Читать книгу Zwang zu töten - Dieter Aurass - Страница 18
ОглавлениеKapitel 12
Tag 3
Polizeipräsidium Koblenz, Büro der MK, 09:00 Uhr
Auer ließ den Blick über die Anwesenden im Büro und gleichzeitigem Besprechungsraum der Mordkommission im Keller des PP gleiten.
Diesmal waren außer seinem Team auch noch sein Chef, KOR Stefan Wasgau, der Leiter des K 11, und die zuständige Oberstaatsanwältin Sandra Hartung anwesend.
„Und? Was haben wir bis jetzt? Haben Sie schon einen Ansatzpunkt für Ermittlungen oder vielleicht sogar schon Verdächtige?“, richtete Hartung die Frage an ihn.
Er bewunderte sie für die Coolness, mit der sie ihn in Anwesenheit Unwissender wie einen Fremden ansprach, obwohl sie doch regelmäßig das Bett teilten. Davon wusste allerdings nur sein Team etwas, ansonsten gab es im Präsidium lediglich Gerüchte, dass er die Oberstaatsanwältin eventuell besser kannte, als die meisten dachten. Zu diesen Unwissenden zählte sein Chef Wasgau, der das auch auf keinen Fall erfahren durfte.
Seit Auer ihn einmal als „Kompetenzsimulant“ bezeichnet und ihm schon mehrfach öffentlich seine Unfähigkeit vor Augen geführt hatte, waren sie so etwas wie Todfeinde – zumindest betrachtete Wasgau ihn als solchen. Er selbst hatte meist nur Mitleid mit Wasgau, der definitiv der falsche Mann am falschen Platz war.
„Herr Auer, sind Sie noch bei uns?“, riss ihn Sandras Stimme aus seinen Gedanken.
„Oh, Verzeihung, ich war wohl in Gedanken“, entschuldigte er sich. „Aber leider habe ich auch noch nichts wirklich Erhellendes zu berichten. Bisher stecken wir noch mitten in den ersten Ermittlungen und haben noch keinen wirklich ernsten Ansatzpunkt.“
„Wen wundert‘s“, raunte Wasgau halblaut, aber deutlich hörbar, doch Auer entschied sich, nicht darauf einzugehen, und strafte seinen Vorgesetzten mit Missachtung.
„Wir haben sein Haus und die Firma nach Hinweisen durchsucht und am ehesten auf seinen Computer gesetzt. Des Weiteren haben wir nach seinem verschwundenen Fahrzeug gesucht, aber dazu können die Kollegen Kruse und Saibling am besten selbst berichten.“
Er nickte Fisch zu, der daraufhin sofort mit seinem Bericht begann.
„Also ...“, begann er gedehnt, um es wie immer so spannend wie möglich zu machen, „ ... ich habe sowohl den Firmencomputer als auch den Rechner aus seinem Büro in der Villa gecheckt und dabei Folgendes entdeckt: Auf dem privaten Computer ist eine Spiegelung aller Daten des Firmengerätes, weshalb der alleine schon gereicht hätte, aber das konnten wir ja nicht wissen. Fangen wir mal mit dem Wichtigsten an. Am Tag vor seinem Auffinden hatte er einen Termin mit einem gewissen“, er sah auf seine Notizen, „Paschke, wegen eines nicht näher bezeichneten Werbeauftrages für ein nicht näher bezeichnetes Produkt. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass er sich mit ihm im Café Höfer am Altlöhrtor treffen wollte. Ob das Treffen stattgefunden hat, konnten wir noch nicht ermitteln, da die Beschäftigten des Cafés, die zur besagten Zeit dort gearbeitet hatten, gestern nicht da waren. Teilzeitkräfte halt“, er zuckte mit den Schultern. „Wenn es denn aber stattgefunden hat, was ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehme, dann war es sein letztes Treffen, denn alle darauffolgenden Termine hat er nicht mehr wahrgenommen. Das haben wir bereits durch die Angestellten der Firma überprüfen lassen.“
„Und weshalb sind Sie so sicher, Sie Oberschlaumeier“, mischte Wasgau sich ein, „dass das Treffen stattgefunden hat, solange Sie noch keine Bestätigung durch die Angestellten des Cafés haben, hä?“
Würdest du nur endlich lernen, deinen Mund zu halten, wenn es nicht angebracht ist, dachte Auer und schüttelte leicht den Kopf. Das ist genau das, worauf Fisch gewartet hat.
