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DIE MATTE

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Vor dem Mittagessen gibt man sich gern noch etwas Bewegung im Freien und dazu ist die Matte (das Mätteli, vor Zeiten auch die Werde-Matt genannt) ganz vorzüglich geeignet. Sie gehört nebst vielen anderen Gütern zum Hinterhof, wird aber von den Bewohnern aller übrigen Gasthöfe als öffentlicher Spaziergang benutzt, und zwar von alters her mit Fug und Recht, denn auf Pfingsttag 1424 ward von der Tagsatzung in Baden diesfalls eine Verordnung gemacht, in welcher es heisst: «Es ist zu wissen von der Werdmatten im niederen Baden, worauf man tanzt, die ist vor gemeiner Eidgenossen Boten geöffnet, und ist also von alters hergekommen, dass diese zu Heinrich Schinders sel. Hof gehört und gehören soll, und dass jedermann, in welchen Würden und Ehren er ist, seien es Frauen, Herren, junge oder alte Leute, jederzeit, sommers und winters auf der Matte sich ergehen mögen, Steg und Weg haben und ihre Kurzweil treiben, sei es mit Tanzen oder anderer geziemlicher Kurzweil und es soll das niemand dem andern wehren auf seinem Weg. Und wer des Schinders Hof innehat, der soll auf seine Kosten immer die Tanzbühne auf der Matte erstellen und in Ehren halten und niemandem seine Kurzweil erwehren. Was sonst auf der Matte wächst und zu nutzen ist, mag der nutzen, der den Hof besitzt und hierin von niemandem gehindert sein.»

Die Matte ist ein schmaler, lieblicher, schattiger Wiesengrund, etwa 150 Schritte lang. Auf der einen Seite fliesst die Limmat in schnellem Zuge vorüber, auf der andern erhebt sich ein grüner, mit Bäumen und Buschwerk bekränzter Rain. Gegen Westen ist sie ganz von einem dunkeln Buchenwäldchen eingeschlossen, durch welches über mancherlei Gestein ein enger, romantischer Fusssteig am Flusse hinab, ein anderer, breiterer, links aufwärts gegen die obere Matte führt. Jenseits der Limmat sieht man steile, von der Siggenthalerstrasse durchschnittene Traubenhügel, in welchen auf Kalksteingrund ein trefflicher geistiger Wein wächst, worunter der von der Müseck der vorzüglichste ist. Über den Traubenhügeln ruht die waldbewachsene Stirne des Hertensteins. Alles, was hier die Kunst zur Verschönerung der Natur getan hat, besteht in einem acht Fuss breiten, mit Sand bestreuten und mit Pappeln eingefassten Gang, einer Linde am Ende desselben, einigen andern hier und da gepflanzten Bäumen, nebst wenigen Bänken und einer Kegelbahn.22

Vor 25 Jahren liess Herr Oberst Burkhard aus dem Kirschgarten von Basel, der ein vorzügliches Talent zu einfachen und geschmackvollen Gartenanlagen besass und die Landökonomie aus dem Grunde verstand, auf eigene Kosten die Allee breiter machen, die Pappeln und einiges Buschwerk hinpflanzen, das Gesträuch, wo es nötig war, aushauen und reinigen, den ganzen Platz verebnen und überall Bänke hinsetzen. Er gab auch Anleitung, wie das ganze grosse Gut, ohne den Ertrag desselben zu vermindern und ohne bedeutenden Aufwand, in einen reizenden Park hätte umgeschaffen werden können. Allein aus den nämlichen Gründen, welche alle Verbesserungen im Hinterhofe selbst erschweren oder unmöglich machen, kam auch davon nichts zustande und ward Herrn Burkhards kleine Schöpfung fürs allgemeine Beste nicht gehörig unterhalten. Wenn Bänke abgehen oder gestohlen werden, was über den Winter oft geschieht, müssen die Kurgäste, welche gern im Grünen sitzen, etwas Geld zusammenschiessen, um auf den Stellen, die sich vorzüglich dazu eignen, ein paar Bretter flüchtig auf Pfähle nageln zu lassen, welche schon im nächstfolgenden Sommer meistens wieder verschwunden sind.

Wenn nicht gar zu viele Spaziergänger zusammentreffen, findet man auf der Matte, so klein sie ist, Raum genug nebeneinander. Bei gutem Wetter ist gewöhnlich gegen Mittag, an Sonntagen in grösserer Zahl die schöne Welt hier versammelt. Man kann auf und nieder gehend sich freier als im Zimmer mit seinen Bekannten unterhalten. Man mustert die Neuangekommenen, merkt sich die Gesichter, auf welchen der Blick am liebsten verweilen mag, und knüpft manche Bekanntschaft an, die in der Folge bedeutend werden kann.

