Читать книгу Der letzte Sommer des Philip Slier: Briefe aus dem Lager Molengoot 1942 - Deborah Slier - Страница 29

Die Briefe

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[25. April 1942, Samstag]

Lieber Vater, liebe Mutter!

Bin hier im Lager angekommen. Ziemlich komfortabel. Ordentliches Bett, 3 Decken. Sauber. Gute Stimmung, angenehme Leute. Wir haben sehr wenig Freiheit. In Overijsel [Provinz] dürfen wir noch ab und zu eine Stunde das Lager verlassen, in Drente [Provinz] ist das verboten. Schickt mir so schnell wie möglich Mantel, Windjacke, Holzschuhe, Klappmesser.

Dringend notwendig ↑

Wenig zu essen. Möglicherweise darf bald nichts mehr geschickt werden. Erzählt dies jedoch nicht weiter, denn diesbezüglich ist nichts sicher. Angenehme Reise gehabt. Grüßt alle von mir. Einen Kuss von Flip

Nur Mut.

Kann noch nichts weiteres sagen.

Herzliche Grüße und einen Kuss von

Flip

Wenn ihr noch ein wenig Essen übrig habt, schickt es mir nur. Wir sind zu acht im Zimmer.

Lagerleiter hat eine Rede gehalten, nicht ermutigend, aber er hofft, dass wir alle bald wieder in A. [Amsterdam] sein werden.

Hardenberg, 25. April 1942 [Samstag]

Lieber Vater, liebe Mutter!

Nach einer wirklich angenehmen Reise zusammen mit einigen netten Leuten sind wir hier in Molengoot angekommen. Die Ausstattung ist viel besser als erwartet. Wir haben alle ein eigenes Bett mit drei Decken und einem sauberen Strohsack. Alles hier ist sehr ordentlich. Schöne Toiletten, Waschräume und gute Baracken. Ich liege neben Nico Groen.1 Das ist natürlich angenehm. Die Koffer durften wir in Hardenberg auf einen Wagen werfen. Das hat ein Dubbeltje [10 Cent] gekostet. Nach einer halben Stunde Laufen kamen wir im Lager an. Die Leute aus dem Zug und ich sind im selben Zimmer untergebracht. Jedes Zimmer ist mit acht Leuten belegt. Nachdem wir eine Stunde im Lager waren, sind wir allesamt in die Kantine gegangen. Das ist ein großer Saal mit Büchern, Dame- und Schachspielen und Billardtischen. Dort wurde eine Rede gehalten, in der man uns mitteilte, dass wir leider nicht genug zu essen bekommen würden. Auch wurden wir davor gewarnt, uns aufzulehnen oder Ähnliches, und vor den Strafen, die dies zur Folge hätte. Der Redner hoffte ebenfalls, dass wir bald alle wieder in Amsterdam sein würden. Das löste natürlich einen gewaltigen Applaus aus. Danach bekamen wir unsere erste Mahlzeit: Brot und Butter. Sechs Butterbrote pro Mahlzeit und 1 ¼ Unzen [125 g] Butter für die ganze Woche. Wir waren alle noch ziemlich gut ernährt, also reichte das. Zwei Stunden später bekamen wir alle einen leckeren Teller Rotkraut mit richtigem Fett und Fleisch. Bis heute Abend habe ich genug gegessen. Nur der Kaffee schmeckt wie Spülwasser. Wie es hier sonst aussieht, kann ich natürlich noch nicht sagen. Da müssen wir abwarten. Wir sind hier insgesamt hundertfünfzig Mann, überwiegend angenehme Leute, glaube ich.

