Читать книгу Die Religionen des alten Orients - Daniel Snell - Страница 17
Dämonen
ОглавлениеEs gab jedoch noch andere Geistwesen. Gespenster, Geister der Toten, schlichen umher, unzufrieden mit ihrem Schicksal. Sie mussten besänftigt werden, und das war manchmal ein Problem. Daneben existierten weitere Geister, manche waren böse, andere waren einem wohlgesonnen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man den schützenden persönlichen Gott, auf Akkadisch šedu, als ebensolchen kleinen Geist ansah, aber als einen verständigen, an den man sich wandte, wenn man Zuspruch und Hilfe brauchte. Die bösen Geister halfen einem da wahrscheinlich eher weniger; im Gegenteil, es konnte durchaus sein, dass sie einem übel mitspielten, ohne dass es überhaupt einen Grund dafür gab. Aus medizinischen Texten wissen wir, dass die einzige Methode, sich von einem solchen bösen Geist zu befreien, war, die Magie zu bemühen und den Zauber gegen etwas zu richten, das als Äquivalent des böswilligen Dämons galt. Man musste nicht besonders nett zu einem solchen Geist sein. Tatsächlich galten die bösen Geister eher als dumm, und die Sprache der Menschen verstanden sie ebenfalls kaum, daher begegnete man ihnen am effektivsten mit Beleidigungen und schrie sie an (Scurlock 2005).
Mesopotamische Pantheons sind schwer zu verstehen – das waren sie schon für die Menschen im Altertum –, doch wir können nachvollziehen, welche Art von Welt die diversen Götterabteilungen widerspiegelten. Es war eine Welt, in der es eine Hierarchie gab, aber nicht ganz klar war, wer in einem bestimmten Fall tatsächlich die Macht in Händen hielt. Die Hauptgötter achteten vielleicht nicht unbedingt auf einen einzelnen Menschen, aber dennoch musste man mit ihren gelegentlichen Bosheiten rechnen. Es gab viele Möglichkeiten, sie zu beleidigen, und doch erlitt man dadurch nicht zwangsläufig ein Unglück. Es gab genug kleinere Geister, die einen belästigen konnten, und um mit ihnen fertig zu werden, bedurfte es eines erfahrenen Magiers und der Intervention des persönlichen Gottes. Es war eine unsichere und instabile Welt, aber der persönliche Gott half einem, und manchmal ließen sich sogar die Hauptgötter dazu herab, einem ein Lächeln zu schenken.
Auf der untersten Stufe der göttlichen Späre, aber dennoch wichtig für die Menschen, war die Magie angesiedelt. Aus relativ späten Geschichten wissen wir, dass selbst die größten Götter Zaubersprüche benutzten, bestimmte Wortfolgen, die Kräfte beschworen, durch die sie bestimmte Dinge erreichten. Im akkadischen Schöpfungsepos (das mit den Worten: „Als oben“ beginnt) wird eine Schlacht beschrieben, auf deren Höhepunkt der Gott von Babylon Zaubersprüche verwendet, die besser sind als die Zaubersprüche der Göttin des Chaos – so gelingt es ihm, sie zu überwinden (Foster 2005: 459–460). Es scheint, als ob es hinter und über den Göttern eine gewaltige Kraft gab, die amoralisch und richtungslos war, auf die man aber durch den Einsatz der richtigen Worte zugreifen konnte. Kluge Menschen konnten sich dieser Macht ebenfalls bedienen, und die Archivierung und Weitergabe erfolgreicher Zaubersprüche war eine der wichtigsten Aufgaben der schriftlichen Überlieferung. Mittels Ritualen („Ritual“ bedeutet auf Sumerisch wörtlich „erledigte Dinge“) konnte man unter Umständen eine bestimmte Macht eines Gottes für sich erschließen – oder die amorphe Kraft der magischen Sphäre, die über den Göttern stand.
Heute debattieren wir viel über den Zusammenhang zwischen Religion und Magie, und beide scheinen in Mesopotamien eine enge Verbindung eingegangen zu sein (Cunningham 1999). Wenn man allerdings glaubt, bei der Religion gehe es immer nur um Götter, dann wird man nicht das damals herrschende eindringliche Gefühl nachvollziehen können, dass das Universum auch von Kräften gelenkt wurde, die nicht persönlich und auch nicht göttlich waren; und dass man, wenn man nur die richtigen Worte sprach, Zugriff auf ein „Sesam öffne dich“ bekam, das weder etwas mit Gerechtigkeit zu tun hatte noch mit Fairness oder irgendetwas anderem, sondern lediglich damit, ob man den richtigen Spruch kannte. Für uns stellt sich dadurch die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Religion, denn einige magische Handlungsweisen scheinen auf die Beschwörung von Naturgewalten hinzudeuten, die plötzlich freigesetzt wurden, wenn man die passenden Worte sprach. Für die Bewohner Mesopotamiens war Magie etwas Unpersönliches und Willkürliches. Jeder konnte sie nutzen, aber es war sinnlos, die Magie anzubeten, denn anders als die Hauptgötter konnte sie einem nicht persönlich antworten.