Читать книгу Die Dagoberts - Detlef Gürtler - Страница 6
ОглавлениеDie reichste Ente aller Zeiten
»Ach, lieber Freund! Sie ahnen ja nicht, was man als Krösus leidet! Ich bin der reichste Mann der Welt! Meine Geldspeicher quellen nur so über! Kurz, ich müsste überströmen vor Glück! Aber all mein Reichtum macht mir keine Freude mehr!« Sagte Dagobert Duck zum genialsten Erfinder aller Zeiten, zu Daniel Düsentrieb. Das mit dem »reichsten Mann der Welt« stimmt natürlich nicht, schließlich ist Dagobert auch im feinsten Business-Outfit jederzeit als Ente zu erkennen. Aber den Titel »reichste Ente aller Zeiten« wird ihm niemals jemand streitig machen. »Auf den Kreuzer genau 37 Fantastillionen 119 Trilliarden Taler« zählte er 1983, und selbst wenn der Umrechnungskurs des Entenhausener Talers zum Euro nicht tagesaktuell berechnet wird und auch die Fantastillion in den uns Menschen geläufigen Zahlensystemen nicht vorkommt: Allein schon die 119 Trilliarden Taler sorgen dafür. Selbst wenn man dieses Vermögen gleichmäßig auf alle 6 Milliarden Menschen verteilen würde, blieben für jeden Einzelnen noch 20 Billionen Taler übrig. Geht man entsprechend den aus den Comics bekannten Entenhausener Kaufkraftparitäten davon aus, dass ein Taler etwa einem Dollar entspricht, wäre Dagobert Duck also so reich, dass er allein mit seinem Kleingeld (denn die Fantastillionen rechnen wir nicht mit) jeden Menschen auf der Erde 500-mal reicher als Bill Gates machen könnte! Dass wir es überhaupt wagen können, in einem Buch über die reichsten Lebewesen der Welt noch andere Personen außer Dagobert Duck aufzunehmen, verdanken wir einzig dem Umstand, dass es sich bei Dagobert um eine erfundene Figur, ja, um eine Karikatur handelt.
Es kommt immer wieder vor, dass wir uns anhand von Karikaturen eine historische Figur oder auch eine Situation erschließen. Cäsar kennen wir so, wie er bei Asterix dargestellt ist, Nero so, wie Peter Ustinov ihn in Quo Vadis verkörperte. Ein geschminkter Bretone, der durch kroatische Karstlandschaften reitet und dabei das humanistische Ideal des Kleinkriminellen Karl May aus Sachsen darstellt, prägt unser Bild des Wilden Westens im 19. Jahrhundert: Pierre Brice als Winnetou. Und unser Bild vom turbokapitalistischen Vollblutunternehmer sieht ziemlich genau so aus, wie jener Zylinder- und Bürzelträger unbestimmbaren, aber hohen Alters aus Entenhausen.
Dabei ist diese Ente von der kapitalistischen Realität etwa so weit entfernt wie Pierre Brice von einem Häuptling der Apachen. Schon Dagoberts Ziehvater Carl Barks hat das eingestanden: »Dagobert ist ein absoluter Feind des kapitalistischen Systems: Er würde es innerhalb eines Jahres zerstören. Er würde alle Vorgänge, die den Kapitalismus ausmachen, einfrieren. Er würde niemals etwas ausgeben, und so würden alle ärmer werden, denn er häuft ihr Geld an, und nach einer gewissen Zeit hätte keiner außer ihm noch Geld. Das wäre das Ende des Kapitalismus.« «
So wie Dagobert wird man niemals Milliardär
Wobei dies bestenfalls die halbe Wahrheit ist. Denn Barks hält seiner Kreatur zugute, sie habe tatsächlich das Zeug, der reichste Mensch der Welt zu werden (wenn sie nicht zufällig eine Ente wäre). Das lässt sich jedoch mit Sicherheit ausschließen: Jemand, der sich verhielte wie Dagobert Duck, könnte niemals zum reichsten Menschen der Welt werden. Er würde irgendwo im Mittelfeld der Multimillionäre hängen bleiben, oder wahrscheinlich sogar schlicht Pleite gehen. Denn:
Dagobert Duck verzettelt sich. Es gibt kein Geschäftsfeld, das er verschmähen würde, wenn es nur genug Geld einbringt. Ob Schatzsuche, Töpferware oder Pfefferminzeis, Hauptsache der Profit stimmt. Das kann in Pionierzeiten eine Zeit lang gut gehen, wenn unzählige Marktnischen geradezu darauf warten, entdeckt zu werden. Es funktioniert nicht mehr in Konsolidierungsphasen, in denen in jedem Markt nur die besten, billigsten, schnellsten, jedenfalls die an die Marktbedingungen am besten angepassten Anbieter überleben. Spätestens da trägt es einen breit aufgestellten Generalisten wie Dagobert aus der Kurve, wenn er sich nicht strikt darauf beschränkt, eine Art finanzielles Controlling zu betreiben und den Rest seinem Management anzuvertrauen. Aber Dagobert muss ja unbedingt alle operativen Entscheidungen selbst treffen.
