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EINZUG UND EINRICHTUNG IM HINTERHOF
ОглавлениеWer den im Hinterhof einquartierten, mit Neugier behafteten Damen eine Freude machen will, sollte eigentlich im Wagen ankommen. Sowie ein Fuhrwerk durchs Tor rollt, gehen überall die Fenster auf. Die Köpfe, wenn auch mit unvollendetem Lockenbau, streben auf verlängerten Hälsen hervor. Die oft mit Gläsern bewaffneten Augen begrüssen, je nach dem Gegenstand, mit freundlichen oder feindlichen Salven die Ankömmlinge, welche durch die Spiessrutengasse der spähenden Blicke ihren Einzug halten.
Dieser Heerschau entgehen die, welche im Schiff ankamen und geräuschlos und bescheiden zu Fuss den von mancherlei Gebäuden eingefassten Hof betreten, wenn nicht der polternde Schubkarren, auf welchem der Badwäscher das Gepäck zuführt, oder die Glocke, welche der Kellnerin die Ankunft neuer Gäste meldet, einige Zuschauer ans Fenster lockt.
Freundlich wird man vom Herrn Wirt und seiner Frau empfangen,48 allein die Sorge für die Einrichtung der Gäste überlassen sie der Kellnerin und dem Badwäscher, welche Hauptpersonen sind. Um den Letzteren für sich zu gewinnen, drückt man ihm etwas in die Hand und ist dann auch immer sicher, ordentlich und gefällig bedient zu werden. Man kommt nun in das bestellte Gemach, das, oft nur flüchtig gekehrt, noch mancherlei Spuren seiner letzten Besucher enthält. Ein solches Gemach besteht gewöhnlich aus zwei, drei bis vier Zimmern mit nackten Gipswänden, denn Tapetenluxus ist hier nicht üblich. Dazu gehört eine kleine russige Küche und ein geräumiges Bad. Nur ein paar dieser Wohnungen haben Öfen, Kamine sind nirgends anzutreffen.
Die Gemächer haben, wie bekannt, nebst den dazu abgeteilten Bädern keine Nummern, sondern alle eigene Namen, zum Beispiel das Hölderlein, die Schneckenlaube, das Fälklein, die Herzogenstube, das Friesenbergli, der Kleine und der Grosse König (vor welchen beiden Monarchen ich wegen ihres beträchtlichen Hofstaats von Mäusen eine ehrfurchtsvolle Scheu hege), das Köpflein, das Mühlrad, das Pflüglein und so weiter.
Der im Jahr 1778 aufgeführte, noch jetzt so genannte Neue Bau enthält die bequemsten Wohnungen und ist am regelmässigsten eingerichtet. Dass man in diesem Hause nur aus den schlechtern Gesindekammern auf die blaue fröhliche Limmat und die grünen Rebhügel jenseits sehen kann und die besseren Herrschaftszimmer alle gegen den Hof gerichtet sind, darf wohl nicht getadelt werden, indem diese Unordnung dem Geschmack der meisten Gäste entspricht, welche gern ihre Neugier über die Ab- und Zugehenden mögen walten lassen.
Das in einem gegenüberstehenden Gebäude befindliche Fälklein ist auch besonders empfehlenswert.
Meine Lieblingswohnung liegt am hintersten Ende des Hofes in einem einsamen Gebäude, das die Jahrzahl 1550 am Eingang trägt und die hintere untere Laube heisst. Von allem Geräusch und Zudrang geschieden, kann man nirgends so ungestört wie da seiner Gesundheit und Bequemlichkeit pflegen. Aus den nach Westen gerichteten Fenstern des grossen heiteren Hauptzimmers ruht der Blick im schattigen Grün der Matte aus oder verfolgt die Limmat auf ihrem flüchtigen Zuge bis unter Rieden; und wenn am Abend die Glut der sinkenden Sonne über den Wellen schwebt, ist hier ein wahrer Dichtersitz. Leider schliessen die Türen und Fenster dieser lieblichen, aber veralteten Wohnung schlecht, bei Wind und Regen ist man darin nicht zum Besten aufgehoben, und auch hier treiben die Mäuse gewaltigen Spuk.
