Читать книгу 3 Makabre KURZGESCHICHTEN - Daniela Christine Geissler - Страница 13

8. Kapitel

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„Wer war sie?“

„Wer?“

„Claire...du hast im Schlaf ihren Namen genannt...also, wer war diese Claire?“

Er erhob sich vom Sofa, auf dem er neben ihr eingeschlafen war und schritt zum Fenster. Die Wanduhr schlug Sieben.

„Du musst gehen. Es ist spät. Deine Eltern machen sich sonst Sorgen und das könnte unangenehme Folgen für mich haben.“

Verärgert erhob sie sich und meinte „Bei was, Jeremy, könnte man uns schon erwischen? Beim Händchenhalten?“ Wütend nahm sie ihre Tasche und schlug die Tür hinter sich zu.

Sie war fort. Wie damals, einfach so könnte sie aus seinem Leben verschwunden sein, außer er würde es verhindern, dachte er und hetzte ihr voll Angst nach. Sie hörte im Treppenhaus seine Schritte und wartete. Atemlos nahm er sie in seine Arme und entschuldigte sich mehrmals, bis sie wieder fragte „Wer war Claire? Ich habe ein Recht es zu wissen, weil ich dich wirklich liebe! Hörst du mich? Ich liebe dich!“ Er wich einen Schritt zurück „Sie ist keine Gefahr für dich.“, meinte er nur und verabschiedete sich abrupt von ihr.

Seine Art sich ihr gegenüber zu verhalten, machte Denise ganz krank. Bis zum nächsten Wochenende wich sie ihm aus, selbst im Unterricht sah sie an ihm vorbei. Sie wusste nicht recht, wie sie sich ihm gegenüber weiter verhalten sollte. Sollte sie wütend, traurig oder eifersüchtig sein? Eigentlich war sie alles zusammen.

Er fühlte ihren Schmerz, ihre Ratlosigkeit und er begann die beiden Denise und Claire in sich zu trennen. Denise war nicht wie Claire. Claire war von sonnigem, ungetrübtem Temperament, nicht so schwermütig wie Denise. Denise war jünger als Claire und doch so viel vernünftiger. Claire war wie ein kühler Luftzug in der Hitze des Sommers für ihn gewesen. Denise war wehmütig und kompliziert. Genau das war der Unterschied der beiden - sie sahen gleich aus, hatten aber einen völlig unterschiedlichen Charakter. Er fragte sich, warum er das nicht schon früher bemerkt hatte? War er so blind von Claire, dass er Denise nicht erkennen konnte?

Denise bekam Angst. Eine furchtbare Angst ihn zu verlieren. Dieses Wochenende war sie nicht zu ihm gegangen, obwohl es seit einigen Monaten zu einem festen Bestandteil ihres Lebens gehörte. Am Montag betrat er ungerührt die Klasse, es schien ihm nichts auszumachen, glaubte sie. Er blickte mehrmals zu ihr und bemerkte schließlich ihren tränenverhangenen Blick. Claire hatte nie geweint, weder um ihn noch um sonst irgendjemanden. Er begann Denise zu meiden. Sie war nicht Claire und dieses Bewusstsein erleichterte ihm den Trennungsschmerz von Denise. Er würde sie nicht fragen, ob sie wieder zu ihm kommt, zumal er wirklich Schwierigkeiten bekommen könnte, sich mit einer fünfzehnjährigen Schülerin einzulassen. Er versuchte Abstand zu gewinnen und das tat anscheinend auch Denise. Doch plötzlich bewunderte er ihre gerade Körperhaltung, ihren stillen Schmerzensschrei, der ihm lautlos in jeder weiteren Unterrichtsstunde entgegenkam.

Stolz. Ja, das war es, was beide gemeinsam hatten. Einen noblen Stolz, der jedoch nicht den Farbton der Arroganz trug, sondern edelmütig war.

Er wartete im Park auf sie, denn er wusste, dass ihr Schulweg daran vorbei führte. Langsam schritt sie auf ihn zu, hatte nicht das Bedürfnis ihm auszuweichen. Die Jugend liebt schnell, vergisst schnell, dachte er wehmütig. „Ich will nicht, dass du leidest, nicht wegen mir, das hätte keinen Sinn.“, meinte er nur. Sie stand vor ihm, ihr blondes Haar bildete einen eigentümlichen Kontrast zum frühlingshaften Grün der Blätter. Trotzig bemerkte sie „Du bist älter als ich, erfahrener. Du musst wissen, wie du mit Menschen umgehst.“, sagte sie und in diesem Satz lag ihre ganze Pein.

Darum bat er „Komm dieses Wochenende zu mir........bitte!“ Er wusste, dass er sie bitten musste, damit sie kam.

