Читать книгу 3 Makabre KURZGESCHICHTEN - Daniela Christine Geissler - Страница 8
3. Kapitel
ОглавлениеSeit einem halben Jahr kämpfe sich Jeremy von den fünften Klassen in die Abschlussklassen. Viele Fehlschläge, doch umso erfreulichere Pluspunkte erreichte er in dieser Zeit. Er hatte gelernt von Schülern nicht die Persönlichkeitsstruktur von Studenten zu fordern, sondern versuchte sie fortan zu formen. Ihren Geist zu Höhenflügen anzuregen, deren Interesse zu wecken. Besonders beeindruckt war er immer noch von Denise. Denise, dieses zarte, blonde Geschöpf mit den hohen Backenknochen.
„Sir, wiederholen Sie bitte den Satz, wir kommen mit dem Schreiben nicht mehr mit.......“, hörte er am Rande die Knabenstimme, während sein Innerstes nur sie zu finden suchte und er in einem monotonen Wortrausch den Unterricht hielt.
1957......bewegungslos lagen ihre Körper am Boden. Sanft drückte sie ihn weg. „Du musst gehen, wir müssen beide heim, es ist schon spät.... geh, los geh endlich.....!“ Widerstrebend zog er sich an, ein letzter Blick zurück, schloss er leise das Scheunentor hinter sich. Ihr Bild brannte sich in sein Gedächtnis.
Die Klasse starrte ihn an und er starrte sie an. Denise sah weg, doch Jeremy ließ sie mit seinem Blick nicht los. Irgendetwas bewegte ihn so sehr, dass er keinen Abstand mehr zu ihr finden konnte. Und dann seine Sinne sammelnd, sprach er abgehackt weiter, bis ihn der schrille Ton der Schulglocke erlöste.
„Heute hatte er eine besondere Meise, findet ihr nicht auch? Wie er Denise angestarrt hat....das war ja schon abartig.“, schimpfte Ashley.
„Du bist nur eifersüchtig! Er ist ja schon alt, mach dich nicht lächerlich! Denise ist vielleicht von ihm als Lehrer begeistert, aber sein Äußeres ist wirklich nicht der Geschmack einer Fünfzehn-jährigen.“, klopfte ihm Peter tröstend auf die Schulter.
Ashley Diamond fühlte sich seit der ersten Klasse als ihr Beschützer. Stets saß er neben Denise, immer jedoch darauf bedacht, sie mit seiner Verliebtheit nicht zu belästigen. Sein feines Gespür für seine Mitmenschen ließ ihn nie im Stich und so kam eine stille Angst in ihm auf, wenn dieser Lehrer die Klasse betrat. Er beobachtete Jeremy, wie er mit seiner Aura den Raum einnahm, betrachtete sein hageres Gesicht, dessen verhärmten Züge, die ihm nicht sympathischer wurden. Trotz all dem lauschte auch er, wie ein Gefangener seinen Ausführungen, deren Zusammenhänge erst mit den weiteren Unterrichtsstunden zu erkennen waren. Selbst er konnte sich der Faszination, mit der dieser Mann sie alle in das Labyrinth seiner Gedankenwelt führte, nicht entziehen. Das war auch das einzige, was Ashley mit diesem Mann verband. In diesem Augenblick spürte er nur Widerwertigkeit für ihn, denn eine undefinierbare Sorge beschlich ihn, Denise an diese obskure Gestalt zu verlieren, die zweimal wöchentlich die Klasse heimsuchte.
Es war so, als ob er mit jedem Mal mehr Anhänger für sich gewann. Manche Klassenkollegen, die Jeremy anfangs belächelten, wurden in einem fast magischen Bann in seine Richtung gelenkt, dem nur Ashley, zumindest machte er den Versuch, entgehen konnte. Diesem Mann schenkte er nur seine Aufmerksamkeit, nicht seine Gedanken, nicht seine Seele.
