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Cäsar: der Dagobert der Antike

Wer in der Schule Latein lernt, kommt an ihm nicht vorbei. De bello Gallico, Über den Gallischen Krieg, heißt Gaius Julius Cäsars (100-44 v. Chr.) Beitrag zur Weltliteratur. Der nüchterne Rechenschaftsbericht über Stämme, Schlachten und Truppenbewegungen bei seiner acht Jahre währenden Eroberung Galliens (58 – 51 v. Chr.) ist zwar nicht gerade nobelpreiswürdig, aber dafür so einfach geschrieben, dass er sich hervorragend für Lateinanfänger eignet. Vielleicht könnte es die eher mäßige Begeisterung der Schüler über die Cäsar-Lektüre steigern, wenn man ihnen erklärte, dass der Sieger im bellum Gallicum das größte Privatvermögen erwarb, das die Welt bis dahin gesehen hatte – wenn nicht sogar das größte Privatvermögen aller Zeiten.

Ein Milliardenvermögen aus dem Blut von Galliern und Germanen

Die Grundvoraussetzung hierfür war Cäsars unerreichte Meisterschaft in der wichtigsten Bereicherungsmethode des Altertums: Krieg, also staatlich genehmigtes Rauben und Morden. »Die großen römischen Vermögen waren Blutkonserven«, resümiert der Finanzhistoriker Ulrich Küntzel. »Pompeius hatte sein Vermögen gebildet aus dem Blut von römischen Demokraten, aufständischen Spaniern und Sklaven, kleinasiatischen Seeräubern, Bauern und Hirten. Cäsars Vermögen bestand dagegen vornehmlich aus dem Blut von Galliern und Germanen.«

Blut allein gewinnt kein Gold. Und Gold war es vornehmlich, das Cäsar aus Gallien und Germanien herausholte. Ihm kam dabei ein unschätzbarer Vorteil zugute: Diese Länder waren noch nie geplündert worden. Zwar gab es auch zwischen den gallischen Stämmen immer wieder Fehden und Kriege — aber bei diesen lokal begrenzten Ereignissen wechselten die Edelmetallschätze nur den Besitzer innerhalb des Landes, jedoch nicht das Land selbst. Wer alle Stämme des Landes unterwerfen würde, hätte damit auch Zugriff auf alle dort vorhandenen Reichtümer.

Und so geschah es. Cäsar reservierte für sich selbst die hochwertigen, leicht zu transportierenden Gold- und Silberschätze. Sie waren meist bequem zu ernten, da sie für die Dauer eines Feldzugs an einem für den Stamm heiligen Ort zusammengetragen worden waren; den Rest der Beute durften die Truppen unter sich aufteilen. Eine Zeit lang litten Cäsars Bereicherungsmöglichkeiten darunter, dass einige große Gallierstämme von Beginn des Feldzugs an seine Verbündeten waren und deshalb nicht gut ausgeplündert werden konnten. Erst die flächendeckende Erhebung der Gallier unter Vercingetorix verschaffte Cäsar das Argument, das er brauchte: Nun wurde bei den ehemals befreundeten Stämmen nicht wie bei den feindlichen Verbänden die gesamte Bevölkerung getötet oder versklavt, sondern »nur« das Vermögen konfisziert.

Das größte Geschenk aller Zeiten

Wie einträglich war es, ein Gebiet auszuplündern, das weitgehend dem des heutigen Frankreichs entsprach und von etwa 3 Millionen Menschen bewohnt war (bevor Cäsar es verheerte)? Während wir bei den meisten Superreichen der Antike vor dem Problem stehen, dass Vermögensangaben, wenn überhaupt vorhanden, nur sehr wolkig sind, haben wir bei Cäsar das Glück, dass die Höhe seines Vermögens verhältnismäßig exakt festgehalten wurde – als er es verschenkte. Denn niemand hat jemals ein größeres Vermögen verschenkt als Cäsar im Jahr 46 vor Christus: nach seinem Sieg über Pompeius, der das Ende des Bürgerkrieges markierte und damit gleichzeitig den Beginn der zwei Jahre Alleinherrschaft, die ihm noch bis zu seiner Ermordung blieben.