Überhaupt ist sehr zu bedauern, dass mit Ausnahme des Neuen Baus die meisten Häuser des Hinterhofes im Laufe der Jahre in allmählichen Verfall geraten sind und auch das darin vorhandene Gerät die Bedürfnisse der Zeit nicht mehr befriedigen. Tische, Stühle und Schränke sind grösstenteils schwerfällig, alt und abgenutzt. In den älteren Zimmern findet man auf den ungeheuren Bettstellen noch nicht überall Matratzen und muss auf erhitzenden Federn und unter einer ähnlich schweren Decke liegen, die wie der Alp auf den Magen drückt. Wenn der Wirt auch den guten Willen zeigt, da wo keine Matratzen sind, aus andern Zimmern welche herbeizuschaffen, so kann er doch einem solchen Wunsch nicht entsprechen, wenn alle Gemächer besetzt sind, und so tut man wohl, seine eigenen Betten mitzubringen, auch Wandschrauben, um Kleidungsstücke daran zu befestigen, einige Bücher Papier, um das Innere der Schränke reinlich zu bekleiden, und Vorlegeschlösser, um seine Wohnung abschliessen zu können, da viele Türen entweder gar keine Schlösser oder statt Schlüsseln nur Drücker zum Wegnehmen haben, welche dem Ein- und Ausgehenden immer nachfallen.
Aus der untern Laube gegen die Matte.
Im Badgewölbe ist zur Bequemlichkeit auch nichts vorhanden als eine alte Bank und an der Mauer ein Rechen mit Pflöcken zum Aufhängen der Wäsche.4
Wenn man den Verfall betrachtet, in welchen der Hinterhof bereits geraten ist, so möchte man wähnen, es fehle dem Besitzer an Mitteln, diese noch jetzt ihrer Lage wegen vorzügliche Anstalt wieder emporzuheben. Das ist aber nicht der Fall, die Sache hat einen ganz anderen Grund:
Der Hinterhof, welcher in den ersten Zeiten der Christenheit der Drei Küngenhof, im Mittelalter der Herzog von Österreich Hof hiess, ward von diesen fürstlichen Eigentümern in ein Hand-, später in ein Erblehen verwandelt. Als im Jahr 1415 die Grafschaft Baden mit allen ihren Rechten und Freiheiten an die Eidgenossen überging, wurden dieselben Eigentümer und Lehensherren dieses Hofes, und mit Zustimmung der übrigen sechs mitregierenden Stände Bern, Luzern, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus übertrugen Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich auf St. Pelagientag 1434 durch eine noch vorhandene Urkunde dieses Erblehen, Häuser, Bäder, Güter, Mobilien und alles Zubehör an Hans Klingelfuss, Hans Ulrich, seinen Bruder, Margaretha Schwarzmurerin, Ulrich Klingelfussens Tochter, und Clevi Wirz um einen jährlichen und ewigen Zins von 160 Rheinischen Gulden, und zwar unter dem Namen des Schinderhofes, unter welchem derselbe lang bekannt war; nicht etwa, weil unsere Alten vielleicht von einem unbilligen Wirt darin geschunden wurden, sondern nach dem Namen eines früheren Lehenmannes, der Schinder hiess, welches Geschlecht der Stadt Baden längst erloschen ist. In den Leuischen Manuskripten auf der Zürcher Stadtbibliothek wird dieses Lehens auch unter dem Namen Schinderhof gedacht und dabei bemerkt: «Weilen aber diese Expression in delikaten Badeohren etwas zu hart klingt, hat man Hinderhof daraus gemacht.»
Nachdem dieser Schinder- oder Hinterhof als Erblehen aus einer Hand in die andere geraten, kam selbiger endlich durch Heirat in das Geschlecht der Falken an die Familie Dorer, ward nun gar noch in ein Erb-, Mannsund Familienlehen oder Fideikommiss verwandelt und blieb es auch ungeachtet aller Revolutionen bis auf den heutigen Tag. Die Regierung des Kantons Aargau bezieht davon jährlich 240 Gulden Zins.
Der jetzige Besitzer des Hinterhofs hat nur Töchter und keinen Sohn. Nach seinem Tod fällt die ganze Anstalt auf eine andere Linie der Familie, darum kann und mag er weder bauen noch Betten und neues Gerät anschaffen. Das Kapital, welches er auf die nötigsten Verbesserungen verwenden müsste, wäre für seine Kinder grösstenteils verschleudert und käme lachenden Erben zugut. Seit mehreren Jahren wohnt er in der Stadt, wo er sich zur Ruhe gesetzt, und hat die Badwirtschaft einem Tochtermann verpachtet. Sollte dieser bauen und anschaffen? Ich frage, was kann man, ohne unbillig zu sein, von einem Afterlehenmann fordern, welcher die Wirtschaft abgeben muss, sobald der Schwiegervater die Augen schliesst? Jeder Nagel, den er einschlägt, ist für ihn verloren und trägt ihm keinen Zins mehr ein, wenn er von dem Lehen abgezogen ist.5
Das ist der Fall bei jedem Fideikommiss. Alle aufgeklärten Regierungen sollten dergleichen Familienverordnungen, deren Nachteil sich immer im Verfolg der Zeiten zeigt, die lauter Zankäpfel sind und alle Industrie hemmen, ein für allemal verpönen.