„Werde sehen.“, sagte sie nur und lief schnellen Schrittes fort. Sie spürte das Hämmern ihrer Halsschlagader bis zur Übelkeit. So sehr hatte sie auf nur ein Wort von ihm gewartet und fragte sich gleichzeitig warum sie das tat. Dieser Mann hatte nichts Schönes, nichts Liebeswertes, nichts an sich, was einem die Liebe schmackhaft machen konnte, doch wahrscheinlich war gerade dies der Grund, warum Denis ihn so sehr liebte. Sie liebte alles an ihm. Seine steife Art sich zu bewegen, seine oftmals schiefe Körperhaltung, seine hohe Stirn, eben einfach ihn. Vielleicht, dachte sie, müsste man um so einen Menschen zu lieben, einfach den Wunsch haben reif zu sein, was jedoch nicht mit einschloss es tatsächlich zu sein. Es war die Schwermut seines Gemüts, warum sie ihn, in ihrer jugendlichen Unreife liebte. Er hielt sie mit seiner Traurigkeit gefangen.

Er wartete auf sie. Normalerweise war sie pünktlich. Heute ließ sie ihn eine halbe Stunde warten. Sie war klitschnass, als sie eintrat und lief sogleich ins Wohnzimmer zum Kamin. „Das nützt nichts, du musst deine nassen Sachen ausziehen.....warte ich hole einen Bademantel.“

Als er zurückkehrte hatte sie sich der meisten Kleidungsstücke bereits entledigt, saß in einer dunkelblauen Unterwäsche vor ihm. Nicht aufreizend, eher sportlich war ihr Büstenhalter. Sie zitterte. Wieder schien Claire in Denise Gestalt anzunehmen……..

„Na, hast du schon ein Mädchen gehabt?“, fragte Claire keck. Verlegen hüstelte er. Sie setzte sich auf sein Bett, zog ihn zu sich. Eine seltsame Wonne, ein sonderbares Gefühl der innersten Nähe überrannte den damals Dreizehnjährigen. Wie in einem Wirbel saugte sie ihn mit ihren Küssen in sich auf, umfing mit ihrer süßen Haut den Knaben, nahm ihm seine Kindlichkeit und ließ ihn in den weiteren Jahren doch für immer Kind sein.

Er legte ihr den Bademantel um die Schulter. Sie blickte hoch und zog ihn, wie Claire damals, zu sich, legte sich auf ihn. Ihm schwindelte, sein Herz schien unkoordinierte Laute zu hämmern. Wieder dieser süße Geruch junger Haut. Das machte ihn ganz verrückt, ließ ihn in sich zurückfallen und stöhnte Claire, Claire, ach Claire........Wie von Sinnen starrte Denise ihn an und schrie

„Wer ist sie! Ich, ich, kann nicht mehr......es tut weh, so weh......ich liebe dich so sehr und immer wieder höre ich nur Claire...!“

Sie weinte, lief ins Bad und zog ihre nassen Sachen wieder an. Unsanft aus seinen Träumen gerissen, stürmte Jeremy zu ihr, nahm sie in die Arme und stammelte

„Verzeih mir, verzeih mir, aber du ähnelst ihr so sehr, so sehr......“

Sie spürte sein Leid, sodass sie plötzlich keine Liebe, sondern nur mehr Mitleid empfand. Es war jenes Gefühl, dass sie anfangs für ihn empfunden hatte und in diesem Moment fiel jede Verliebtheit für diesen Mann ab, der in ihren Augen nur mehr Elend war. Sie tröstete ihn ein wenig und ging bald, jedoch mit den Worten „Ich weiß nicht, ob ich dich wieder besuchen werde..... ich habe nur langsam genug davon.“

Und wieder umfing Jeremy das Gefühl Claire von Neuem verloren zu haben. Er begriff, dass ihre Liebe für ihn gestorben war. Tot wie Claire, war nun auch Denise für ihn. Doch sie war immer noch am Leben. Durfte sie das? Durfte Denise immer noch am Leben sein, wenn Claire tot war, wenn die Liebe für ihn aus beiden gewichen war? Ein Strudel aus Verlustangst, vermengt mit Machtgefühlen, schüttelte ihn. Wenn sie schon für ihn verloren war, dann ganz. Er kannte ihren Weg nach Hause – sie musste ungefähr eine halbe Stunde mit dem Rad fahren, doch heute fuhr sie nicht mit dem Rad, sondern ging wegen der nassen Fahrbahn zu Fuß. Deshalb kam sie auch eine halbe Stunde später bei ihm an. Er hetzte ihr mit dem Auto nach.