Ulrich Küntzel listet in Die Finanzen großer Männer auf:

◇ 320 000 minderbemittelte römische Bürger, nämlich alle Empfänger staatlicher Getreidezuschüsse, bekamen je 400 Sesterze in bar, 87 1/3 Liter Weizenkörner und ebenso viel Olivenöl. Außerdem zahlte Cäsar ihnen ein Jahr lang die Miete, im Schnitt etwa 1000 Sesterze pro Person.

◇ Jeder Soldat seiner etwa 40 000 Mann starken Armee erhielt zum Abschied 20 000 Sesterze in bar, die Unteroffiziere bekamen 40 000, die höheren Chargen 80 000 Sesterze.

◇ In den Staatsschatz legte Cäsar weitere 600 Millionen Sesterze in bar.

◇ Eine unschätzbare, aber bestimmt neunstellige Summe von Sesterzen gab er für Volksbewirtung und -belustigung aus. Bei den Feierlichkeiten zu seinem Triumph 46 vor Christus bewirtete Cäsar das römische Volk an 22 000 Tischen, und zwar nicht mit Brot und Öl, sondern mit dem Feinsten, das die Küche hergab. Höhepunkt der »Festlichkeiten« war eine Seeschlacht, bei der mitten in der Stadt auf einem eigens dafür ausgehobenen See 6000 Kriegsgefangene und Gladiatoren einander niedermetzeln mussten.

◇ Für sich selbst behielt er vergleichsweise wenig. Vielleicht 100, maximal 200 Millionen Sesterze sowie ein paar Immobilien in Rom, darunter die Villa, in der er Kleopatra und ihren Hofstaat unterbrachte.

◇ Zählen wir zusammen: Die Abfindungen für die Armee – etwa 1 Milliarde Sesterze; Bargeld plus Mietzuschuss an die Unterschicht – zwischen 400 und 500 Millionen Sesterze; die Naturalgeschenke – schwer zu schätzen, da keine verlässlichen Preisangaben für Cäsars Zeit existieren, aber auf keinen Fall unter 100 Millionen, eher an die 200 Millionen Sesterze. Dazu die 600 Millionen für den Staatsschatz plus zwischen 100 und 500 Millionen Sesterze für Brot und Spiele bei seiner Triumphfeier. In bar kamen also mehr als 2 Milliarden Sesterze zusammen. Inklusive Naturalgeschenke sowie Triumphkosten addiert sich Cäsars Vermögen auf an die 3 Milliarden Sesterze, von denen er mehr als 90 Prozent verschenkte.

Vierzigmal reicher als Bill Gates?

Aber wie viel ist das: 3 Milliarden Sesterze? In der damaligen Zeit entsprach es etwa dem 15 fachen dessen, was der auch schon sagenhaft reiche Crassus sein Eigen nennen konnte. Aber entsprächen diese 3 Milliarden heute dem Vermögen von Bill Gates (ein paar Dutzend Milliarden Euro), von Thomas Haffa (ein paar hundert Millionen Euro) oder von allen Deutschen (ein paar Billionen Euro)? Es gibt darauf keine eindeutige Antwort, denn diese hängt ganz davon ab, wie man rechnet.

In Silber: Ein Sesterz entsprach zu Cäsars Zeit knapp einem Gramm Silber. 3 Milliarden entsprachen also 3 Millionen Kilogramm Silber. Das Kilo Feinsilber kostete Anfang 2004 etwa 160 Euro. Cäsars Vermögen erreichte demnach etwa eine halbe Milliarde Euro.

In Gold: Zu Cäsars Zeit entsprachen 3000 bis 4000 Sesterze einem römischen Pfund (= 327 Gramm) Gold. Setzen wir der Einfachheit halber ein Gramm Gold gleich 10 Sesterzen, kommen wir auf 300 000 Kilogramm Gold. Mit dem Marktwert von Anfang 2004 multipliziert (gut 10 000 Euro pro Kilogramm) ergäben sich etwa 3 Milliarden Euro Vermögen.

In Kaufkraftparitäten: Cäsars Geld- und Naturalzuwendungen an die Unterstützungsempfänger dürften etwa den Lebensunterhalt einer nicht zu großen Familie für ein Jahr gedeckt haben. 2000 Sesterze entsprächen also einem das Existenzminimum sichernden Betrag. Setzen wir dafür in einem reichen Land wie Deutschland 20 000 Euro im Jahr an. Cäsars Vermögen reichte rechnerisch für 1,5 Millionen Existenzminima, es hätte damit heute eine Kaufkraft von 30 Milliarden Euro.

