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Kapitel 8
ОглавлениеAéroport Paris-Orly, Paray-Ville-Poste, Île-de-France, Frankreich
März 2019
Pünktlich um sieben Uhr in der Früh setzte der Airbus A320 der Aigle Azur auf der Landebahn des Flughafens Paris-Orly auf. Die knapp vier Stunden Schlaf, die Saïd während des Fluges hatte, liessen ihn gerädert aussehen.
Die nächste Sorge bereitete ihn die Einreisekontrolle im Terminal. Er hatte noch ein laufendes Schengen-Visum, doch war die Einreise aus dem Libanon nach Frankreich für einen algerischen Staatsbürger nicht gerade einfach.
Tatsächlich wurde er einer vertiefenden Kontrolle unterzogen.
„Grund Ihres Frankreichaufenthaltes?“
„Ich bin hier aufgewachsen und besuche meine Verwandten?“
„Wo denn?“
„In Saint-Denis!“
„Da wäre doch der Flughafen Charles-de-Gaulle näher gewesen?“ Was war denn das für eine Frage? Saïd runzelte kurz die Stirn.
„Ich habe den erstbesten Flug gebucht!“
Nachdem die Leibesvisitation erfolgreich verlaufen war, erhielt Saïd seinen Einreisestempel und einen Hinweis, dass sein Schengen-Visum bald zu erneuern wäre.
Da er kein Gepäck mit sich hatte, konnte er direkt in die Ankunftshalle durchgehen. Dort erwartete ihn ein kleiner, untersetzter Mann mit orientalischem Aussehen, der ein Schild mit Saïds Namen mit sich trug. Er stellte sich als Pierre vor.
„Gehen wir zu meinem Wagen!“ Saïd folgte Pierre.
In einem düsteren Parkhaus, dessen Sichtbeton längst mit einer hässlichen dunkelgrauen Farbe versehen war, wartete Pierres Wagen.
Saïd hatte mit allem gerechnet: Einem klapprigen Peugeot, einem Citroën D2 oder einem designmässig verunstalteten Renault, doch nicht erwartet hatte er, dass Pierre einen Tesla steuern würde.
„Ein Model S!“, erklärte Pierre mit ganzem Stolz. Offenbar hatte er Saïds verblüffenden Blick bemerkt.
Die Fahrt führte vom Flughafen Orly nach Norden. Der Selbstfahrmodus des Tesla funktionierte im stockenden Verkehr der südlichen Pariser Vororte vorzüglich, musste dann aber auch beim Stau beim Anschluss zum Boulevard Péripherique kapitulieren. Pierre fluchte und warf immer wieder nervöse Blicke auf seine Armbanduhr.
„Wohin fahren wir?“ Saïd hoffte auf Saint-Denis. Als er als Teenager Mitte der 2000er-Jahre aus dem Maghreb via die Schweiz nach Frankreich geflüchtet war, war Saint-Denis zu seiner ersten Heimat geworden. Im Schatten des gloriosen Stade de France war er aufgewachsen, in einer der für die Pariser Banlieue typische Plattenbausiedlung. Die einzige Freizeitbeschäftigung war Fussball gewesen, die Perspektiven für die Zukunft schlecht, zu gross waren die Klassenunterschiede zwischen ihnen und dem französischen Kleinbürgertum.
Die Tatsache, dass aus ihm und seinen Freunden kaum die nächste Generation neuer Zinedine Zidanes entstehen würde, war hart. Fussball wäre wohl der einzige Weg gewesen, dieser Gosse, die sich Banlieue schimpfte, zu entfliehen. Saïd nahm an den regelmässig stattfindenden Vorstadtunruhen teil, verbrachte etliche Nächte in Polizeigewahrsam und war empfänglich für die Botschaften des Islamischen Staates. Die Imame hatten ihm eine Zukunft versprochen.
Und so kam es, dass er im Jahre 2014 den Weg nach Syrien auf sich nahm, um gegen das Regime von Baschar Al-Assad zu kämpfen. Saïd war der heimliche Herrscher Aleppos – und jetzt, als das Kalifat des IS dem Ende entgegen zu gehen schien, wurde er für andere Aufgaben abkommandiert.
„Ich darf Ihnen den Zielort nicht verraten!“, entgegnete Pierre knapp und drückte auf die Hupe, als ein gestresster Renaultfahrer ihm im wieder anzurollenden Verkehr die Spur abschnitt.
Während der ganzen Fahrt, bei der die beiden das Pariser Stadtgebiet umrundeten, war Saïd gespannt wie eine Feder.
Des Rätsels Lösung folgte, als Pierre vor der Place Auguste Baron im 19. Arrondissement den Blinker setzte und den Boulevard Péripherique verliess.
Kurz darauf erreichten sie das Stadtgebiet von Aubervilliers. Die östliche Nachbarstadt von Saint-Denis war wie diese einer der hässlichen Vororte der französischen Hauptstadt und nicht viel mehr als eine Ansammlung hässlicher Plattenbauten.
Pierre bog in eine Zufahrtsstrasse zu einer Sozialwohnungssiedlung ab. Der Tesla wirkte nun hier mehr als fehl am Platze.
Ganz im Gegensatz zu Saïd; dieser wusste, weswegen er hier war.
Aubervilliers war eine Hochburg von Schläfern des Islamischen Staates.