Wasgau erhielt prompt die Quittung für seine vorschnelle Frage.
„Das, mein lieber ‚Oberchef‘, war leicht“, beantwortete Fisch mit einem breiten Grinsen die Frage, „denn in ganz Koblenz und im Umkreis von vierzig Kilometern gibt es lediglich vier Paschkes, die wir alle abtelefoniert haben und bei denen es höchst unwahrscheinlich ist, dass sie eine teure Werbekampagne in Auftrag geben würden. Natürlich müssen wir das Alibi des Malermeisters noch überprüfen, aber die Rentnerin und die Hausfrau und auch der neunzehnjährige Student scheiden wohl per se aus, oder?“
Er blickte abwartend auf Wasgau, der lediglich leicht säuerlich den Mund verzog, ihn aber diesmal glücklicherweise hielt.
„Also gehen wir mal davon aus“, fuhr Fisch unaufgefordert fort, „dass der Name des Treffpartners nicht sein wirklicher Name war, und hoffen, dass wir von den Angestellten des Cafés vielleicht eine Personenbeschreibung bekommen können. Aber zumindest bezüglich des verschwundenen Wagens unseres Opfers kann uns Harry etwas mehr sagen.“
Er blickte Harry Kruse an. „Dein Auftritt.“
Harry schüttelte den Kopf. „Kindskopf! Aber okay, ja, wir haben bezüglich des Wagens einen Erfolg zu vermelden. Nachdem wir im Fitnessstudio nachgefragt haben, wo er von elf Uhr bis zwölf Uhr trainiert hat, haben sie uns dort erzählt, dass er nach dem Duschen mit seiner Trainingstasche wieder gegangen ist. Die Rezeptionistin meinte, sie hätte mal mitbekommen, dass er meistens mit dem Auto käme, weshalb wir durch die Kollegen von der Trachtengruppe“, ein warnender Blick von Auer ließ ihn in seinen Ausführungen stocken, „äh ... ich meine, durch eine Gruppe von der Schutzpolizei die umliegenden Parkhäuser haben überprüfen lassen. Und voilà, der Wagen stand im Parkhaus des Forum Mittelrhein. Beim Opfer befanden sich ja auch die Schlüssel zu dem Wagen, übrigens ein sündhaft teurer Jaguar, und wir haben im Kofferraum seine Sporttasche gefunden. Man kann also wohl davon ausgehen, dass er vom Training aus zum Wagen gegangen ist, die Tasche abgelegt hat und dann zu dem Treffen mit dem ominösen Paschke gegangen ist. Aufgrund der Angaben im Fitnessstudio und der Wegstrecke können wir also inzwischen davon ausgehen, dass das Treffen etwa um 12 Uhr 30 stattgefunden haben muss. Das macht es vielleicht ein wenig einfacher, Zeugen zu finden, die es eventuell beobachtet haben können. Wir werden heute noch mal die Angestellten des Cafés befragen.“
Harry legte seinen Zettel mit den Notizen hin und signalisierte damit, dass er nichts mehr zu erzählen hatte.
„Okay,“ übernahm Auer wieder die Gesprächsführung. „Gerd, berichtest du bitte von eurem Besuch bei Doktor Rossbacher? Bitte für Herrn Wasgau und die Oberstaatsanwältin auch den Hintergrund, warum ihr ihn befragt habt.“
Befriedigt stellte Auer fest, dass seine Unterschlagung der Dienstbezeichnung seines Chefs die gewünschte Wirkung gezeigt hatte. Wasgau hasste es, nicht mit Kriminaloberrat angesprochen zu werden, und war, wie zu erwarten, zusammengezuckt.