Heute Abend waren wir alle sehr fröhlich und haben während der Mahlzeit richtig viel gelacht. Es wird in unserer Baracke sicherlich lustig werden, wenn nur das Essen gut ist. Papa, kannst du mir bitte so schnell wie möglich meine Holzschuhe schicken? Auch meinen Regenmantel, mein Klappmesser, Briefumschläge und meine Windjacke. Schick auch bitte den Gelbfilter meines Fotoapparates mit, Stopfwolle, Schuhe (braune) und auch die Dose mit Keksen. Es könnte sein, dass bald gar nichts mehr geschickt werden darf. Verglichen mit den Lagern in Drente haben wir noch eine gewisse Freiheit. Wir dürfen uns ab und zu frei bewegen, d.h. das Lager verlassen, ein- oder zweimal in vierzehn Tagen. Wir haben gerade Brot geholt. Das ist ganz wenig, etwas mehr als ein halbes Brot für zwei Tage. Das wird nie reichen. Nun ja, im Moment habe ich noch was. Vorläufig brauche ich nicht zu hungern.

Für heute Abend mache ich Schluss. Wenn ihr mir ab und zu etwas schickt, werde ich schon durchhalten. Auch an das Leben im Lager werde ich mich gewöhnen. Hauptsache, man lässt uns in Ruhe. Also, morgen mehr.

Es ist jetzt Sonntagmorgen [26. April]. Ich habe heute Nacht gut geschlafen. Gestern waren wir zusammen in der Kantine. Das ist ein großer Saal mit Damespielen, Billardtischen und Büchern. Dort kann man auch einiges kaufen wie Kaffee, Limonade, Toilettenpapier, Butterbrot- und Briefpapier und Briefmarken. Ich werde ein Foto von der Kantine machen. Morgen fangen wir mit der Arbeit an. Wir haben einen eigenen Trupp zusammengestellt aus Leuten, bei denen das Geld zu Hause nicht unbedingt benötigt wird. Also gehen wir es ruhig an. Nur schade, dass wir so wenig Bewegungsfreiheit haben. Ihr dürft uns auch nicht besuchen.

Sonntags könnt ihr uns jedoch wahrscheinlich sprechen. Wie, das werde ich euch noch mitteilen. Ich habe heute Morgen allein schon fast die Hälfte meiner Brotration für zwei Tage aufgegessen. Könnt ihr mir auch meine Hausschuhe schicken?

Ich mache jetzt Schluss. Grüßt und küsst alle von mir. Mutti, bleib stark, alles wird gut. Herzliche Grüße und einen Kuss von

Flip.

Hardenberg

Lager Molengoot

(Overijsel.) Zimmer 7

26. April 1942 [Sonntag]

Lieber Vater, liebe Mutter!

Ich habe heute meinen ersten Arbeitstag hinter mir. Es war unheimlich schwer.

Es wurde uns gesagt, dass man keinen Unterschied zwischen leichter und schwerer Arbeit machen könne. Wir arbeiten mit Christen zusammen und kommen gut mit ihnen aus. Unser Trupp hat jedoch eine eigene Arbeit. Wir sind die Einzigen, die mit Christen zusammenarbeiten. Wir müssen Schubkarren mit Sand füllen und die selbst wegfahren. Nach jeder Fuhre machen wir zehn Minuten oder eine Viertelstunde [Pause?]. Zehn Fuhren haben wir geschafft. Das erscheint nicht viel, aber es ist wahnsinnig anstrengend. Ich hatte das Glück, ein paar schöne Holzschuhe auftreiben zu können. Meine Schuhe habe ich heute fast ruiniert. Könnt ihr mir auch noch eine Staubbrille schicken? Unsere Augen bekommen durch den Wind so entsetzlich viel Sand ab, dass sie völlig kaputtgehen, wenn es so weiterbläst. Noch einmal: Schickt mir bitte Stopfwolle, Regenmantel, Gelbfilter, Windjacke und, wenn möglich, einen ›Overall‹. Ich werde euch meine Bezugskarte schicken. Gelbfilter.

Heute Morgen gab es Brei. Es war einfach Magermilch mit kaum etwas drin. Die warme Mahlzeit schmeckt gut, ist aber so dürftig, dass man erst richtig Hunger bekommt, wenn man mit dem Essen fertig ist. Ich bin dann zum Koch gegangen, aber der sagte, er könne auch nichts machen. Unsere Gruppe ist sehr nett, die Jungens sind ehrlich und solidarisch. Wir versuchen hier und da [bei den Bauern] etwas aufzutreiben, aber darüber dürft ihr nicht sprechen. Wenn ich irgendwann mal daheim auf Urlaub bin, werde ich euch davon erzählen.

