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Eine Definition von Zeit und Raum

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Wer als Student zum Wesentlichen der assyrisch-babylonischen Literatur vordringen will, muss alle konventionellen Untersuchungsmethoden vergessen.

– Edward Chierra, They Wrote on Clay, 1965, 44

Es war eine trockene Gegend dort, in der Nähe des Flusses, mit ein paar unkrautbestandenen Becken, pockennarbigen Überresten der letzten Regenfälle. Wenn der Wind wehte, war es durchaus angenehm, auch an einem heißen Sommernachmittag – gar nicht wie in anderen Wüsten, die er kannte und in denen einem der Flugsand ins Gesicht blies; weniger wie der Südwesten der USA, eher wie die fruchtbaren Ebenen des Mittleren Westens, die in einem schlechten Erntejahr zu einer unwirtlichen Gegend wurden, vor allem wenn der Wind den Staub aufwirbelte. Später stand er in einem solchen staubigen Sturm, sein Mund voll Sandkörnern – aber trotzdem ein Lächeln auf den Lippen, obwohl seine Crew kaum arbeiten konnte, während unter dem tiefblauen Himmel der sandige Wind heulte.

Würde man diese Gegend richtig bewässern, dann könnte es hier richtig paradiesisch sein, dachte er. Und dann erinnerte er sich daran, dass sie in ganz frühen Geschichten, zum Beispiel in der Bibel, genau so dargestellt war:

Und es ging aus von Eden ein Strom, zu wässern den Garten, und er teilte sich von da in vier Hauptwasser. Das erste heißt Pison, das fließt um das ganze Land Hevila; und daselbst findet man Gold. Und das Gold des Landes ist köstlich; und da findet man Bedellion und den Edelstein Onyx. Das andere Wasser heißt Gihon, das fließt um das ganze Mohrenland. Das dritte Wasser heißt Hiddekel Tigris, das fließt vor Assyrien. Das vierte Wasser ist der Euphrat. (1 Mose 2,10–14)

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Das war mein erster Eindruck jenes Teils von Syrien am Euphrat, als ich zum ersten Mal das Land besuchte, das vor langer Zeit einmal Mesopotamien hieß. Ich wühlte als Archäologe im Dreck, in der Hoffnung, das Team würde ein paar Keilschrifttafeln finden, die ich dann lesen könnte. Irgendwann geschah das dann auch, aber inzwischen war ich ebenso schmutzig wie müde. Die Teile des Nahen Ostens, wo die meisten Menschen leben und seit Jahrtausenden gelebt haben, sind nicht wirklich Wüsten oder zumindest nicht immer Wüsten. Sie können durchaus blühen und haben das auch schon oft getan.

Die in diesem Buch zu untersuchende Gegend versteht man in der Regel als alten Orient, beginnend mit Mesopotamien, einschließlich der heutigen Länder Irak, Syrien, Türkei, Libanon, Israel, Palästina und Iran. Außerdem soll noch das alte Ägypten in diesen Kontext integriert werden, durch die dortigen Schriften und Monumente. Die behandelte Zeitspanne reicht von der Vor- und Frühgeschichte bis zur griechischen Eroberung durch Alexander den Großen um 330 v. Chr., auch wenn wir in manchen Fällen ein wenig weiter nach vorne blicken werden und in anderen ein wenig früher aufhören.

Die betreffende Region, heute im Deutschen als „Naher Osten“ bezeichnet, nennt man im Englischen „Middle East“; letztere Bezeichnung kann jedoch auch noch weiter östlich gelegene Gebiete wie Afghanistan, Pakistan und Zentralasien sowie im Westen die arabisch- und berbersprachige Küste Nordafrikas beinhalten. Doch so gebräuchlich beide Begrifflichkeiten in diversen modernen Sprachen auch sind, so wenig deskriptiv sind sie im Prinzip. Der Terminus „Middle East“ geht auf den US-amerikanischen Marinehistoriker Alfred Mahan zurück, der die Vorstellung vertrat, der Osten – genauer: der Orient – besitze eine kulturelle Schneise, die von Westen nach Osten verlaufe, entlang dessen, was wir heute als nördliche Ebene des Nahen bzw. Mittleren Ostens bezeichnen würden; er wollte so die Unterschiede zu Indien und China betonen (Lewis 1994, Mahan 1902).

Der Begriff „Naher Osten“ ist neuer; wahrscheinlich stammt er daher, dass die Russen die Gebiete, an denen sie ein Interesse hatten, u.a. Afghanistan und Persien, als blizhny vostok („naher Osten“) bezeichneten – „nah“ auf Russland bezogen. Beide Begriffe offenbaren einen durch und durch europäischen Blick auf diese Region. Ein geographisch deskriptiver Begriff wäre „Westasien“, allerdings würde der Nordafrika außen vor lassen, namentlich Ägypten und den Sudan. Mithin verfügen wir über keinen wirklich befriedigenden modernen Begriff für unseren Gegenstand hier (auch der von den Römern geprägte Begriff „Orient“ ist ja sehr ungenau), aber das ist nur eines unserer terminologischen Probleme.

