Читать книгу Der letzte Sommer des Philip Slier: Briefe aus dem Lager Molengoot 1942 - Deborah Slier - Страница 30

Erinnerungen an das Lager Molengoot

Оглавление

Egbert de Lange aus Marienberg war zweiundzwanzig Jahre alt, als er im Lager Molengoot eintraf. Dieses Lager diente als Unterkunft für jene Arbeitslosen, die für die Heide-Gesellschaft Entwässerungskanäle ausheben sollten. Egbert de Lange war als Hilfskoch unter der Aufsicht des Kochs und Verwalters C. Abspoel eingesetzt.

Im März 1941, als de Lange erst seit einer Woche im Lager arbeitete, trafen die ersten Bewohner ein. Es handelte sich um Arbeitslose aus Den Haag und Scheveningen. Sie sollten drei Wochen lang Arbeit leisten, dann ein Wochenende frei bekommen und danach noch einmal für drei Wochen Kanäle ausheben. Im Dezember 1941 gab man ihnen für längere Zeit frei, weil eine Tätigkeit im Freien nicht mehr möglich war. Sie sollten Mitte Januar zurückkehren. Die Küchenmannschaft hatte einhundertachtzig Liter Erbsensuppe vorbereitet, doch niemand erschien. Erst eineinhalb Monate später kamen die Arbeiter wieder. Die Leute, die aus Scheveningen und Den Haag geschickt worden waren, arbeiteten etwa bis Ende März 1942, dann mussten sie ihren Platz für die Juden räumen.

»Diese Gruppe [von Juden] bestand zum größten Teil aus Geschäftsleuten, vor allem waren es die Inhaber von Bekleidungsgeschäften ... aber unter ihnen befanden sich auch etliche junge Leute. Sie hatten die gleiche Arbeit zu verrichten wie die Leute aus Scheveningen, bekamen aber für die gleiche schwere körperliche Arbeit weniger zu essen. Für sie lieferte man uns einfach weniger Vorräte«, erzählte Egbert de Lange. »Aber manchmal konnten wir die Lage ein wenig aufbessern. So kauften wir z.B. zusätzlich Kartoffeln, für die die Juden selber zahlten.« Doch mit der Zeit wurde es immer schwieriger, für die Arbeiter eine anständige Mahlzeit zuzubereiten, denn die Rationen wurden noch stärker gekürzt. Das Lager Molengoot war ein echtes Arbeitslager und unterschied sich sehr von einem Durchgangslager wie etwa Westerbork.

Die Juden durften sich einigermaßen frei bewegen; z.B. durften sie das Lager verlassen und mit dem Fahrrad nach Hardenberg fahren. »Dazu benutzten sie die Diensträder. Dieselben Räder dienten ihnen gelegentlich auch zur Flucht oder um unterzutauchen. Einmal erhielten wir einen Brief von einem Insassen, nachdem dieser sich aus dem Staub gemacht hatte. Er schrieb, er sei nach Almelo geradelt und das Rad sei dort auf dem Fahrradparkplatz abgestellt. Den Parkschein hatte er beigelegt. Es gab auch Juden, die um die Erlaubnis baten, das Lager zu verlassen, weil sie zu ihren Frauen in Westerbork wollten (die Erlaubnis wurde ihnen gewährt). Diese »Freiheit«, welche die Juden genossen, ließ sich aber auch anders auslegen, denn im Lager gab es eigentlich keine Wachen, und die Deutschen kamen selten oder nie vorbei. Einige der Männer erhielten auch Besuch von ihren Frauen. Die kamen dann morgens mit dem Zug in Hardenberg an, trafen sich außerhalb des Lagers mit ihren Ehemännern und fuhren abends mit dem Zug wieder zurück.

»Die Juden mussten auch nicht zum Appell antreten. Einmal fuhr Abspoel, der Verwalter und Koch, sogar für eine Woche ins Lager Erika in Ommen, nur um zu lernen, wie man die Juden zum Appell antreten lässt, aber es wurde nichts daraus.«

Offiziell arbeitete de Lange im Auftrag der Arbeitsbeschaffungsbehörde der Regierung im Lager, die Arbeitslosen jedoch und später dann die Juden waren für die Heidemaatschappij tätig. Die Gesellschaft hatte, wie de Lange sagte, keinerlei Einfluss auf das Leben im Lager. »Auch nicht auf die Verpflegung. Die [christlichen] Arbeiter aus Scheveningen und Den Haag bekamen gehaltvolle Mahlzeiten, ja sogar eine doppelte Ration, weil sie so schwere Arbeit verrichteten. Die Juden hingegen erhielten viel weniger. Morgens Suppe mit Brot, und später am Tag Brot, Milch und Kaffee. Abends gab es etwas Warmes, aber es war nie genug. Abgesehen vom Gemüse, davon gab es reichlich.« Die jüdischen Arbeiter blieben bis Oktober 1942 im Lager. Eines Abends kam eine Kompanie Deutscher ins Lager. Auf der Durchreise, wie wir annahmen, aber am nächsten Morgen nahmen sie alle Juden mit nach Westerbork. Nach dem Frühstück durften diese ihre Sachen packen und wurden dann unter Bewachung abgeführt. »Als man ihnen mitteilte, es gehe nach Westerbork, reagierten sie sehr resigniert«, erinnerte sich de Lange.