Falls ihr etwas übrig habt, könnt ihr das ruhig schicken. Ich bin sehr sparsam, aber die Rationen sind so klein bemessen, dass alles schnell weg ist. Meine Butter habe ich noch nicht angerührt, und ich habe auch noch mehr als anderthalb Laib Brot, bin also sehr sparsam. Wir müssen um 5.30 Uhr aufstehen und um 5.45 Uhr Essen holen. Um 7.00 Uhr ziehen wir los. Also, ich melde mich wieder.

Flip

Ich werde erst wieder in zwei Tagen schreiben.

Hardenberg, 28. April, 1942 [Dienstag]

Lieber Vater, liebe Mutter!

Ich warte auf euren Brief, aber ich habe noch nichts empfangen. Habe jedoch Post von Bep,2 Tante Jo3 und Oma erhalten! Die ersten beiden Tage waren schlimmer, als ich dachte. Morgens um 5.30 Uhr aufstehen, 5.45 Uhr Essen holen und um 6.30 Uhr zur Arbeit. Anfang 7.00 Uhr. Morgens weht noch ein starker, frostiger Wind, der durch alles hindurchzieht, so dass mir eiskalt wird. Der Sand steckt überall, in den Kleidern, in Nase, Mund und Ohren. Dazu kommen dann noch die kalten Hände, so dass ich ehrlich sagen muss, dass die Morgenstunden eine Qual für mich sind. Wir müssen eine Straße bauen und dazu müssen wir Schubkarren füllen und diese hin- und herfahren. Das ist eine unheimlich schwere Arbeit. Obwohl wir nicht viel schaffen, sind wir wahnsinnig müde. Aber ich bin schließlich nicht aus Pappe und schlage mich schon durch. Kauft mir bitte ein paar Handschuhe und schickt sie mir per Eilboten. Ich brauche sie sehr dringend. Wenn ich diese Sachen und auch die anderen Dinge, um die ich euch bat, erst einmal habe, bin ich vorläufig zufrieden. Brotmarken kann ich [ebenfalls] gut brauchen.

Die warmen Mahlzeiten sind äußerst dürftig, aber wir besorgen uns schon was bei den Bauern. Das sind tolle Leute hier. Wenn ich nach Hause komme, erzähle ich euch davon. Sollte ich Hunger haben, gebe ich euch Bescheid, obwohl ein Paket natürlich immer willkommen ist, denn allzu viel zu essen bekommen wir nicht.

Jetzt etwas anderes. Ich höre, dass immer noch Leute einberufen werden. Wirklich entsetzlich. Hoffen wir, dass dir dieser verdammte Mist erspart bleibt, Papa. Es stimmt schon, man wird hier abgehärtet. Es ist jedoch ein Trost, dass wir in einem ordentlichen Lager sind und mit tollen Leuten zusammenarbeiten und untergebracht sind. Wir machen so viel wie möglich gemeinsam. Aber ich teile nicht alles mit ihnen. Ich habe noch drei Eier, für jeden Tag eins. Wir haben hier auch Eier gebraten, aber die Jungens wollen nicht, dass ich darüber schreibe. Lasst dies auch niemanden lesen, oder streicht die Zeilen zuerst durch. Ganz Amsterdam weiß sonst bald Bescheid, und das darf nicht sein. Die anderen sind auch ganz solidarisch und wir machen alles zusammen, obwohl ich nicht alles mit ihnen teile. Ich bin ja nicht blöd. Heute Abend machen wir Tee und morgen kochen wir Kartoffeln. Zeigt keinem diese Zeilen. Ich weiß nicht, ob das schlimme Folgen haben könnte. Schickt mir bitte bald mein Paket. Falls es schon weg ist, schickt meine Handschuhe per Eilboten hinterher. Ich denke jetzt unheimlich oft an zu Hause, vor allem auf der ›Arbeit‹.