Praktisch alle Superreichen, denen wir auf unserem Rundgang durch die Weltgeschichte begegnen werden, haben sich beschränkt. Auf ein Produkt, eine Branche, eine Wertschöpfungskette, eine Methode. Wenn sie mit irgendetwas großes Geld verdient haben, sei es nun Software oder das Plündern von Städten, sind sie dabei geblieben. Die permanente Hinwendung zu neuen Herausforderungen, ob besonders spannend, anspruchsvoll oder profitabel, ist eher in Branchen wie Literatur oder Bildende Kunst anzutreffen – in der Ökonomie dagegen nur bei jener Sorte Unternehmer, die noch kein ausreichend profitables Geschäftsfeld gefunden haben und deshalb darauf angewiesen sind, zu experimentieren. Die erfolgreichen hingegen folgen der Maxime Henry Fords: »Es ist besser, alle Kraft einzusetzen, eine Idee zu vervollkommnen, statt anderen, neuen Ideen nachzujagen. Eine gute Idee bietet gerade so viel, als man auf einmal bewältigen kann.«
Dagobert Duck lässt sein Geld nicht arbeiten. Allein die Vorstellung, er müsse aus seinem Geldspeicher Geld wieder herausnehmen, ist ihm ein Gräuel. In sehr begrenztem Umfang fließen Investitionen in Entdeckungsreisen und sonstige Innovationen, aber auch das nur bei kurzfristig zu erwartendem Profit. Der Goldanteil seines Geldspeichervermögens ist dabei immerhin vor Inflation geschützt, bringt darüber hinaus jedoch keine Zinsen ein. Noch schlimmer steht es um das gehortete Bargeld. Es bringt keine Einnahmen, verursacht Sicherungs- und Pflegekosten und unterliegt obendrein noch der Geldentwertung: Bei einem Geldspeicherpegelstand von 20 Metern geht bei einer Inflationsrate von 2 Prozent allein hierdurch jeden Tag 1 Millimeter Kaufkraft verloren!
Dagobert Duck verachtet seine Kunden. Besonders verhängnisvoll ist seine immer wieder durchbrechende Neigung, um eines kurzfristigen finanziellen Vorteils willen Kundenbeziehungen aufs Spiel zu setzen – sprich: seine Kunden so zu täuschen, dass sie das nächste Mal ihr Geld bei der Konkurrenz lassen. Ein Strip von Carl Barks persönlich schildert ein besonders abschreckendes Beispiel: Dagobert richtet einen kostenlosen Skilift ein, während die Konkurrenz mindestens einen Taler verlangt. An der Bergstation angekommen, müssen die Skiläufer feststellen, dass der Steilhang dort eine Abfahrt unmöglich macht. Und für die Rückfahrt mit dem Lift kassiert Dagobert drei Taler. »Na, einmal und nicht wieder«, sagt völlig zu Recht im letzten Bild einer der um die Abfahrt betrogenen Skifahrer. Wer wie Dagobert seiner Schuhfabrik befiehlt, auf alle Paare eine falsche Schuhgröße zu drucken, nur um mehr Hühneraugensalbe verkaufen zu können, mag damit kurzfristig seinen Profit steigern können. Aber als Schuhunternehmer hat er spätestens übernächste Saison ausgedient – und wenn ihm auch nur ein amerikanischer Verbraucheranwalt auf die Schliche käme, würde vor Gericht ein so verheerendes Strafgeld verhängt, dass sogar ein Fantastillionär daran schwer zu tragen hätte.