„Los, steig ein! Ich fahr dich heim!“

Denise wehrte ab „Das geht nicht, meine Eltern glauben ich bin bei einer Freundin und dann würden sie ein Auto sehen.......“ Wieder forderte er sie auf „Du wirst sonst krank......los, steig endlich ein!“

Widerwillig stieg sie ein. Er sah anders aus, stellte sie fest. Nach fünf Minuten sagte Denise „Das ist der falsche Weg, hier wohne ich ja gar nicht!“ Jeremy stammelte „Wir gehen noch in ein Café.“

„Ich will nicht in ein Café......ich will nach Hause!“

„Ich muss das hier richtig abschließen! Verstehst du das nicht? Es muss ein Ende haben mit uns.“ Denise wurde sanfter

„Gut, wenn du meinst, aber reden hätten wir auch bei dir können.“

Wieder tauchte das Bild von ihrem leblosen Körper vor ihm auf.

Es war so einfach gewesen, so einfach. Sie hatte sich nicht gewehrt, war biegsam wie eine Puppe. Selbst als sie tot war, schien sie ihn noch anzusehen. Ein anderer – sie meinte, sie würde nun einen anderen Kerl lieben, erinnerte sich Jeremy schaudernd daran und wieder wurde er wütend, so wütend.

„Keine Liebe dauert ewig, mein Schatz!“, gurrte Claire und graulte ihm das Kinn, als wäre er ein Trottel und genauso fühlte er sich auch heute. Hatte auch Claire ihn verlassen, auf die eine oder andere Weise - Denise wird es nicht tun. Das stand für ihn fest.

Die Liebe gehört der Ewigkeit und ewig ist der Tod. Jener stille, zeitlose Ort des Vergessens und des Festhaltens.

Er lenkte den Wagen in einen Waldweg. Sie war sanft und versuchte ihn zu trösten „Aber, du liebst doch diese Claire. Mir tut das weh, wenn du stets ihren Namen aussprichst!“

Mit einem starren Blick betrachtete er sie „Ja, ich weiß, was wirklich weh tut und du wirst mir nie mehr weh tun, Claire, das sage ich dir!“

Ein mulmiges Gefühl stieg in Denise hoch „Mein Name ist Denise, nicht Claire, ......D e n i s e !“, schrie sie ihn an. Doch Jeremy führte seinen irren Monolog weiter und weiter.

Denise bekam wieder Mitleid mit ihm. Sein wirres dunkles Haar hing ihm in die Stirn, seine Hände verkrampften sich am Steuer.

„Es ist wirklich besser, wenn du dich ein wenig ausruhst und außerdem hat der Regen nachgelassen. Ein wenig Waldluft tut uns sicher beiden gut.“, versuchte sie ihn zur Vernunft zu bringen und stieg aus dem Wagen.

Hier war der Boden noch trocken. Durch den dichten Laubwald hatte sich der Regen noch nicht durchkämpfen können. Bernsteinfarben lagen die Laubblätter vor ihr, sie fand das märchenhaft schön und sog die Herbstluft tief in ihre Lungen. Sie fühlte sich befreit, befreit von der Fessel einen Menschen zu lieben, der doch nie zu ihr gehören würde, nie wirklich Anteil an ihrem Leben haben könnte, wie auch sie nie Teil seines Lebens werden konnte. Sie dachte an den nächsten Tag und an Ashley. Sie betrachtete den vom Regen tränenverhangenen Himmel, der sich über sie wölbte und genoss es, jung zu sein. Sie fühlte sich leicht und frei von jeder Schuld. Umso mehr spürte sie die Last dieses Mannes.

Es war so einfach. Sie stand wie damals im Wald mit dem Rücken zu ihm und er brauchte sie nur von hinten zu nehmen. Die Angel seines Onkels hatte er immer noch im Wagen, zur Erinnerung. Claire durfte keinem anderen gehören, niemals. Sie hörte das leise Rascheln des Laubes, als er sich ihr näherte. Immerfort starrte sie in diese graue Masse des bleiernen Himmels, der sich über sie wölbte.

Sie freute sich auf Ashley und nahm sich vor, ihn zu fragen, ob er mit ihr nächste Woche ins Kino geht. Genau das werde ich tun, dachte sie erfreut und spürte sogleich einen sanften Druck an ihrem Hals, als ob sich ein dünner Faden um ihre Kehle legt.

Eine Angelschnur war besonders hart und sehr strapazierbar. Wie seidig ihr blondes Haar war, ihre schlanke kindliche Gestalt. Er berührte sanft ihre Schulter. Es würde nicht weh tun, nur ein kurzer Ruck, dachte er und schon zog er die Schnur fest um ihren Hals. Sie rang nach Luft. Der bleierne Himmel schien auf sie zu stürzen, sie zu erdrücken. Es gab kein Entrinnen vor diesem Dunkel, das sie eisern umklammert hielt und mit sich riss.

Denise röchelte nach Luft und fiel wenig später leblos in die Arme ihres Mörders.

3 Makabre KURZGESCHICHTEN

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