„Die Kollegin Crott und ich“, begann Duben zu Sandra Hartung und Wasgau gewandt, „hatten bereits durch die Befragung der Ehefrau und der Mitarbeiter in der Werbeagentur erfahren, dass Raimund Kellermann unter einer psychischen Störung litt. Bei der Durchsuchung seiner Villa haben wir Unterlagen seiner Krankenkasse gefunden, laut dessen er bei einem Doktor Rossbacher, einem Koblenzer Psychotherapeuten, in Behandlung war. Coco und ich waren gestern Nachmittag bei dem lieben Doktor, und der Besuch war ... nun ja ... mal einfach ausgedrückt, höchst unbefriedigend. Er beruft sich auf seine ärztliche Schweigepflicht und hat noch nicht mal bestätigen wollen, dass Kellermann einer seiner Patienten war. Ich war da wohl ein wenig blauäugig, was die Bereitschaft eines Doktors angeht, der Polizei in einer Morduntersuchung zu helfen.“
Er zuckte hilflos mit den Schultern.
Auer sah Sandra Hartung an. „Sehen Sie eine Chance auf die Erwirkung eines richterlichen Beschlusses zur Beschlagnahme der Patientenakten, Frau Oberstaatsanwältin?“
Sie sah ihn überrascht an. „Auf welcher Grundlage? Weil ein Mordopfer Patient bei einem Psychotherapeuten war? Gibt es auch nur den kleinsten Hinweis darauf, dass seine Ermordung etwas mit seinen psychischen Problemen zu tun hatte? Ich denke mal, nein, denn sonst hätten wir es ja bereits gehört, nicht wahr? Also ... kein Beschluss. Ich hole mir doch keine rote Nase beim zuständigen Ermittlungsrichter, keine Chance.“
Wasgau schien es nicht mehr aushalten zu können.
„Ja, und wie soll es dann mit den Ermittlungen weitergehen? Haben Sie schon einen Plan, was man als Nächstes tun kann?“
Bevor Auer antworten konnte, kam die sofortige Retourkutsche der Oberstaatsanwältin, die sich offensichtlich angesprochen fühlte.
„Na, dann machen Sie doch mal einen intelligenten Vorschlag.“ Sie wartete noch nicht einmal ab, ob Wasgau in der Lage war, einen solchen zu machen, und fuhr barsch fort: „Ach ja, ich hatte vergessen, dass das nicht so Ihre Sache ist ... das mit den intelligenten Vorschlägen.“
Sie stand auf und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Über die Schulter rief sie noch: „Halten Sie mich auf dem Laufenden!“, und war kurz darauf verschwunden.
„Hmmm ...“, meldete sich Fisch in das betretene Schweigen, „ich hätte da mal eine Frage. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Psychotherapeuten und einem Psychiater? Ich weiß, ich könnte das einfach googeln, aber da wir ja eine Quasi-Expertin unter uns haben“, er warf Coco einen vielsagenden Blick zu, „dachte ich, sie könnte uns das mal erklären ... oder zumindest mir“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
Bevor Coco antworten konnte, gab Auer sich einen Ruck und setzte mit einer Erklärung an.
„Man unterscheidet zwischen Psychiatern, Psychotherapeuten, Psychologen und Neurologen. Der Psychiater ist ein Arzt, der aber auch gleichzeitig Psychotherapeut sein kann. Beide behandeln Erkrankungen des Geistes und der Seele. Allerdings kann der Psychotherapeut keine Medikamente verschreiben, wenn er nicht gleichzeitig Psychiater ist. Der Psychologe macht eher in Diagnostik, wenn er nicht auch gleichzeitig Psychotherapeut ist, und der Neurologe kümmert sich eher um körperliche Erkrankungen, zum Beispiel der Nervenbahnen. Das ist ein sehr komplexes Thema, zumal es verschiedenste Kombinationen der einzelnen Fachrichtungen gibt.“
Das war eine für seine Verhältnisse eher längere Ansprache, und Auer registrierte sehr wohl die überraschten Blicke von Fisch und Harry. Duben nickte lediglich, als hätte er nichts anderes erwartet, als dass Auer sich diesbezüglich auskannte.
Es wunderte ihn allerdings etwas, dass auch Coco nicht erstaunt schien, da sie ja nichts von seinem Studium wusste.
„Woher weißt du so viel darüber?“, fragte Fisch erstaunt.
„Das ist doch Allgemeinwissen, so was sollte ein Kriminalbeamter eigentlich wissen“, beschönigte Auer und bemerkte gleichzeitig die hochgezogene Augenbraue bei Coco.
Sie glaubt mir nicht. Vielleicht sollte ich ihr doch ehrlicherweise erklären, woher ich mich so gut auskenne.