Dagobert Duck ist ein Unmensch. Nun gut, Enten sind eben keine Menschen. Und die Regeln für den Umgang mit der eigenen Familie lassen sich auch nur begrenzt verallgemeinern. Aber so, wie Duck mit seinen sonstigen Beschäftigten, vor allem mit seinen Führungskräften, umgeht, kann er schlichtweg nicht zum Herrn über Hunderttausende von Mitarbeitern aufsteigen. Denn dafür bräuchte er Manager, denen er vertrauen kann, die loyal sind und auch in Krisenzeiten zu ihm halten. Doch wenn ein Manager in den Comicstrips auftaucht, dann meist am anderen Ende der Telefonleitung, wenn der Patriarch Duck einen Befehl quakt, der gefälligst ausgeführt werden muss. »Ich möchte, dass alle Gelder, die ich für die nördliche Hemisphäre vorgesehen hatte, auf der südlichen Halbkugel angelegt werden!« – »Aber ...« – »Kein Aber. Wer an meinen Anweisungen etwas auszusetzen hat, fliegt raus!« Bei keinem seiner Mitarbeiter hat man jemals den Eindruck, dass er gerne für Dagobert arbeiten würde: Ein Leuteschinder und Geizkragen, der seinen Mitarbeitern keine Möglichkeit zur Entfaltung ihrer Qualitäten lässt, der alles besser weiß und den ganzen Ruhm und natürlich den ganzen Profit selbst einstreichen möchte, wird üblicherweise weit vor der Milliardärsschwelle von den internen Reibungsverlusten in seiner Organisation gestoppt.
Wenn all diese Eigenschaften Dagobert Duck als real existierenden Superreichen disqualifizieren: Warum verkörpert er seit Jahrzehnten für alle Welt genau diese Personengruppe? Zum einen, weil wir es nicht besser wissen – es ist nun mal schwer zu begreifen, weil der Anschauung widersprechend, dass ein prall gefüllter Geldspeicher eben ein Symbol für Megareichtum ist, sondern eines für Megadummheit. Zum anderen, weil wir es nicht besser wissen wollen – wir argwöhnen gerne und konsequent, dass jeder, der besonders viel Geld hat, dazu gekommen ist, indem er anderen (uns nämlich) etwas weggenommen oder vorenthalten hat.
Zwischen Dienen und Ausbeuten
Dieser Argwohn ist völlig gerechtfertigt, wenn es sich um ein Nullsummenspiel handelt, es also nur darum geht, wie sich eine feststehende Menge an Geld beziehungsweise Gütern unter einer ebenso feststehenden Menge an Menschen aufteilt. Für einen dynamischen Kapitalismus wie den heute fast überall auf der Welt herrschenden gilt dieser Argwohn nicht – zumindest nicht in der Theorie. Der schwedische Radikalliberale Johan Norberg formulierte das jüngst besonders kategorisch: »Die einzige Möglichkeit, auf einem freien Markt reich zu werden, besteht darin, den Menschen etwas zu geben, das sie haben wollen und für das sie freiwillig Geld bezahlen. Etwas vereinfacht könnte man sagen: Je größer die Einkommen der Menschen sind, desto mehr haben sie getan, um anderen das anzubieten, was sie haben wollen. Man kann nur verdienen, indem man dient.«
In der Praxis pendeln gerade die Superreichen der Weltgeschichte irgendwo zwischen den Extremen des Dieners und des Ausbeuters. Denn es können zwar viele Unternehmer gut davon leben, dass sie auf freien Märkten etwas anbieten, wofür die Menschen freiwillig Geld zahlen, aber davon alleine wird niemand Multimilliardär. Dafür muss man schon die Freiheit des Marktes ein wenig einschränken und die Menschen dazu nötigen, etwas mehr als das zu bezahlen, was sie freiwillig zahlen würden. Insofern lässt sich zwar der Ausbeutervorwurf, der in der Figur Dagobert Ducks so manifest ist, dem Kapitalismus als solchem gegenüber nicht aufrechterhalten; aber bei den Reichsten der Reichen schwebt er zumindest als Anfangsverdacht immer im Raum.
