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ОглавлениеKapitel 11
Koblenz-Innenstadt, 13:00 Uhr
Die Praxis von Dr. Heribert Rossbacher lag im ersten Obergeschoss eines Gebäudes unweit der Fußgängerzone und gegenüber der Herz-Jesu-Kirche, also sehr zentral in Koblenz.
Schon beim Betreten des Hauses bemerkten Coco und Duben die getrennten Klingelschilder unter der Praxisbezeichnung:
Dr. Rossbacher
Psychotherapeut und Psychiater
Gruppenklienten → hier klingeln
Einzelklienten → hier klingeln
Coco war nicht klar, warum hier zwischen unterschiedlichen Klienten – sie wusste, dass in der Psychotherapie nicht von Patienten, sondern stets Klienten die Rede war – unterschieden wurde. Sie machte sich eine mentale Notiz, den Doktor unbedingt danach zu befragen.
Duben war allerdings noch nicht mal der Grund für die spezielle Bezeichnung der Kunden des Arztes bekannt.
„Wieso Klienten? Der ist doch kein Anwalt!“ Er sah Coco fragend an. Sie erklärte ihm die Zusammenhänge, wobei sie gleichzeitig den Klingelknopf für „Einzelklienten“ drückte.
„In der Psychotherapie spricht man von Klienten, da ,Patient‘ in der Medizin bedeutet, dass eine Person passiv durch einen Arzt behandelt wird, zum Beispiel mit Medikamenten. In der Psychotherapie handelt es sich aber eher um Kunden, die aufgrund einer Beratung selbst etwas tun müssen, also eben mitarbeiten. Deshalb hat sich hier der Begriff ,Klienten‘ eingebürgert.“
„Ja, bitte?“, ertönte jetzt eine weibliche Stimme aus der Sprechanlage und unterbrach weitere Erklärungen.
„Kriminalpolizei Koblenz. Wir müssten mit Doktor Rossbacher sprechen. Die Angelegenheit ist dringlich“, drängelte Duben sich vor.
Coco war zwar nicht klar, was so dringlich an der Befragung des Arztes war, von der sie sich sowieso nicht viel versprach, aber sie schwieg und wartete ab.
„Jaja, natürlich, kommen Sie hoch und nehmen Sie im ersten Stock die rechte Tür.“
Sofort darauf summte es, und Duben konnte die Tür aufdrücken. Er ging voran, und Coco folgte ihm das enge Treppenhaus hinauf in das Obergeschoss. Dort angekommen, ging Duben ohne zu zögern auf die Tür auf der rechten Seite des Treppenabsatzes zu, auf der in großen Lettern EINZEL stand, und öffnete sie. Dahinter verbarg sich ein schmaler Gang, der nach wenigen Metern vor einer weiteren Tür endete.
Coco hatte sich für den Moment mit ihrer eher passiven Rolle abgefunden und sah nun ein wenig amüsiert, dass Duben den Türgriff herunterdrückte, die Tür aber verschlossen zu sein schien. Sie tippte ihm auf die Schulter, und als er sich überrascht umdrehte, deutete sie mit einem feisten Grinsen auf die Kamera, die rechts über der Tür angebracht und genau auf sie beide gerichtet war.
Duben winkte in die Kamera und sagte dann überdeutlich, als erwartete er, auf der anderen Seite könne jemand Lippen lesen: „Hallo, wir kommen von der Polizei und müssten mit Doktor Rossbacher sprechen.“
„Treten Sie ein“, erscholl eine angenehme, dunkle Männerstimme. Gleichzeitig ertönte ein Summen, und als Duben nun die Klinke herunterdrückte, öffnete sich die Tür.
Sie betraten hintereinander einen Raum, der sich als eine Mischung aus Bibliothek, Büro und Behandlungszimmer darstellte. Letzteres drängte sich Coco deshalb auf, weil sich an einer Seite des Raumes, gegenüber einem riesigen Schreibtisch, eine bequem aussehende Couch mit einem davorstehenden Sessel befand.
Hinter dem Schreibtisch wurde die komplette Wand von einem bis zur Decke reichenden Bücherregal eingenommen.
Der Mann, der sich bei ihrem Eintreten hinter dem Schreibtisch erhob, erinnerte Coco sofort an den Schauspieler George Clooney, vielleicht etwas jünger, vermutlich so um die Mitte vierzig. Groß, schlank, leicht ergraute kurze Haare, mit einem Seitenscheitel getragen, ein Dreitagebart, buschige Augenbrauen und ein perfektes Gebiss, das er gerade durch sein strahlendes Lächeln zur Schau stellte.
