Читать книгу Candhun - Diana Klewinghaus - Страница 7
Оглавление1. Prolog
Cáelán-Ait, am Südufer des Tiefen Sees, nahe Brûel
»Nein Énri, ich meine, wie würdest du Cândhûn jemandem beschreiben, der über Mahirs Fluten zu uns gefunden hat«, der Jüngere legte ein paar Äste nach und sah zu, wie die Flammen sich gierig der trockenen Rinde bemächtigten.
»Über das Meer?« Énri fuhr sich durch den Bart. Die Augen richtete er in die Ferne. Ein weiches Abendrosa zerfloss dort in der Dämmerung auf dem Wasser des Tiefen Sees. Mel nickte stumm. Er widmete sich erneut der Laute. »Nun«, Énri wandte sich ihm zu und verfiel in seinen unverkennbaren Gelehrtenton, »du befindest dich auf einer Insel. Ihr Name ist Cândhûn. In der Sprache der Wüstenwandernden aus Sambrien heißt Ka'hen-doun Insel der Gaben. Tief im Süden, im dicht besiedelten Duria, ist dieser Zusammenhang in Vergessenheit geraten. Dort findest du als Begabter schnell den Tod, sofern du die Götter verehrst.«
»Nein, mein Alter«, unterbrach Mel seinen Bardenfreund. Er bremste abrupt die Vibrationen der Saiten unter den Fingern. »Du preschst ja vorwärts wie ein Li'rak beim Beutezug. Ein Fremder wüsste weder von dem, was wir als Gabe bezeichnen noch von den Namen der Länder. Oh, und Li'raks hätte er unter Umständen auch niemals zu Gesicht bekommen«, er kratzte sich nachdenklich am Kinn.
»Mh«, brummte Énri. »Die Gabe bekommt ein eigenes Kapitel. Du befindest dich auf einer Insel. Ihr Name ist Cândhûn«, wiederholte er und betonte die Worte als wollte er seinem Schüler ein unbekanntes Versmaß beibringen. Melvin lachte auf.
»Cândhûn bietet trotz des überschaubaren Raumes eine Fülle unterschiedlicher Landschaften. Zum Teil wegen der Höhenzüge, von denen das Krenngebirge der Größte ist. Es untergliedert die Insel längs und verläuft von der Mitte bis nach Duria, dem Süden unserer Heimat. Von Südwesten, wieder aufwärts betrachtet, geht fruchtbares Flachland in Heidefläche und Hochland über. Durias Nordareale mit dem Namen Cáelán-Ait.«
»Moment mal, Énri, du würdest einem Ahnungslosen sagen, unser Cáelán-Ait wären Durias Nordareale?«
»Unterbrich mich nicht ständig, Melvin. Das ist genau genommen korrekt und zu der Politik, die dort unten betrieben wird, müsste ich ohnehin einige Worte verschwenden. Sonst würde die Reise des geschätzten Fremden vielleicht ein jähes Ende nehmen. Wir befanden uns mit der Beschreibung wieder in Cáelán-Ait.«
Der ältere Barde vollführte mit der Rechten eine Richtungsgeste, indem er zuerst auf die Berge zu beiden Seiten wies und schließlich auf das Wasser hinaus deutete. »Hinter den Bergen und einem großen Binnensee beginnt eine Steppe, die mit ihren grasigen Wogen eine Sandwüste umschlossen hält. Dieses stets sonnige Gebiet nennen wir Sambrien. Dahinter befindet sich ein Wald, der fast die Hälfte Cândhûns bedeckt. Tief in seinem Inneren birgt er einen immergrünen Kern. Dieses sagenumwobene Land heißt Tástálai Fórash, der Wald der Reisenden. Ich könnte dir Geschichten darüber erzählen –«, er pausierte und bediente sich an dem Lederschlauch, um den leeren Methumpen wiederholt an diesem Frühlingsabend seiner Bestimmung zuzuführen. Melvin spürte die Auswirkungen des süßen Tropfens augenblicklich mit.
Die Dunkelheit hatte die Spitzen der Berge verschlungen und auf der Wasserfläche spiegelte sich ein letzter, matter Schein.