Wir müssen noch einige weitere Begriffe definieren. „Sumerisch“ bezieht sich auf die Sprache, die zuerst im Süden Mesopotamiens bezeugt ist, eine Sprache, die mit keiner anderen in Verbindung steht. Das Sumerische war offenbar diejenige Sprache, für die die Keilschrift entwickelt wurde, wie man sie auf Tontafeln entdeckt hat. In dieser Sprache sind die frühesten Funde mit Religionsbezug verfasst worden, die wir haben, jedoch muss sie schon sehr früh vom Akkadischen in den Hintergrund gedrängt worden sein, der Sprache der Nachbarn der Sumerer im Norden. Irgendwann starb Sumerisch als gesprochene Sprache aus, aber wir wissen nicht genau, wann. Dennoch blieb es bis zum Ende der Keilschrift-Tradition im 1. Jh. n. Chr. als wissenschaftliche Sprache erhalten.

Die Region Sumer befand sich im Süden des heutigen Irak, und Akkad lag im Norden (heute der mittlere Irak, also Bagdad und Umgebung). In religiöser Hinsicht jedoch erfuhr der Süden eine gewisse Kontinuität, auch wenn es einen komplexen Prozess gab, in dem die Götter der einen Gesellschaft mit denen einer anderen gleichgesetzt wurden. Diese Gleichsetzungen waren manchmal genau, manchmal weniger genau. Eine Muttergottheit ließ sich leicht adaptieren, eine Göttin der Liebe oder des Krieges schon weniger. Im Rückblick können wir nicht mehr feststellen, wessen Götter mit ihren Charakteristika tatsächlich dominierten.

Viele Aspekte religiösen Lebens konnte man zuerst bei den Menschen beobachten, die Sumerisch sprachen. Schon in frühesten Zeiten lebten und arbeiteten jedoch Akkadisch sprechende Menschen und solche mit sumerischen Namen Seite an Seite, und so kann es durchaus sein, dass es bereits vor der Entwicklung der Schrift zu einer Durchmischung von Praktiken verschiedener Herkunft kam. Heute ist es schwierig, zu klären, was dabei rein sumerisch und was ursprünglich akkadisch war.

In den ersten Stadtstaaten überhaupt scheint man Sumerisch gesprochen haben, aber es finden sich auch einige Akkadisch sprechende Staaten in der frühen Königsliste, die wahrscheinlich erst etwa tausend Jahre nach der Entwicklungsphase entstand (Jacobsen 1939). Früher glaubte man, dass sich bei den Akkadisch Sprechenden etwas Nomadisches erhalten habe, aber das ist eher unwahrscheinlich; immerhin war Akkadisch eine semitische Sprache, stand also mit den noch lebenden Sprachen Arabisch und Hebräisch in Verbindung, die beide eine nomadische Phase hatten. Es gibt jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass die Akkader in einer einfacheren Gesellschaftsform lebten als die Sumerer.

Ein weiterer Begriff, den wir klären müssen, ist „Assyrisch“. Dieser bezieht sich zunächst auf einen Dialekt des Akkadischen, den man Ende des 2./Anfang des 1. Jts. v. Chr. ganz im Norden des heutigen Irak sprach. Assyrien nannte man den expansiven Staat, der den Irak und einen Großteil des übrigen Nahen Ostens dominierte. Die Assyrer besaßen aus ihrer Sicht eine eigenständige Kultur, aber sie sammelten bewusst Texte aus dem Süden des Irak und adaptierten diese Texte für ihren eigenen Hauptgott, Aššur. Es gab verschiedene kulturelle Aspekte, denen man im Süden skeptisch begegnete; der Süden war politisch von den Assyrern entfremdet, fürchtete ihre Organisation und Macht und misstraute ihren Motiven. Assyrien besaß eine ganz eigene Kultur, und doch verdankte es den früheren Traditionen des Südens hinsichtlich seiner Sprache und Haltung eine ganze Menge.

Als Analogie könnte man anführen, dass Assyrien für das südliche Mesopotamien das Gleiche war wie die Vereinigten Staaten einst für Großbritannien, bevor sich jemand die Mühe machte, ein amerikanisches Buch lesen. Vor Ralph Waldo Emerson schien Nordamerikas gesamte Kultur aus dem Mutterland zu kommen, obwohl auch zahlreiche Menschen aus anderen Ländern in die Vereinigten Staaten einwanderten und die politischen Bindungen zu Großbritannien definitiv gekappt waren.


Karte 1 – Der alte Orient.