Die Faszination, die Dagobert Duck ausübt, leidet jedoch nur wenig unter den Punktabzügen bei den oben aufgeführten Sekundärtugenden eines Multimilliardärs. Denn dafür lebt er umso konsequenter die Primärtugend, die Conditio sine qua non eines Superreichen: den Riecher für Geld. »Mein einziges Interesse ist Geldverdienen«, sagt Dagobert von sich selbst. Seine Verwandten bemerken es lediglich am Glitzern in seinen Augen und an den registrierkassenähnlichen Geräuschen in seinem Kopf, wenn ihr Onkel respektive Großonkel gerade wieder einmal auf eine Profitader gestoßen ist. Denn während Tick, Trick und Track nur genüsslich ein Pfefferminzeis schlecken, rechnet Dagobert sich aus, dass Pfefferminzeis eine Umsatzrendite von exakt 80 Prozent einfährt. »Müller!«, ruft er ins Telefon, »Kaufen Sie unverzüglich sämtliche Eisfabriken im ganzen Land auf. Ich gebe Ihnen drei Minuten Zeit!« Und dann, zu seinen Großneffen: »Heißa, Kinder! Das wird das beste Geschäft meines Lebens! Sobald alle Eisfabriken in meiner Hand sind, sichere ich mir das Monopol für Pfefferminzeis, und die Milliarden träufeln nur so in meine Taschen.«
Der Gedanke an das Pfefferminzeismonopol mag ein wenig abwegig klingen, aber das ist kein wirkliches Problem. Es gab schon ähnlich absonderliche Monopole, zum Beispiel das noch im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts bestehende Zündholzmonopol. Und die meisten Ideen, aus denen sich später ein Multimilliardenvermögen entwickelte, erschienen den Zeitgenossen ähnlich unwahrscheinlich wie uns der Gedanke an ein Monopol für Pfefferminzeis. Alle diese erfolgreichen Unternehmer brauchten, um ihre Ideen in die Tat umzusetzen, eine Eigenschaft, die Dagobert Duck in überreichlichem Maße besitzt: Starrsinn. Und sie brauchten den Willen, die Welt, zumindest einen Teil davon, nach ihren Vorstellungen zu formen. Da sie weder als Politiker noch als Bildhauer reüssierten, sondern als Unternehmer, gehören sie wie Dagobert Duck zu der vom Feuilleton verachteten Spezies, deren Vertreter all ihre Energien für etwas einsetzen, das zu schnöde ist, um ebendieser Ehre wert zu sein.
Männer wollen immer nur das eine: Sex. Männer vom Schlag eines Dagobert Duck wollen immer nur das andere: Geld. Diese nicht nur bei (dem als Disney-Figur zwangsläufig asexuellen) Dagobert beobachtete Verdrängung des Geschlechts- durch den Bereicherungstrieb hat schon diverse vulgär- und regulärpsychologische Interpreten auf die Bühne getrieben. Wir werden uns in diesem Buch wenig bis gar nicht mit solcherart Meinungsbildung unterhalb der Gürtellinie beschäftigen. Da wir der Bedeutung nachspüren wollen, die einzelne Menschen für den Verlauf der Geschichte, in unserem Fall: der Wirtschaftsgeschichte, haben, werden wir ihnen bei der Arbeit über die Schulter schauen und nicht im Schlafzimmer.
Wir könnten sonst am Ende ebenso ins Esoterische abdriften, wie es Dagobert Mitte der Neunzigerjahre passierte. Da ließen ihn die Zeichner mit der ihm sonst völlig zu Recht unerträglichen Gitta Gans im Fernen Osten nach der Formel des Reichtums suchen, die, so das Gerücht, ein alter weiser Mann entdeckt habe. Doch als Dagobert die Formel endlich findet, ist die Enttäuschung groß. Sie heißt nämlich: »Sieh dich um und lerne das, was du siehst, zu lieben. Dann wirst du dich als reichster Mann aller Zeiten fühlen.« Wutentbrannt reist Dagobert ab. Doch der weise Alte sinniert ihm hoffnungsvoll hinterher: »Vielleicht wird auch er eines Tages die Formel des Reichtums verstehen und begreifen, dass der größte Reichtum unserer Welt die Liebe ist.«
Aber dann wäre er nicht Dagobert. Und wir wären im falschen Buch.