Читать книгу 3 Makabre KURZGESCHICHTEN - Daniela Christine Geissler - Страница 10
5. Kapitel
ОглавлениеEr ging ihr nicht aus dem Kopf. Der kleine Speisesaal der Pension konnte die drei Klassen kaum fassen. Denise stocherte unlustig in ihrem Essen herum. Sie blickte zu Jeremy, der sich seit drei Tagen äußerste Mühe gab, ihr nicht zu begegnen. Aus unbegreiflichen Gründen fühlte sie sich schuldig. Sie spürte seine Bedrücktheit, wie Blei lag der Fahrttag im Zug auf ihr und sie beschloss dem ein Ende zu bereiten, sich von ihm zu befreien. Wollte nicht an ihn denken, wollte nicht so traurig sein wie er, wollte Erlösung von diesem Mann, der ihr plötzlich makaber erschien und sie wunderte sich darüber, dass ihr seine Skurrilität noch nicht aufgefallen war. Seine Art sich zu bewegen, glich dem einer hölzernen Puppe. Beinahe empfand sie Widerwertigkeit für ihn und gleichzeitig zog es sie in seine Richtung. An diesem Nachmittag beschloss sie, mit ihm ein Gespräch zu führen. Der Plan für den Ausflug befand sich am Eingang der Pension mit den täglichen Programmen, an denen man teilnehmen konnte. Den Schülern wurde die Teilnahme daran freigestellt. Es sollte eine Art Schulferien für Schüler und Lehrer sein. Wenn man wollte, konnte man auch einfach im Zimmer bleiben, doch da das Wetter diese Woche herrlich war, wurden die Ausflugsangebote gerne genützt.
Sie war knapp hinter ihm. Er spürte ihre Nähe und kurz darauf schritt sie an seiner Seite, neben ihn. Der Wanderzug schlurfte gemächlich dahin. Im Glimmer der Frühlingssonne wurde die hügelige Landschaft in krasse Licht- und Schatteneffekte getaucht. Er betrachtete sie. Noch immer schweigend, ging sie neben ihn. Sie wagte es nun doch nicht, ihn direkt daraufhin anzusprechen, zumal ihr dazu auch die Worte fehlten. Dann brach er das Schweigen.
„Du weißt, wie peinlich mir die Sache im Zug ist.... ich....“ Wenn sie wollte konnte sie Salz in seine Wunde streuen und zum ersten Mal fühlte sie die Macht einer Frau. Es gefiel ihr plötzlich diesen Mann, dessen Geist sie so verehrte, in ihrer Hand zu haben. Doch sie begriff, dass es an der Zeit war, erwachsen zu handeln und sagte
„Ich habe mich nicht betroffen gefühlt, da der Kuss nicht mir galt, sondern einer anderen.“ Einer anderen. Dieser Satz hallte mehrmals in Jeremys Ohren, bevor er begriff, dass Denise eifersüchtig war. Eifersüchtig auf ein Gut, dass ihr gehörte. Die kurze Unterredung brachte weder ihr, noch ihm Erlösung oder hob die Peinlichkeit zwischen ihnen auf. In den nächsten Tagen gingen sie sich aus dem Weg und fühlten die Nähe des anderen dennoch stärker, als alles andere in ihrer Umgebung.
„Er hat dich verhext!“
„Wie bitte?“ Sie sah ihn erstaunt an. Ashley wandte sich bedrückt ab und fuhr ungehalten fort „Unser irre Geschichtslehrer hat dir den Kopf verdreht.....ich hätte nicht gedacht, dass dein Geschmack so sonderbar ist.“ Energisch antwortete sie „Es geht mir gerade nicht so gut. Warum glaubst du, soll er daran schuld sein? Wie kommst du überhaupt darauf?“
„Weil du seitdem anders bist.... alle sind anders, seit er hier ist.“
Eilig entfernte Ashley sich von ihr. Nach längerem Grübeln kam auch sie zu der Erkenntnis, dass nicht nur sie sich verändert hatte. Es war nur die Frage, wie sich diese Veränderung vollzog und sie kam zum Schluss, dass dieser Lehrer die Kraft besaß, aus ihnen Erwachsene zu machen. Er behandelte seine Schüler wie Erwachsene und der logische Effekt dessen war, dass man sich als Jugendlicher einfach idiotisch vorkam, wenn man sich anders verhalten würde, als er es von ihnen forderte. Wenn er in der Klasse war, hatte die Kindheit keine Existenzberechtigung mehr und doch trat er ihnen allen mit einer unbeugsamen Sanftheit entgegen, die es einem einfach machte, älter zu werden, reifer zu sein, ohne die Kindheit unter Trotz- und Angstgefühlen hinter sich zu lassen. Doch der beängstigende Nebeneffekt dessen war, dass er alle nach seinem Willen formte. Einer nach dem anderen schien ihm immer näher zu kommen und gleichzeitig zu ihm zu werden. Zärtlich dachte sie an Ashley. Er ist der einzige, der das erkannt hatte. Trotz des sonnigen Tages verkroch sich Ashley in seinem Zimmer. Sie klopfte an und trat ein. „Es ist wahr was du gesagt hast. Dieser Lehrer beeinflusst uns, aber es ist nicht wahr, dass er schlecht ist. Er ist eben, wie er ist.“ Er setzte sich im Bett auf und wechselte das Thema
„Morgen wird ein Picknick veranstaltet. Machst du mit? Komm schon, wird sicher spaßig.“ Ihm zuliebe sagte sie zu.
Der Kellner stand ungeduldig neben seinem Tisch und wartete, bis der sonderbare Fremde endlich gewillt war, zu bezahlen. Es war kurz vor Sperrstunde. Jeremy blickte zu dem Kellner hoch und zuckte seine Geldbörse. Seine Gedankenwelt drehte sich nur um Denise. Dieses Mädchen, in deren Gegenwart er sich wie ein kleiner Junge vorkam. Vielleicht gefiel ihm ihre Nähe auch deshalb, weil er auch Denise über kurz oder lang verlieren würde - so wie Claire würde auch sie eines Tages aus seinem Leben verschwinden und eine Leere hinterlassen, die ihm schon jetzt den Atem nahm. Er durfte sich nicht so hineinsteigern, nahm er sich vor und dachte an den kommenden Tag. Mrs. Head, die Mathematiklehrerin, und er waren für das morgige Picknick verantwortlich. Sie besorgte die Speisen und er sollte für Unterhaltung sorgen. Einige sportliche Aktivitäten, wie Federball, standen auf seinem Plan. Ein sonderbarer Gedanke beschlich ihn und er überlegte, ob er einen Kassettenrecorder mitnehmen sollte. Er liebte Verdi, doch ob auch seine Schüler La Traviata lieben würden, bezweifelte er. Picknick mit der Musik von Verdi. Warum nicht, dachte er und außerdem war er auf die Reaktionen der Schüler gespannt.
Seine Fantasie überschlug sich. Vor seinem geistigen Auge sah er vier Boxen, die er um den Picknickplatz stellen würde. Eine reizende Waldlichtung, würde ebenfalls ein stimmungsvolles Flair bieten. Maximal zwanzig Schüler konnten daran teilnehmen. Insgeheim hoffte er auf Denise. So konnte er sie wenigstens betrachten, Zuschauer ihrer Jugend sein, von fern daran teilhaben.