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Kapitel 3

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Parkhaus Mall of Switzerland, Dierikon, Schweiz,

März 2019

Mit dem provisorisch aufs Dach gehievten Blaulicht brauste Bussmann aus dem Parkhaus des Einkaufszentrums auf die Hauptstrasse Richtung Stadt Luzern. Auf Höhe Schindler überholte er die wegen eines roten Lichtsignals gebildete Kolonne auf der rechten Spur. Sollte er eine Busse kassieren, würde er dies mit den Kollegen der Streife schon regeln.

Gottseidank hatte er seinen Privatwagen umgerüstet, um auch im zivilen Leben immer für den Einsatz als Polizist vorbereitet zu sein.

Weil ein solcher Polizist eine Vorbildfunktion innehatte, würde er niemals am Steuer telefonieren, weswegen er Ingrids Anrufversuche gekonnt ignorierte.

Dass ihn am Abend ein Donnerwetter erwarten würde, war ihm klar. Doch auch Corinne Eichenberger hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass Bussmann dringend gebraucht würde.

Per Polizeifunk hatte er sich auf den neusten Stand gebracht: Eine männliche Leiche beim Depot der Schweizerischen Bundesbahnen, regelrecht hingerichtet.

Auf dem Schlossberg drückte Bussmann druckvoll auf die Hupe, da sich ein Autofahrer offenbar nicht dazu überwinden konnte, trotz Blaulicht und Sirene zur Seite zu weichen.

Als er beim Bundesplatz in die Neustadtstrasse einbog, sah er die ersten Blaulichter in den Fassaden blitzen. Das Polizeiaufgebot sorgte auch für ordentliche Neugierde bei den Anwohnern, etliche Fenster waren geöffnet. Auch vor dem Tatort waren Polizeibeamte damit beschäftigt, Schaulustige wegzuschicken. Vor einem Restaurant stellte Bussmann seinen Wagen zur Seite und schritt auf die Absperrung zu. Bussmanns Augen suchten die Umgebung vergebens nach Corinnes knallrotem Citroën D2 ab.

Sobald er seinen Dienstausweis gezeigt hatte, wurde Bussmann durchgelassen. Sofort eilte Korporal Pascal Sauter zu ihm, ein noch junger, aber sehr tüchtiger Kollege bei der Kriminalpolizei. Bussmann hielt grosse Stücke auf ihn.

„Was gibt’s?“, fragte Bussmann statt einer Begrüssung.

„Eine männliche Leiche auf Depotgelände, regelrecht hingerichtet. Sein Name ist...ich meine, war...Thomas Eiholzer. Er war Lokomotivführer. Ich warne dich, der Anblick ist nichts für zarte Gemüter. Amelie hat gleich neben die Treppe gekotzt!“

„Jaja“, winkte Bussmann ab. „Ich habe schon viel Schlimmes gesehen! Ist Corinne noch da?“

Sauter schüttelte den Kopf. „Vor ein paar Minuten abgebraust. Sie bräuchte einen Kaffee, hatte sie gemeint!“

Doch selbst Bussmann musste beim Anblick des toten Mannes – oder was von ihm übrig geblieben war – leer schlucken. Am Fuss der Treppe erblickte er, in eine Wolldecke gehüllt, die zitternde Amelie Wicki, frisch aus der Polizeischule, die nun mit der brutalen Wahrheit des Polizeilebens konfrontiert wurde. Sprich: Mit der anderen brutalen Wahrheit als langweiliges Strafzettelverteilen.

Der Kopf des Toten bildete in Form zahlreicher Haut- und Gewebeteile ein menschliches Graffiti an der Stützmauer in seiner hässlichsten Form. Der Torso und die Gliedmassen waren allerdings intakt, ohne Spuren äusserlicher Verletzungen. Man war versucht zu glauben, dass sich hier der Dreh eines absolut brutalen Horrorfilmes abspielen würde, doch es war leider bittere Realität. Die Spurensicherung war bereits an der Arbeit.

„Gibt es Zeugen?“ Bussmann unterdrückte die aufkommende Übelkeit und versuchte, wieder ein wenig Professionalität in die Angelegenheit zu bringen.

Sauter schüttelte den Kopf. „Nein. Die Leiche wurde von einem Arbeitskollegen entdeckt. Ich führe dich gleich zu ihm!“

Im Innern des Depots sass der Finder der Leiche, gemäss Sauter ebenfalls ein Lokomotivführer namens Paul Kost, auf einem Hocker, betreut von weiteren Polizeibeamten und Angestellten der Bundesbahnen. Dieser zitterte noch mehr als Amelie und hatte den wärmespendenden Kaffeebecher umklammert wie ein kleines Kind seinen Teddybären. Traurige Augen blickten ihn aus einem blassen Gesicht an.

„Vitus Bussmann, Kriminalpolizei Luzern!“

„Kost!“, nuschelte dieser.

Bussmann griff sich einen weiteren Hocker, der ihm von einer unbekannten Hand hingestreckt wurde und setzte sich zu Kost. Die anderen Anwesenden machten sich aus dem Staub.

„Es tut mir leid, dass ich Sie befragen muss!“, entschuldigte er sich. Die Verfassung seines Gegenübers erschütterte ihn auf unnatürliche Weise.

„Thomas und ich waren beste Freunde, seit unserer Lehrzeit. Wir haben zur selben Zeit bei der Bahn angefangen und haben auch damals, vor fast dreissig Jahren, in Erstfeld gemeinsam die Ausbildung gemacht. Das war eine schöne Zeit, das sag’ ich Ihnen!“

Bussmann erachtete es als das Beste, Kost nicht zu unterbrechen. Allerdings war da jemand bedauerlicherweise anderer Meinung.

„Du musst nicht alles erzählen!“ Ein kleiner Mann, mit schütterem weissem Haar und grauem Hemd, drängte sich zwischen zwei abgestellten Eisenbahnfahrzeugen in den Vordergrund. Bussmann betrachtete ihn mit skeptischem Blick.

„Oh! Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Martin Hauser, ich bin der Vorgesetzte von Herrn Kost. Ist er etwa verdächtig? Ich bedaure, was mit Thomas passiert ist, musste er leiden. Ich meine, ...“

Bussmann verdrehte die Augen. Solch umtriebige Menschen waren ihm schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Deshalb beschloss er, den Redefluss dieses hibbeligen Vorgesetzten zu unterbrechen.

„Verzeihen Sie, Herr Hauser, aber dies ist eine polizeiliche Befragung und diese führe ich mit Vorlieben am liebsten unter vier Augen durch!“ Er hoffte, diesen Hauser dadurch zur Vernunft gebracht zu haben.

Hausers hoffnungsvoller Blick liess Bussmann kalt und nach einigen weiteren Sekunden Ignoranz schlich Hauser von dannen.

„Sie müssen nichts sagen, was Sie nicht wollen!“, wandte sich Bussmann an Kost, doch der winkte ab.

„Schon klar, aber ein bisschen reden hilft!“

Bussmann nickte und forderte Kost mit einer Handbewegung auf, weiterzureden.

Zufrieden steckte der Führer sein Telefon ein. Der Schütze hatte seine erste Aufgabe mit Bravour geleistet, er erfüllte die Erwartungen, die aufgrund seines Leistungsausweises auf ihm ruhten, vollends. Jetzt hoffte der Führer, dass auch sein Boss zufrieden war.

Doch er war sich auch bewusst, dass dies erst der Anfang war...

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