Ich mache jetzt Schluss und werde bald mehr schreiben. Einen Kuss von

Flip

Grüßt alle herzlich von mir. Falls ihr mich noch besuchen wollt, so können wir etwas arrangieren, aber das muss alles heimlich geschehen. Es ist strengstens verboten, im Lager Besuch zu empfangen. Aber das machen wir dann dort, wo wir arbeiten.

Nun, seid herzlich gegrüßt und einen Kuss von


Bleibt bitte schön tapfer. Ich bin kräftig und gesund.

Zeigt auch Bep de Vries meinen Brief.

Wenn ich mich abends gewaschen habe,

sieht alles schon wieder ganz anders aus.

Hardenberg, 29. April, 1942 [Mittwoch]

Lieber Vater, liebe Mutter!

Das Paket und euren Brief habe ich bei bester Gesundheit empfangen. Ich bin schon lange nicht mehr so müde wie am Anfang. Ich scheine mich an die Arbeit zu gewöhnen, obwohl sie nicht leicht ist. Mutti soll nicht weinen oder grübeln. Dass wir alles überstehen werden, davon bin ich überzeugt. Heute Morgen waren die Gräben zugefroren, so kalt war es, und es weht ein kräftiger Nordostwind. Aber das habe ich euch schon geschrieben. Wenn ich hier jetzt so sitze, fühle ich mich wieder pudelwohl. Ich habe mir Beine, Gesicht, Ohren und Augen gewaschen. Ich möchte auf keinen Fall verdrecken. Ihr habt geschrieben, dass ich zum Arzt gehen soll, aber den gibt es hier noch nicht mal.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie glücklich ich über mein Paket bin. Die Holzschuhe waren nicht mehr notwendig, die kann jetzt jemand anders gut gebrauchen. Wenn ich meine Schuhe noch einen Tag länger getragen hätte, hätte ich sie wegschmeißen können. Meine Windjacke habe ich jetzt an. Sie sitzt herrlich. Sagt Riek [Hendrika Schaap] herzlichen Dank. Sie ist wirklich toll. Ich freue mich auch über die Hausschuhe, die Flöte, das Apfelkraut und alles andere. Nur schade, dass ich noch keine Handschuhe habe. Durch die Kälte sind meine Hände ganz rau. Morgen werde ich jedoch ein paar Socken für meine Hände mitnehmen. Das Klappmesser brauche ich nicht gleich. Auch meinen Gelbfilter braucht ihr nicht zu schicken.

Wie gemein, dass man Harry4 keine Pakete mehr schicken darf. Hauptsache sie können die Juden piesacken. Wenn ich keine Pakete mehr empfangen darf, schickt sie einfach nach Vriezenveen.5 Vielleicht kann man sie mir dort geben ... Über die Fam. De Bruin6 schreibe ich euch in einem anderen Brief. Vielen Dank noch für die Briefmarken. Die Bezugskarte für Textilien lege ich bei. Wir dürfen nicht nach Hardenberg. Wir dürfen nicht einmal das Lager verlassen. Wir sind hier eingesperrt wie Sklaven. Mein Setzschiff liegt noch bei Verdoner in der Druckerei.

Wenn Liesjes Lou auch nur einen Tag lang unsere Arbeit machen würde, würde er zusammenbrechen. Er soll in A. bleiben. Hier ist es nicht spaßig.

Aber noch einmal: Ich werde mich schon durchschlagen. Sollte irgendetwas passieren, bin ich sofort weg. Das könnt ihr mir glauben. Also Papa und Mama, bleibt stark. Falls Papa einen Einberufungsbefehl bekommt, versucht alles Mögliche vorzutäuschen.

Einen dicken Kuss von


Ich kann auch noch ein Paar ganz alte, kaputte Socken für die Holzschuhe brauchen.

Schickt so schnell wie möglich ein paar dicke Handschuhe per Eilboten. Noch einmal herzlichen Dank für das Paket. Ich bin überglücklich.


[Tschüüüüs]7

Der letzte Sommer des Philip Slier: Briefe aus dem Lager Molengoot 1942

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