In Relation zum Welteinkommen: Zu Cäsars Zeit gab es etwa 270 Millionen Menschen auf der Welt. Nehmen wir ein Durchschnittseinkommen pro Kopf und Jahr von 200 Sesterzen an, errechnete sich daraus ein Weltjahreseinkommen von 54 Milliarden Sesterzen, Cäsars Vermögen betrüge 5,6 Prozent davon. Aktuell liegt das weltweite Sozialprodukt bei etwa 30 Billionen Euro. 5,6 Prozent davon wären folglich 1,68 Billionen oder 1680 Milliarden Euro.

Je nachdem, welchen Maßstab man anlegt, wäre Cäsars Reichtum also so groß wie der eines schlichten Multimillionärs vom Kaliber Thomas Haffas oder vierzigmal so groß wie der von Bill Gates.

»Aktienoptionen« für die siegreiche Armee

Trotz solcher gravierenden Unterschiede je nach Rechenmethode ist immerhin festzuhalten, dass Cäsar auch nach unseren heutigen Maßstäben als Milliardär, wahrscheinlich sogar als Multimilliardär gelten würde. Allerdings fragt es sich zumindest bei dem an das Heer verteilten Vermögensanteil, ob man ihn überhaupt zu Cäsars Privatvermögen rechnen kann. Denn natürlich war es damals üblich, dass ein erfolgreicher Feldherr nach Kriegsende seine Soldaten reich beschenkte – warum sonst wären sie ihm treu geblieben? Faktisch handelt es sich hierbei um so etwas wie die Aktienoptionen in den Arbeitsverträgen der New Economy: Solange man auf den Erfolg hinarbeitet, kämpfen alle heftig und zu Niedriglöhnen für den Chef, aber sobald der Erfolg da ist, darf jeder Millionär werden.

Dass Cäsars Armee die Funktionsweise solcher Optionen durchaus vertraut war, zeigte sich, als es in den Tagen vor dem großen Triumphzug zu einer Meuterei unter den Soldaten kam. Angesichts der enormen Geschenke Cäsars an die römischen Bürger fürchteten einige Soldaten, dass für sie nicht genug Beute übrig bleiben würde. Cäsar ließ die beiden Rädelsführer hinrichten und erstickte den Widerstand. Würde man also das Unternehmen Cäsars nach heutigen Kriterien bilanzieren, dürften die 1 Milliarde Sesterze, die er an seine Truppen verteilte, nicht als Vermögen auftauchen, sondern als Forderungen der Belegschaft auf die Auszahlung erfolgsabhängiger Gehaltsbestandteile.

Der größte Schuldner der Antike

Während wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob Cäsar die Auszeichnung als reichster Mensch aller Zeiten gebührt (es kommt eben darauf an, wie man rechnet), hebt er sich in einem Punkt markant von den vier weiteren Anwärtern auf diesen Titel ab, mit denen wir uns später noch beschäftigen werden: Cäsar ist der einzige dieser Dagoberts, der einen großen Teil seiner ökonomisch aktiven Zeit über verschuldet war. Wahrscheinlich gab es sogar keinen anderen Menschen in der Antike, der ähnlich hohe Schulden hatte wie Cäsar. Bei seiner Kandidatur als Ädil im Jahr 65 vor Christus zum Beispiel sprengten sein Wahlkampf und auch seine Amtsführung nach gewonnener Wahl jeden bis dahin üblichen Rahmen. Der Senat erließ ein speziell gegen Cäsar gerichtetes Gesetz, wonach bei Fechtveranstaltungen nicht mehr als 350 Paare gegeneinander antreten durften. Cäsar konterte, indem er diese exorbitant hoch erscheinende Zahl nicht überschritt – aber die Gladiatoren in silbernen Rüstungen antreten ließ!

Den Abschluss seiner traditionellen parlamentarischen Karriere leitete Cäsars Wahl zum Prätor im Jahr 62 vor Christus ein. Gegen Ende dieser Amtszeit beliefen sich nach Aussagen Appians seine Schulden auf etwa 100 Millionen Sesterze – es war abzusehen, dass er diese Summe während der bevorstehenden Zeit als Proprätor in Spanien niemals würde ausgleichen können. Dass ihn seine Gläubiger überhaupt aus Rom abreisen ließen, verdankte Cäsar dem Eingreifen Crassus’: Dieser zahlte die drängendsten Gläubiger sofort aus und verbürgte sich für einen weiteren Betrag von 22 Millionen Sesterzen.