„Ich begrüße Sie, die Dame, der Herr, was kann ich denn für Sie tun? Nehmen Sie doch gerne Platz“, wobei er auf zwei unbequem aussehende Plastikstühle vor dem Schreibtisch wies.
„Ich bin Kriminaloberkommissar Duben, und das ist meine Kollegin, Kriminalkommissarin Crott. Wir brauchen Ihre Hilfe in einer Mordermittlung.“
„Wie kann ich Ihnen da behilflich sein?“
Seine Stimme empfand Coco als sehr angenehm. Dunkel, sanft, einfühlsam. Sie konnte sich vorstellen, dass er ein sehr guter Psychotherapeut war.
„Nun ja“, fuhr Duben fort, „es geht um ein Mordopfer, das laut den Unterlagen seiner Krankenkasse Patient bei Ihnen war. Da könnten Sie uns natürlich mit Informationen zu seinem Umfeld weiterhelfen. Hatte er Feinde, vielleicht auch ein anderer Ihrer Patienten, hatte er mit jemandem Streit, was wissen Sie über sein Privatleben und so weiter?“
Coco wunderte sich, dass Duben nicht klar war, wie die Reaktion auf sein Ansinnen sein würde. Sie kannte ihn als wirklich guten Ermittler, aber entweder war er nicht ganz bei der Sache oder er hoffte, dass Dr. Rossbacher es mit den Vorschriften nicht ganz so genau nehmen würde.
Die Reaktion des Psychotherapeuten war sogar wesentlich drastischer, als sie es sich vorgestellt hatte.
Das eben noch freundliche Lächeln verschwand und machte einem regelrecht feindseligen Ausdruck Platz. Die Kiefer mahlten, und die Lippen waren fest aufeinandergepresst. Schließlich öffnete er die Lippen einen Spalt weit und knurrte lediglich: „Raus hier ... aber sofort. Ende des Gesprächs.“
Er war aufgestanden und wies mit der Hand auf die Tür.
„Aber ...“, versuchte Duben noch etwas zu retten.
„Nichts aber“, schrie Dr. Rossbacher nun, und die Empörung war ihm anzusehen. „Was soll das werden? Sie wissen doch genau, dass ich Ihnen nicht mal bestätigen darf, ob die Person bei mir Patient war, selbst wenn Sie behaupten, es zu wissen. Und alles, aber auch wirklich alles, was ich von einer solchen Person erfahren würde, unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Ihnen dürfte auch der § 53 der Strafprozessordnung bekannt sein, der das Zeugnisverweigerungsrecht von Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten eindeutig regelt. Also kann ich nur vermuten, dass Sie mich überrumpeln wollten oder darauf hoffen, ich würde wissentlich gegen Gesetze verstoßen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Unverschämtheit, die ich mir verbitte. Also ... raus hier und zwar sofort!“
Die letzten Worte hatte er förmlich geschrien, und von dem sympathisch wirkenden Mann war für Coco nichts mehr zu erkennen.
Als Duben noch etwas erwidern wollte, legte Coco ihm die Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf. „Lass uns gehen, er hat ja recht.“
Sie stand auf und zog Duben am Ärmel seiner Jacke mit sich. Noch im Hinausgehen wandte sie sich allerdings noch einmal um.
„Eine Frage hätte ich noch, Doktor Rossbacher ... und sie hat nichts mit einem Ihrer Klienten zu tun“, fügte sie schnell hinzu, als sie sah, dass er erneut aufbegehren wollte.
Er beruhigte sich genauso schnell, wie er sich aufgeregt hatte.
„Okay, bitte?“
„Warum gibt es die getrennten Eingänge für Einzel- und Gruppentherapien?“
Nun erschien wieder dieses sympathische Lächeln auf seinen Lippen.
„Genau aus dem gleichen Grund, warum ich Ihnen niemals eine Auskunft geben werde. Die Menschen, die zu mir kommen und mich um Hilfe bitten, haben ein Anrecht auf Anonymität. Sie möchten noch nicht einmal, dass andere Menschen mitbekommen, dass sie mich aufsuchen. Also kommen sie zu einem Eingang herein und gehen zu einem anderen hinaus, damit sie nicht anderen Menschen, die sie vielleicht sogar kennen, begegnen müssen. War’s das dann?“
Coco schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. „Aber natürlich, vielen Dank, Herr Doktor.“
Duben vor sich herschiebend, ging sie den gleichen Weg hinaus, den sie beim Betreten genommen hatten.