Читать книгу 3 Makabre KURZGESCHICHTEN - Daniela Christine Geissler - Страница 15
1. Kapitel
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Die feuchte Luft ließ die Umgebung diesig wirken. Die Schwüle am Morgen konnte die Hitze des Tages bereits erahnen lassen. Wie ein guter Schauspieler, jedoch auf einer mittelmäßigen Bühne, kam er sich vor, als er sein Spiegelbild betrachtete. Sein dichtes blondes Haar saß wie immer perfekt. Seine Kleidung, auch wenn schon völlig vom Schweiß durchtränkt, wirkte selbst jetzt noch korrekt. In seinem Leben schien äußerlich alles besonders ordentlich abzulaufen. Und gerade dies ließ ihn heute verzweifeln. Sein Dasein widerte ihn an und diesen Zustand wollte er doch stets vermeiden – den Zustand einer Lebenslüge, der ihn von Kindheit an begleitete. Heute wurde sein bester Freund zu Grabe getragen und er fragte sich, ob ihm die Rolle des Priesters schmecken würde. Einige unter den Trauernden warfen ihm hilfesuchende Blicke zu, gerade so, als ob er dazu ermächtigt wäre, dem Toten die Himmelspforte öffnen zu können. Das jugendliche Gesicht des Toten tauchte in seiner Fantasie vor ihm auf und es schien, als ob er ihm zuwinken würde. Apathisch stand Bridget neben ihren Schwiegereltern. Sie sah an Jonathan vorbei, als er auf dem Weg zur Kanzel an ihr vorüberschritt. Der Sarg stand rechts von Blumenkränzen umsäumt. Dahinter ein Foto - das lächelnde Gesicht von Alex.
Einige persönliche Sätze unterbrachen die üblichen Floskeln der Beerdigungsrede. Die Rede schien für Alexanders Frau kein Ende zu nehmen. Es ist vorbei, endlich vorbei, dachte Bridget, als Jonathan den letzten Satz sprach. Die vier Träger nahmen den Sarg auf ihre Schulter und der Trauerzug marschierte aus der Kirche.
Das Familiengrab der Plummer`s befand sich in der Mitte des Friedhofs. Ein schön gearbeiteter Engel aus Travertin kniete vor dem erdigen Loch, in das man den Sarg hinabließ. Die erstarrten Gesichter der Trauernden wirkten maskenhaft unecht zu diesem sonnig strahlenden Vormittag. Noch einmal sprach Jonathan ein paar Worte, bevor Alexanders Vater die erste Hand voll Erde auf den Sarg warf. Die Stille machte Jonathan ganz verrückt. Das passte nicht zu Alexander. Sein Freund war immer ausgelassen, heiter und von einer hinreißenden Lebendigkeit gewesen, die kaum zu überbieten war. Wo er war, schien die Sonne, wie eben jetzt, grotesker Weise. Als ob er dieses Wetter selbst bestellt hätte, zu seinem eigenen Vergnügen, dachte auch Bridget und betrachtete den blauen Himmel, der sich über diese Szene wölbte. Die Beerdigung war vorbei. Am Leichenschmaus nahm Jonathan nicht teil. Zu tief saß der Stachel und so verabschiedete er sich schnell von den Trauernden. Selbst zwei Tage danach versuchte Jonathan die Erinnerung zu verscheuchen, indem er das zweiflügelige, hohe Fenster öffnete, doch anstatt des erwünschten frischen Hauchs, kam dem Priester der Teergeruch des glühenden Asphalts entgegen. Die Vergangenheit nahm wieder Formen an.