„Würden Sie mir bitte nächste Woche helfen, die Landkarte heraufzutragen?“, sagte er beiläufig zu Denise, bevor er die Klasse verließ. Seine Worte gingen im allgemeinen Lärmpegel nach dem Läuten unter und so wurde nur Ashley Zeuge dieses Wortwechsels. „Selbstverständlich.“, antwortete sie prompt. Ashley war entrüstet. Man bat kein Mädchen um Hilfe, wenn Jungs in der Klasse waren, um so eine Aufgabe zu erledigen, aber was sollte er tun? Seine Gedanken überschlugen sich, er war zur Untätigkeit gezwungen. Würde Ashley anderen seine Angst mitteilen, würde er der Lächerlichkeit preisgegeben werden.
Lange betrachtete er sie, als Denise kleinlaut vor ihm stand. Seine Brust hämmerte unkoordinierte Laute, sein Rücken war angespannt. „Wenn wir sie beide tragen, wird’s schon gehen oder ist Ihnen die Karte zu schwer?“ „Aber nein! Mädchen sind gar nicht so schwach, wie es oft den Anschein hat.“, antwortete sie sanft und sah offenen Blicks in sein Gesicht.
Gestern Nacht hatte er von beiden Mädchen geträumt – sie schienen sich in einem irrealen Traum abzuwechseln – einmal sie dann Denise. Manches mal liebten ihn beide. Wenn Denise vor ihm stand, spürte er, wie durch einen magischen Austausch, ihre Nähe. Claire, Claire wo bist du?.....rief er im Traum ihren Namen, doch dann tauchte langsam ihr lebloser Körper vor ihm auf – sein Traum war zu Ende und mit dem eindringlichen Schrillen seines Weckers, kehrte er in die trostlose Gegenwart des Alltags zurück.
Er musste Claire wiederfinden, er konnte ohne sie nicht leben, wollte ohne sie nicht existieren, war damit beschäftigt, sie wieder auferstehen zu lassen.
Ihre zarte Hand umfasste den vorderen Teil der eingerollten historischen Landkarte und Jeremy nahm den hinteren. So konnte er sie einige Augenblicke lang ungestört betrachten. Ihr blondes Haar, ihre graziösen Bewegungen glichen Claire so sehr – in diesem kurzen Moment war er fast glücklich – er dreizehn und sie sechzehn.
Auch die weiteren Monate liefen besser. Die Schüler passten sich ihm langsam an, begannen sich an seine exzentrische Persönlichkeit zu gewöhnen. Ashley fand sich schließlich mit Jeremys indirekter Werbung um Denise ab. Es hatte nicht den Anschein, als ob er ihr näher gekommen wäre und das beruhigte ihn. Soll er sie von mir aus die ganze Zeit über anstarren, damit macht nur er sich lächerlich, ärgerte er sich zeitweise. Denise überraschte die Aufmerksamkeit, die Mr. Daly ihr schenkte, aber sie kümmerte sich nicht sonderlich darum und dachte sich auch nichts dabei. Sie trug mit ihm die Unterrichtsutensilien in die Klasse und das war`s dann auch schon. Ihre scheue Art und doch sicheres Auftreten glich dem von Claire so sehr, dass Jeremy meinte, Denise würde eine Art Wiedergeburt von Claire sein. Jede Faser seines Körpers war angespannt, wenn sie in seiner Nähe war. Selbst für seine Kollegen war er ein Sonderling, den man nur duldete, aber keinerlei Sympathie entgegenbrachte. Zeitweise empfand er es als störend, doch solange seine Arbeit nicht darunter litt, nahm er keine Notiz davon. Ausschließlich sie konnte seine Seele berühren, nur ihr Verhalten ihm gegenüber, war für seine Stimmungslage ausschlaggebend geworden. Diese Tatsache erschreckte und beglückte Jeremy gleichermaßen.
Ein halbes Jahr betreute er bereits die Klassen der Oberstufe. Es stellte sich heraus, dass immer mehr Schüler an ihm Gefallen fanden. Sein Gerechtigkeitssinn wurde bei den Schülern anerkannt und dafür folgten sie interessiert seinem Unterricht, der öfters den Lehrstoff weitschweifend umging und nur auf Umwegen wieder den normalen Lauf nahm. Viele Schulnoten in Geschichte besserten sich sogar und mancher Vierer wurde zur Zwei im Halbjahreszeugnis.