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VORMITTAGSBESUCHE46

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Wie angenehm ist es, wenn ein glücklicher Zufall uns in Baden mit lieben Freunden zusammenführt, in deren Gesellschaft wir unsere Zeit zubringen können! Die Geselligkeit unter gebildeten Menschen, der Ideenaustausch mit geistigen Wesen gehört zu den Bedürfnissen, zu den reinsten Freuden des Lebens. Auch müssige Worttändelei, wenn sie mit etwas Mutterwitz gewürzt ist, hat ihr Gutes, wenn nichts Wichtiges darüber versäumt wird. Feines Zuvorkommen befreundet untereinander alle Alter und Stände, und man muss sich gegenseitig aufsuchen, wenn man sich näherzukommen wünscht.

Allein in Baden herrscht noch bei vielen Leuten der Brauch, ihre Mitbürger, welche den gleichen Hofbewohnen, wenn sie auch früher nicht näher mit ihnen bekannt waren und in der Folge auch in keinerlei Verhältnis miteinander zu treten wünschen, wenigstens einmal in ihren Zimmern zu begrüssen, und das geht bisweilen etwas breit zu. In der Regel werden dergleichen Besuche gegen elf Uhr abgestattet.

Da gibt es dann beim Eintritt viele blumenreiche Worte über die Ehre, die man sich gegenseitig erweise, und dieses Thema wird fugatim durchgeführt, bis man sich auf die Stühle hinkomplimentiert hat. Alsdann wird nach dem Befinden der ganzen Familie gefragt, für das Wohlsein des Herrn Vaters Gott gelobt, der Husten der Frau Tante, das Zipperlein des Herrn Schwagers und das beschwerliche Zahnen der lieben Kinder mit Bedauern erwähnt. Man äussert die Hoffnung, dass die Kur eine gesegnete Wirkung haben werde, erzählt einander wie warm, wie früh und wie spät man bade, was der Badwäscher gesagt habe und wie das heutige Wetter sich zum gestrigen verhalte. Ferner gibt es immer Stoff zu mannigfaltigen Vergleichungen des Hinterhofes mit dem Staadhofe, des Fälkleins mit dem Hölderlein, der Schnecken- mit der Gastlaube, und es werden die Vorzüge jedes einzelnen Zimmers gepriesen sowie seine Unbequemlichkeiten getadelt. Von der Komödie wird dann auch gesprochen, das Verdienst der Schauspieler und der Inhalt der neuesten Oper kritisch beleuchtet. Werden die Zwischenpausen etwas länger und regt sich etwa eine Anwandlung zum Gähnen, so scharrt man mit den Füssen zum Zeichen des Aufbruchs, erhebt sich von den Stühlen, dankt nochmals für erwiesene Ehre, gerät über das nähere oder weitere Begleit in delikate Protestationen und empfiehlt sich endlich noch ein paarmal ganz gehorsamst im Umwenden.

Wie eine Drehorgel die nämlichen Melodien wiederholt, so beginnt auch beim folgenden Besuch das nämliche Zungenspiel aufs Neue. Das bekannte Thema wird mit Variationen ad libitum abgeleiert, bis man endlich seinen Visitenkreis durchlaufen hat.

Auf dem Hof aber stösst man überall wieder auf Leute, welche herumziehen, um einander die Zeit auf ähnliche Weise zu vertreiben. Auf einem Beine stehend, den Hut ehrerbietig in der Hand, liefert man sich aphoristische Auszüge aller oben angeführten Merkwürdigkeiten, versäumt darüber oft den vorgehabten Spaziergang und muss sich gegenseitig, um nicht unhöflich zu scheinen, wie das Lamm dem Scherer herhalten, bis etwa die Glocke zur Tafel ruft oder die Langeweile, mit der man sich wie mit einem schleichenden Fieber unter den ausgesuchtesten Wendungen ansteckte, die müden Zungen vollends lähmt und die verstummenden Gruppen auseinandertreibt.

Bejahrte Frauen, welche noch an den älteren Formen der Höflichkeit festhalten, verstehen es meisterlich, dergleichen Sitzungen oder Stillstände zu verlängern, und ist endlich der Augenblick des Scheidens dennoch gekommen, so will keine zuerst aufbrechen, keine vor der andern eine Schwelle betreten. Und gehn sie zusammen spazieren, so werden sie bis vor das Tor einander an alle Mauern drängen, um sich auf der linken Flanke zu überflügeln und der hochwertesten Frau Muhme die rechte Ehrenseite pflichtschuldigst aufzuzwingen. Das alles geschieht unter den lebhaftesten Diskussionen, in welche wie Fanfaren das Geschnatter der Enten und Gänse einfällt, und ist gar possierlich im Vorübergehen zu beobachten.

Die Badenfahrt

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