsu verbunden. Es sind aus diversen Epochen Formulierungen wie „sein“ oder „ihr Gott“ überliefert; manchmal bedeutet das nur, dass einer der Hauptgötter in besonderer Weise verehrt wurde, doch manchmal verweist dies auch auf eine kleinere Gottheit, die eine einzelne Person für sich zuständig wähnte. Diese Götter waren aber nicht etwa nur Engel oder Emanationen anderer Gottheiten; sie tauchen sogar in den allgegenwärtigen Präsentationsszenen auf Rollsiegeln auf.
Manchmal sieht man auf einem solchen Siegel, wie sich eine Person einem in königlicher Pracht dasitzenden Gott nähert. Der Besitzer tritt nicht etwa aus eigenem Antrieb vor den Gott, weil er ein so tugendhafter Mensch ist, sondern er wird von seinem persönlichem Gott geführt, der explizit als Gott und nicht als Mensch dargestellt ist, was man am gehörnten Kopfschmuck erkennen kann. Der persönliche Gott nähert sich dem bedeutenderen Gott dabei mit der gleichen demütigen Haltung wie der Mensch. Dennoch wandelt der geringere Gott auf der gleichen topographischen Ebene wie der bedeutendere Gott, und er ist mit diesem bekannt, was für den demütigen Menschen von Nutzen ist.
In gewisser Weise stellt die Existenz eines solchen persönlichen Gottes ein vereinfachendes Element in dem für die Menschen des Altertums sicherlich verwirrenden Durcheinander von Göttern dar. Sie wussten vielleicht, welcher Gott ihnen in einer bestimmten Situation helfen konnte (bei einer Krankheit beispielsweise), aber sich einem solch erhabenen Wesen direkt zu nähern, wäre ein beängstigender Gedanke gewesen. Für das Reich der Götter galt das Gleiche wie für den Bereich der Stadt: Wenn man einen Fürsprecher hatte, der die Probleme kannte, die einen Umtrieben, dann hatte man es einfach leichter.
Das Konzept des persönlichen Gottes war keine späte Entwicklung. Wir können es bereits in Personennamen aus dem 3. Jahrtausend ablesen (di Vito 1993: 272–275).