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Kapitel 1

Tag 1

Polizeipräsidium Koblenz, 09:15 Uhr

Der Morgen hatte so friedlich begonnen, dass Kriminalhauptkommissar Ulf Auer sich nicht hätte vorstellen können, dass an diesem Frieden recht plötzlich etwas zerbrechen könnte.

Er und sein Team von der Mordkommission des Polizeipräsidiums Koblenz hatten in Ruhe und gemeinsam Kaffee getrunken und sich dann an die Erledigung von Routinearbeiten gemacht: alte Akten aufarbeiten, Überstundenzettel ausfüllen, Reisekosten beantragen oder noch fällige Berichte zu Ende schreiben. Es gab immer etwas zu tun, auch wenn gerade kein aktuelles Tötungsdelikt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit verlangte.

Er lehnte sich bequem in seinem Bürostuhl zurück und ließ seinen Blick durch das Großraumbüro „seiner“ Mordkommission gleiten. Die anderen Mitglieder seiner Truppe saßen an ihren Schreibtischen und waren in ihre jeweilige Arbeit vertieft.

Kriminaloberkommissar Gerd Duben, der niemals wirklich darunter gelitten hatte, dass er vom Hauptkommissar zum Oberkommissar degradiert worden war, weil er in volltrunkenem Zustand einen Dienstwagen gegen eine Wand gesetzt hatte. Der Siebenunddreißigjährige und inzwischen trockene Alkoholiker war Ulfs bester Freund, ein sehr zuverlässiger Ermittler und eine große Unterstützung.

Kriminaloberkommissar Klaus Saibling, den alle nur „Fisch“ nannten, wobei keiner mehr wusste, ob er den Spitznamen seinem Nachnamen oder seiner Fähigkeit, sich aus allen Schwierigkeiten wie ein Aal herauszuwinden, zu verdanken hatte. Fisch war ein Computergenie und hatte sich schon mehrfach Disziplinarverfahren eingefangen, die aber alle ins Leere gelaufen waren, weil man ihm nie etwas bezüglich seiner teilweise illegalen Aktivitäten im Internet hatte nachweisen können. Der Zweiunddreißigjährige nahm es mit den gängigen Vorschriften, was den juristisch einwandfreien Zugriff auf das Internet anging, nicht wirklich genau, war aber immer so schlau gewesen, sich nicht erwischen zu lassen.

Das älteste Mitglied der Truppe, der siebenundfünfzigjährige Harald „Harry“ Kruse, war im Grunde harmlos, aber dennoch Ulfs größtes Sorgenkind. Harry war der typische Dandy, gab und kleidete sich trotz seines Alters wie ein dreißig Jahre jüngerer Mann und kaschierte seine mangelnde Körpergröße mit hochhackigen Stiefeletten. Das Problem mit ihm war, dass er die Finger nicht von jüngeren Frauen lassen konnte, unabhängig davon, ob sie verheiratet oder vielleicht sogar Zeuginnen in Ermittlungsverfahren waren. Das hatte ihm schon sehr viele Schwierigkeiten und in einem Fall sogar ein Disziplinarverfahren eingebracht und war auch der Grund gewesen, warum man ihn zu Ulf Auer versetzt hatte – in die sogenannte „Loser-Truppe“.

Ulf Auer selbst war zwar ein anerkannter und aufgrund seiner Erfolge geachteter Ermittler, hatte aber sein Mundwerk nicht im Griff und war deshalb immer wieder mit den Personen seines beruflichen Umfeldes, vor allem mit seinen Vorgesetzten, aneinandergeraten. Er war deshalb in Ungnade gefallen, und das war auch der Grund gewesen, warum seine Mordkommission in einen Kellerraum verbannt worden war, der nun als Großraumbüro eingerichtet die Heimat seiner Truppe darstellte. Aber inzwischen fühlten sie sich hier so heimisch, dass sie nicht wieder in eine bessere Unterbringung wechseln wollten.

Nach dem spektakulären Erfolg im vergangenen Jahr, als sie einen psychopathischen Serienkiller zur Strecke gebracht hatten, hatte der Polizeipräsident sie belohnen wollen und eine Rückkehr in die oberen Etagen des Polizeipräsidiums angeboten, aber Auer hatte nach Rücksprache mit seinen Leuten dankend abgelehnt.

Sein umherschweifender Blick blieb an ihrem „Neuzugang“ hängen, der, oder besser gesagt, die erst vor drei Monaten ihren ersten festen Arbeitsplatz bei der Kriminalpolizei bei ihnen eingenommen hatte.

Corinna Crott, die von allen nur Coco genannt wurde, hatte vor drei Monaten ihre Ausbildung zur Kriminalkommissarin mit Auszeichnung abgeschlossen und war danach durch Auers Fürsprache und auch als Anerkennung ihrer Rolle bei der Lösung des letzten großen Falles sofort der Mordkommission Koblenz zugeordnet worden.

Alles in allem hätte Auer wohl mehr als zufrieden sein können, wenn ... ja, wenn da nicht noch immer der ungeliebte direkte Vorgesetzte, Kriminaloberrat Wasgau, der Leiter des K 11, gewesen wäre.

Ulf schüttelte missmutig den Kopf, als er an den Schwiegersohn des Polizeipräsidenten dachte, der ihm und seiner Mannschaft immer wieder Schwierigkeiten machte, wenn es um Entscheidungen über die Vorgehensweise oder den Umgang mit den Medien ging. Aber ihm war klar, dass es eben nicht immer nur Licht, sondern auch Schatten gab und er sich wohl mit dem Umstand abfinden musste, dass er einen schwierigen und häufig wenig kompetenten Vorgesetzten ertragen musste.

Er dachte an die vielen Streitgespräche, die er mit Wasgau in den vergangenen Monaten geführt hatte, und musste lächeln. Sein Chef war ihm weder in Diskussionen noch in Fragen des Sachverstandes gewachsen, weshalb Wasgau oft mit eingezogenem Schwanz von dannen hatte ziehen müssen.

Sein Telefon klingelte aufdringlich, und noch immer lächelnd nahm er den Hörer auf.

„Auer?“

Sein Lächeln erstarb, als der Anrufer ihm mitteilte, dass man eine Leiche gefunden habe und die Auffindesituation keinen Zweifel daran ließe, dass es sich um einen Fall für die MK handele. Nachdem er sich alle Informationen hatte geben lassen und diese notiert hatte, legte er auf.

„Alle Mann, Achtung“, rief er in den Raum und hatte sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anwesenden. „Wir haben einen neuen Fall, und nach allem was ich bisher weiß, könnte das wirklich interessant sein.“

Zwang zu töten

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