Nur teilweise liesse sich schwerlich mehr etwas am Hinterhof erneuern und verschönern, weil wenigstens die älteren Gebäude durch ihre Anlage schon und noch mehr durch ihre Baufälligkeit das daran zu verwendende Geld kaum wert wären. Die herrliche Lage, das kostbare Wasser schreien laut nach einer ganz neuen, von Grund aus veränderten Einrichtung. Dieser Hof hat voraus allen andern den grössten Flächeninhalt und Wasser zu 30 Bädern, welches ebenso gut 40 füllen könnte. Ein reicher Privatmann oder eine Gesellschaft verständiger Aktionäre könnten da eine gute Spekulation machen, wenn sie der Familie Dorer das Lehensrecht abzukaufen trachteten und diese, welche doch über kurz oder lang einmal beträchtliche Bauten unternehmen muss, wenn nicht alles zugrunde gehen soll, würde auch besser bei einem solchen Verkauf fahren. Der Zins des Kaufschillings könnte ja, wenn das Fideikommiss in veränderter Gestalt doch fortdauern müsste, dem Ältesten zufallen, der, aller Sorge über den Hof enthoben, eine wahre Präbende dadurch bekäme. Die Kantonsregierung würde gewiss auch eine solche Spekulation, wodurch die Gebäude neu aufgeführt würden, begünstigen, vielleicht gar ihr Lehensrecht verkaufen, und ganz Baden könnte durch eine solche Wiedergeburt gewinnen.
Ich möchte wohl beim Abbrechen des alten Gebälkes und Gemäuers zugegen sein, es wäre ein lustiger Anblick. Hu, wie würden da am hellen Tag die Fledermäuse emporflattern aus ihren Nestern, in welchen sie seit Jahrhunderten ihr Monopol ausübten! Nur durch grosse, allgemeine Massregeln könnten auch die Mäuse und die Ratten, die Flöhe und Wanzen aus ihren verjährten Schlupfwinkeln ganz vertrieben und ausgerottet werden.
Aber warum gehen denn viele von uns Zürchern doch immer noch gern und oft sogar vorzugsweise in den Hinterhof? Es ist eine alte Gewohnheit. Vor Zeiten, wo alles anders und besser war, wie späterhin gezeigt werden soll, ward der Hinterhof als die geräumigste Badanstalt von allen Leuten besucht, die sich auf ihren Stand und Rang in der Gesellschaft etwas einbildeten. Hierher kamen nur selten Bürger aus den unteren Klassen, man geriet mit ihnen in keinerlei Berührung.
Das Vorurteil dieser alten Standesmässigkeit hat sich zum Teil noch bis auf unsere Zeiten erhalten. Der Adel wohnte von jeher lieber in berühmten, wenn auch engen und zerfallnen Burgen als in neuen, heiteren und gemächlichen Bürgerhäusern. Dann gewähren die vereinzelten, ein abgesondertes Ganzes für eine Familie bildenden Gemächer mit eigener Küche, wo das Frühstück und den ganzen Tag über warmes Wasser nach Belieben bereitet werden kann, die freundliche Nähe der Matte und viele andere kleine Bequemlichkeiten, bei aller Baufälligkeit und dem Mangel an aller Eleganz, bedeutende Vorteile. In keiner der hiesigen Badanstalten kann man so stille leben und seiner Willkür pflegen wie hier. Man richtet sich seine Haushaltung so wohlfeil oder kostspielig ein, als man es wünscht. Da im Hinterhof noch immer die Mehrzahl der Gäste allein speist, so erhält man gerade die verlangte Zahl Gerichte aus der Küche, und dann muss man dem Wirt die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass seine Preise für Zimmer und Lebensunterhalt äusserst billig sind. Für die Bäder wird in Baden nirgends etwas anderes bezahlt als das Trinkgeld, welches man dem Badwäscher am Ende der Kur verabreicht.
Ist man einmal eingerichtet, was jedoch mehrere Stunden erfordert, besonders wenn man eine zahlreiche Haushaltung mitgebracht hat, so sieht man sich gern ein wenig um; und so wollen wir auch eine kleine Runde in der Nachbarschaft machen.