In gänzlicher Ermangelung jedes andern Vereinigungspunktes trifft auch gegen Abend wieder ein Teil der Gesellschaft hier zusammen. Schon in den ältesten Zeiten war die Matte der Ort, wo die Badgäste sich vorzugsweise versammelten, zusammen speisten, pokalierten und sich mit mancherlei Spielen ergötzten. So beschränkt auch der Platz ist, so wurden dennoch Feste hier gefeiert, die wir in unseren Tagen nur noch dem Namen nach kennen. Gesandte fremder Mächte, besonders der Krone Frankreichs, die wegen der Eidgenössischen Tagsatzungen den Sommer über ihren Wohnsitz in Baden aufschlugen, gaben hier prächtige Gastmahle im Freien, zu welchen alle angesehenen Badgäste geladen, die Männer mit kostbaren Weinen bewirtet, die Frauen oft sogar mit goldenen Ketten und Armspangen beschenkt wurden, wodurch die Botschafter trachteten, sich und ihren Herren Freunde und Förderer für die Zwecke ihrer diplomatischen Sendungen zu gewinnen, die hauptsächlich auf Anwerbung käuflicher Schweizer in fremde Kriegsdienste zielten. Illuminationen und Feuerwerke dauerten bei solchen Gelegenheiten bis in die späte Nacht hinein. Wie die Kur daneben gebraucht ward, kann man sich vorstellen.

Wie manches kleine Liebesabenteuer mag wohl hier schon im Verstohlenen angesponnen worden sein, das den Stoff zu den anziehendsten Romanen hätte liefern können!23 Wie manche glückliche Ehe war die segensreiche Folge des ersten Erkennens gleichgestimmter Herzen in diesen Schattengängen! Wie manche Verbindung wurde dagegen auch hier in der Eile von Leichtsinn und Gefallsucht unauflöslich geknüpft, die nach bald verflogenem Rausche nur Ekel und Missmut zurückliess, welche kein Wasser mehr wegschwemmte! Wie mancher stiller Seufzer über physische und moralische Leiden, welche das Bad hätte heilen sollen und, ach, nicht zu bezwingen vermochte, und auch wie mancher innig empfundene Dank für wiedererlangte Gesundheit stieg schon seit Jahrhunderten aus diesem Raume zum Himmel empor!

Oft sieht man im Anfang der Kur manchen Badgast hier mühselig und jämmerlich an Krücken einherschleichen, der nach Verfluss einiger Wochen schon wieder auf eigenen, neu gestärkten Beinen rüstig davonschreitet. Die Gewohnheit unserer Alten, in Kapellen oder an Bäumen bei den Bädern, wo sie den Gebrauch ihrer Glieder wieder erlangten, die unnütz gewordenen Krücken aufzuhängen, hätte sich nicht verlieren sollen. Es war eine fromme, sprechende Übung!

Die kleine Kapelle, welche zwischen beiden nach der Matte führenden Toren mit der Mauer in einer Flucht steht und jetzt das Mattenkirchlein genannt wird, ist den heiligen drei Königen geweiht und einzig noch bemerkenswert, weil in früheren Zeiten nach ihr die ganze Anstalt das Bad der drei Küngen in Ober-Schwaben bei Schweiz hiess. Dass einst an dieser Stelle ein römischer Tempel bei den Bädern gestanden habe, ist zwar oft behauptet, jedoch nie gründlich bewiesen worden. Indes soll im Jahr 1550 hier ein steinerner Altar aus der Erde gegraben worden sein mit der Inschrift:

DEO INVICTO TIB. CASSIUS ET

SANCTUS ET TIB. SANCTEIUS

VALENS

IEVI --------- L.

aus welcher die Altertumsforscher zusammengesetzt haben: «Dem unüberwindlichen Gott (gewidmet) von Tiberius Cassius Sanctus und Tiberius Sanctejus Valens, des Jevi Freigelassene.»

Auf der Galerie über dem Eingang findet der Liebhaber dieser Kapelle ein paar bedeutende Überbleibsel altdeutscher Kunst. Diese schmalen, etwa zweieinhalb Fuss hohen Gemälde stellen die heilige Magdalena in einem weissen, bis auf die Füsse herabfallenden Schleier und die heilige Anna mit langen, goldenen Locken in einem roten Mantel dar. Von einem anderen Meister hängen unten in der Kapelle zehn Passionsgemälde, die nicht so gut wie jene beiden Heiligenbilder, aber dennoch weit besser sind, als man sonst von dergleichen Darstellungen in kleinen Kirchen gewohnt ist.

Gegen halb ein Uhr verliert sich die schöne Welt von der Matte, welche um diese Zeit nur noch von einzelnen Landleuten, die vor der Mittagsglocke gespeist haben, besucht wird.

Die Badenfahrt

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