„Babylonisch“ ist ein weiterer geographischer Begriff, der in der Beschreibung einiger Zeitabschnitte verwendet wird. Das Wort bezieht sich auf die Stadt Babylon und ihre Umgebung, was in etwa dem Gebiet von Akkad entsprach. Babylon erlangte jedoch erst nach 2000 v. Chr. Bedeutung als Stadt, und das Königreich Babylon wurde zum erfolgreichsten der kleinen Staaten, die aus dem Zusammenbruch des Reiches hervorgingen. Die Sprache von Babylon war wahrscheinlich Akkadisch, aber unter den Mitgliedern der herrschenden Klassen gab es auch solche, die Amurritisch sprachen. Amurritisch war nie eine eigenständige Schriftsprache, und wir kennen sie lediglich von Personennamen her. Der Begriff „babylonisch“ wurde weiterhin verwendet, auch nachdem das Altbabylonische Reich an Bedeutung verloren hatte, und man neigte dazu, den ganzen Irak, oder zumindest den Südirak, als „Babylonien“ zu bezeichnen. Es ist eine schwierige Frage, ob man von einer eigenen religiösen Tradition in Babylonien sprechen kann. Das zeitgenössische Gegenstück wäre die Religion der Assyrer, aber in den religiösen Traditionen gab es enge Verbindungen, auch wenn die Politik diejenigen entfremdete, die jene Traditionen verkörperten.

Ein letzter zu definierender Begriff ist „Mesopotamien“. So nannten die Griechen die Gebiete Syriens und des Iraks, die, so wörtlich, „zwischen den Flüssen“ lagen; die Aramäer hingegen nannten die Region „jenseits der beiden Flüsse“; sie meinten damit die große Biegung des Euphrat im heutigen Syrien und in der Türkei, und wahrscheinlich schloss dieses Gebiet einen Großteil der Landfläche östlich dieser Biegung mit ein, auch den heutigen Irak. „Mesopotamien“ wurde bis zum 20. Jahrhundert nie als politischer Begriff verwendet, und es waren stets zahlreiche Kulturen in diesem Gebiet angesiedelt (Finkelstein 1962).

Dennoch gab es zwischen den unterschiedlichen religiösen Traditionen, auf die sich die im Vorangegangenen vorgestellten Begriffe beziehen, durchaus Kontinuitäten. Polytheistische Systeme neigen nicht zur Orthodoxie, und sie öffnen sich häufig neuen Sitten und Göttern. Dennoch waren einige der Standorte, für die schon sehr früh religiöse Stätten nachgewiesen wurden, wie die Stadt Uruk im Süden des Irak, mehr als drei Jahrtausende lang religiöse Zentren. Einige der dortigen Götter waren ebenso langlebig. Es gab natürlich eine gewisse Entwicklung im Laufe der Zeit, aber dennoch lassen die Traditionen von den frühen bis zur späteren Zeit eine gewisse konzeptuelle Kohärenz erkennen, und man neigt seit jeher dazu, sie als eine einzige Tradition anzusehen. Dennoch gab es innerhalb dieser Traditionen an verschiedenen Orten und zu den verschiedenen Zeiten durchaus unterschiedliche Schwerpunkte und Interessen.

Den Polytheismus ernst zu nehmen ist für die moderne westliche Welt schwierig, weil sich unsere eigenen Traditionen in eine ganz andere Richtung bewegt haben. Der Hinduismus ist ein modernes polytheistisches System, das eben jene Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu demonstrieren scheint, die wir im alten Orient finden, aber auch der Hinduismus verfügt über eine lange Geschichte der Interaktion mit dem Islam, in Dialog und Auseinandersetzungen, die hinduistische Intellektuelle möglicherweise dazu zwangen, sich in ihren Lehren festzulegen und die Art und Weise, wie sie über religiöse Phänomene sprachen, stärker zu regulieren. Der Hinduismus kann natürlich nicht als Spiegel für den alten Orient gelten, doch es gibt immerhin einige interessante Aspekte, die durchaus ähnlich erscheinen. Die Assoziation von Göttern mit bestimmten Tieren scheint vergleichbar, aber es wäre voreilig zu argumentieren, dass zu irgendeinem Zeitpunkt die Tiere selbst als Götter betrachtet wurden oder dass stets anthropomorphe Tendenzen eingegriffen haben. Immerhin, die Betonung des Sichtbarkeit, dass man die Götter anschauen und so an ihrer Heiligkeit teilhaben kann, scheint ein Echo des alten Orients zu sein (Babb 1975). Doch den Hinduismus und den alten Orient trennen eine Menge Raum und Zeit. Wie Ernest Renan, der führende Semitist des 19. Jahrhunderts, einmal gesagt hat, verdirbt einem der Monotheismus den Geschmack für alle anderen Formen von Religion (Renan 1974: 208), will sagen: Wir, die wir in einer monotheistischen Welt aufgewachsen sind, können einfach nicht nachvollziehen, was den Polytheismus so attraktiv macht (Augé 1982). Nichtsdestotrotz haben auch unsere religiösen Traditionen eine Geschichte, die bis zum alten Orient zurückreicht, und selbst wenn wir nur begreifen, wo wir heute stehen, ist es wichtig, dass wir versuchen nachzuvollziehen, was man in der Antike über die zentralen Themen der Menschheit dachte.

Die Religionen des alten Orients

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