»Im Lager gab es 24 Räume, jeweils für acht Personen, aber sie waren nicht alle belegt. Die Gruppe von zwanzig deutschen Soldaten hatte etwa einhundertfünfzig Juden auf dem Weg zum Bahnhof von Hardenberg zu bewachen.«

Einen Monat nach dem Abtransport der Juden wurden evakuierte Niederländer in den Baracken untergebracht. De Lange war inzwischen ins Lager Balderhaar versetzt worden, dessen Leiter Mitglied der niederländischen nationalsozialistischen Bewegung war. »Ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse, und ich war froh, als ich nach einer Weile nach Molengoot zurückkehren konnte.« Zu der Zeit lebten einige Frauen und Kinder aus dem Westen der Niederlande im Lager Molengoot. Man hatte sie evakuieren müssen, weil die Deutschen dabei waren, die Atlantikdeiche zu bauen. »Diese Familien, die das gesamte Jahr 1943 in Molengoot verbrachten, waren nicht sehr sozial eingestellt. Sie haben eigentlich gar nichts getan. Ab und zu kam einmal ein Sozialarbeiter vorbei oder eine Kindergärtnerin, und gelegentlich eine Krankenschwester, Schwester Binnenmas aus Emmen. Sonst kam keiner, Das Lager stand unter der Aufsicht des Amtes für Evakuierungslager in Overijssel. Der Leiter war irgendjemand aus Ommen, aber er kümmerte sich nicht selbst um die Familien.«

Dass de Lange das Lager Molengoot verlassen musste, hatte er einem alliierten Bomber zu verdanken, der im Februar 1944 über Baalder abgestürzt war. Der Pilot hatte sich mit dem Fallschirm retten können und war ganz in der Nähe des Lagers gelandet. Der Leiter des Arbeitsamtes in Ommerweg, Kommandant von Papen, wollte den Piloten festnehmen, doch dem gelang die Flucht. Und nun leistete die Lagerleitung in gewisser Weise Widerstand: Es gelang von Papen jedenfalls nicht, vom Lager aus zu telefonieren und Hilfstruppen anzufordern. Schon am nächsten Tag erschien daraufhin der Sicherheitsdienst. Verwalter Sluijter sowie andere Beteiligte, wie Hendrik Jan Grootoonk und Jan Hendrik Pullen, wurden verhaftet. Am folgenden Tag brachte man de Lange nach Arnhem, zum Verhör, wie es hieß. Das »Verhör« dauerte ungefähr sechs Wochen, von Ende Februar bis Mitte April. Die Deutschen vermuteten, die Verhafteten hätten dem Piloten zur Flucht verholfen. »Wir hatten aber gar nichts getan, wie hatten lediglich dabeigestanden«, erzählte de Lange.

Nach Arnhem brachte man ihn ins Lager Amersfoort, wo er bis zum September blieb. Die nächste Station war Zwolle, wo Schützengräben gezogen werden mussten. »Untergebracht waren wir im Klubhaus. Alle Bänke hatte man herausgerissen und den Fußboden mit Stroh ausgestreut. Dort blieb ich bis Ende Dezember. Dann fuhr ich unter dem Vorwand, mir Winterkleidung besorgen zu wollen, fort, obwohl ich eine Erklärung unterschrieben hatte, dass ich zurückkommen würde (wenn nicht, würde meine Familie verhaftet). Aber die haben mich in Zwolle nie wiedergesehen. Im Februar 1945 kehrte ich nach Molengoot zurück, weil das ein sicherer Ort war für Leute, die untergetaucht waren.« Im Juli desselben Jahres verließ de Lange das Lager endgültig, um in Vledder in einem ehemaligen Arbeitslager zu arbeiten.

Interview von Roel Gritter mit Egbert de Lange

Hardenberg, 1. Mai 1942 [Freitag]

Lieber Vater, liebe Mutter!

Ich habe euer Paket mit den Handschuhen, der Staubbrille, den Schuhen mit Holzsohlen usw. empfangen. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Dankt Tante Duif1 bitte herzlich von mir. Bei Bep werde ich mich selbst bedanken und ihr einen Kuss geben. Ich habe jetzt eine andere Arbeit, aber die ist auch schwer. Ihr dürft auf keinen Fall hierher kommen. Das könnte schlimme Folgen für uns haben. In einem Lager wurde schon mit Überführung nach Deutschland gedroht, da zwei Leute während der Arbeit kurz mal weg waren. Wir dürfen jetzt auch nichts mehr bei den Bauern kaufen, versuchen aber trotzdem etwas aufzutreiben. Harry hat geschrieben, dass ihr mir Lebensmittel schicken solltet.

Über Nachrichten von mir könnt ihr nicht klagen, oder?

Falls etwas passieren sollte, versuche ich mich aus dem Staub zu machen. Ich lasse mich nicht nach Deutschland verfrachten. Aber darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken. Heute haben wir schon mal einen Gulden Taschengeld bekommen sowie unsere Sterne. Sehen die toll aus. Ich habe noch nie so den 1. Mai gefeiert. Das Aufstehen ist mir heute Morgen ganz schön schwergefallen. Aber Kopf hoch.


Alles wird gut.

Der letzte Sommer des Philip Slier: Briefe aus dem Lager Molengoot 1942

Подняться наверх