»Wenn ich sehe, dass er sich nur mit einem Finger kratzt ...«

Bertolt Brecht vermutet in Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar, dass Cäsar gerade aufgrund seiner hohen Verschuldung zum Weltherrscher aufsteigen musste: Nur unter dieser Voraussetzung konnte die »City«, also die reichen Geldverleiher, ihren Einsatz mit ordentlichen Zinsen zurückbekommen. Doch wahrscheinlich war es eher andersherum: Cäsar bekam so hohe Kredite, weil die Finanziers ihm etwas ganz Großes zutrauten, was auch immer es sein mochte. Es handelte sich hier, ähnlich wie heute beim Venture Capital, um ein Business, bei dem es darum geht, in die richtigen Menschen zu investieren. Da genügt es nicht, besonders talentiert zu sein – das sind viele. Es reicht nicht aus, über eine viel versprechende Technologie zu verfügen – die kann morgen schon veraltet oder von General Electric kopiert sein. Es geht darum, Menschen zu identifizieren, die darüber hinaus den Eindruck machen, dass sie dem Markt immer eine Nasenlänge voraus sein werden, egal, wohin der sich gerade entwickelt.

Cäsar war genau so jemand. Seine erste große Ausgabe musste er als Siebzehnjähriger tätigen: Er war in die Hände eines Mordkommandos von Sulla gefallen und kaufte sich frei, indem er 13000 Sesterze zahlte – so viel, wie das Kopfgeld betrug, das sie sonst für die Ablieferung seiner Leiche bekommen hätten. Die erste große Einnahme seines Lebens bescherten ihm acht Jahre später Seeräuber, die ihn auf einer Reise nach Rhodos gefangen nahmen. Die Piraten verlangten ein Lösegeld in Höhe von 20 Talenten (knapp 500 000 Sesterze), das nach römischem Recht von der nächstgelegenen Küstenstadt aufzubringen war. Cäsar drängte sie, statt 20 lieber 50 Talente zu fordern, das sei er schließlich wert. Als das Geld aufgebracht und er freigelassen worden war, charterte er Schiffe und Soldaten, überwältigte die Piraten, ließ sie kreuzigen und kassierte das Lösegeld ein – natürlich ohne es an die Stadt zurückzugeben, die es ursprünglich gezahlt hatte.

Doch als er 70 vor Christus die politische Bühne Roms betrat, warf er nicht einfach nach Landessitte mit Geld um sich, das er damals noch nicht hatte. Er lieferte erst einmal eine Probe seines politischen Könnens ab, mit der er das Establishment und die Geldgeber auf sich aufmerksam machte: Er reorganisierte die unter Sulla scheinbar vernichtend geschlagene Volkspartei und warf deren politisches Gewicht in die Waagschale, als der damals schon schwerreiche Pompeius vom Senat militärische Vollmachten für den Kampf gegen die Seeräuber verlangte – und mit Cäsars Unterstützung auch bekam. Er muss auf seine Zeitgenossen, insbesondere auf die Finanziers unter ihnen, den Eindruck gemacht haben, zu Höherem bestimmt zu sein. Auch Cicero wusste schon früh, wozu genau: »Wenn ich sehe, dass sein Haar immer so kunstvoll zurechtgelegt ist, wenn ich sehe, dass er sich nur mit einem Finger kratzt, so erscheint es fast, als ob ihm der Umsturz der römischen Verfassung überhaupt nicht in den Sinn kommen würde.« «

Auf einen, der diesen Eindruck, zu Höherem bestimmt zu sein, nicht nur erweckt, sondern auch bestätigt, kommen Dutzende, die enttäuschen. Auf einen Cäsar kommen zehn Catilinas, auf einen Bill Gates hundert Stephan Schambachs. Aber selbst ein Cäsar kann versagen, wenn er nicht zur rechten Zeit am rechten Platz steht. Er hatte Glück, dass Alexander der Große bei seiner Geburt schon über 200 Jahre tot war. Er hatte Glück, dass er Sullas Säuberungen entging und die Piraten ihn nicht erschlugen. Er hatte Glück, dass es ein noch ungeplündertes Gallien gab. Und Pompeius, der selbst so gerne Alleinherrscher in Rom gewesen wäre, hatte das Pech, dass es Cäsar gab.

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