»Nicht zu vergessen ist ein kleiner Stadtstaat in den Kristallklippen am Ende der Handelsstraße, die sich von Nord bis Süd durch die gesamte Insel zieht. Ein großes geografische Geheimnis unserer Zeit liegt ganz im Südosten hinter dem Krenngebirge – Rovadrim«, erklärte sein Lehrmeister bedächtig, »der Landstrich, den wir seit mehreren hundert Jahren nicht betreten haben. Niemand weiß, wie es dort aussieht. Seltsam, dass es bisher keine Mutigen gab, die es herausfinden wollten.« Einen Moment lang schwiegen beide. Melvin hatte das Gefühl sich in dem lauen Frühlingswind ein wenig hin und her zu wiegen. Vielleicht ein Verwirrspiel der Flammen in Kombination mit dem Met.
Es dämmerte bereits. Mit einem schwungvollen Schritt wankte Énri durch die Tür. Im letzten Moment bremste er ab, seine Laute gab einen dumpfen Ton von sich. Sie stieß gegen das Schränkchen in der Diele, auf dem er sie im Vorübergehen platzierte. Der Spielmann war es nicht gewohnt dermaßen viel Honigwein zu trinken. Warum brannte die Öllampe? Die Haustür schlug zu. Er begann abwesend einen Kampf mit dem Mantel auszufechten, der noch nicht entschieden war, als er Schritte im oberen Flur vernahm. »Énri?«
»Runa, meine Liebe«, erwiderte er hektisch auf den besorgten Tonfall seiner Frau hin, »keine Angst, ich bin es nur.«
»Ich hatte keine Angst, dass du es nicht bist. Vielmehr um dein Wohlbefinden. Geht es dir gut?« Es ging ihm gut und die sanfte Stimme Runas verstärkte das Gefühl. Glück war etwas, das Énri in dieser Intensität lange nicht gespürt hatte.
»Ja, weshalb sollte es das nicht? Du bist diejenige, die bis zu den Zähnen bewaffnet nahe der durischen Inquisitoren den kalten Winter verbracht hat.«
Es klang wie ein Vorwurf. Énri ärgerte sich über seine impulsive Reaktion. Nun, im Grunde war es ein Vorwurf, er hasste Waffen. Weshalb nur hatte er eine Frau in sein Herz geschlossen, die sich der kriegerischen Auseinandersetzung verschworen hatte? Sie begegnete ihm mit einem ernsten Blick. Ihre linke Augenbraue schnellte in einem spitzen Winkel hoch. Die erste Begegnung des Paares seit Runa nach Duria aufgebrochen war, um Freunden im Grenzland zu helfen.
»Die Inquisitoren haben sich die letzten Monde bedeckt gehalten. Stattdessen schicken sie vermummte Schläger, die auf beiden Seiten die Höfe plündern.«
»Sie tun was?«
Énri verhedderte sich, bei dem Versuch den zweiten Ärmel abzustreifen. Es war ihm noch immer nicht gelungen, den Mantelkampf für sich zu entscheiden. Was für ein absurdes Szenario. Rungard beabsichtigte, ihm eindeutig zu erklären, dass der Krieg näher rückte.
»Énri du bist betrunken!«
»Ja«, sagte er schlicht und beschäftigte sich höchst konzentriert mit dem Ärmelproblem bis er es endlich gelöst hatte. Den Versuch, seinen Mantel an einem Wandhaken zu befestigen, unternahm er nicht. Er legte ihn zu der Laute.
»Mutter Erde, Énri, sag mir nicht, dass du dich im Winter dem Alkohol überlassen hast.« Runa starrte ihn entgeistert an. Er stierte einen Lidschlag lang stumpf zurück, bis er sich gefangen hatte. Nicht gefangen – eher entschieden, wie er das Ganze bewerten wollte. Sofern er das in seinem Zustand eine Entscheidung nennen konnte. Ein lautes Lachen brach aus ihm heraus. »Traust du mir das wahrhaft zu?«
Er verschluckte sich halb beim Lachen. Runas wechselhaftes Minenspiel heizte ihn an. Sie wusste offenbar nichts mit dem Ausbruch anzufangen und wartete ab. Mit Tränen in den Augenwinkeln versuchte er, die Krämpfe seines Zwerchfells zu bezwingen. Die Töne, die er ausstieß, gerieten für jemanden, der in Basslage sang, unerwartet hoch. Endlich überwand er sich. Énri umfasste die Schultern seiner verdutzten Gemahlin. »Es ist schön, dass du wohlbehalten zurück bist, Runa! Ich hatte einfach einen wunderbaren Abend.«