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Kapitel 3

Polizeipräsidium, Büro der MK, 10:30 Uhr

„Also, was wollt ihr denn so wissen?“, begrüßte Fisch seine Kollegen Auer und Harry, als sie den Kellerraum betraten, in dem die Mordkommission angesiedelt war.

Das Großraumbüro, in das die Truppe vor mehr als einem Jahr verbannt worden war, stellte inzwischen eine gut ausgestattete Zentrale für das fünfköpfige Team dar, in der es an nichts fehlte: Eine moderne Kaffeemaschine war ebenso unverzichtbar wie die Besprechungsecke, und die locker auf den etwa fünfzig Quadratmeter großen Raum verteilten Schreibtische boten ausreichend Platz. Des Weiteren verfügte der Raum über eine kleine Teeküche und eine eigene Toilette mit Waschgelegenheit. Als einziges Manko empfand Auer lediglich die auf einer Seite des Raums gelegenen mickrigen Oberlichter, die nur sehr wenig Tageslicht in den Raum gelangen ließen.

„Du hast also schon ein wenig das Internet gequält“, bemerkte er jetzt mit einem anzüglichen Grinsen. „Was hast du denn so über unser Opfer herausfinden können?“

„Eine ganze Menge. Der war schon ein recht erfolgreicher Geschäftsmann. Seine Werbe- und Marketingfirma ist wohl ziemlich renommiert, hat die Geschäftsräume im Zentrum von Koblenz, und seine Villa auf der Karthause ist, wenn man den Luftaufnahmen bei Google Earth glauben darf, auch nicht ohne.“

„Familienstand?“, warf Harry in die Unterhaltung ein.

„Geschieden, wobei ...“, Klaus Saibling machte eine bedeutungsschwere Pause, „... ich mit dem Scheidungsurteil nicht so ganz klarkomme.“ Er hielt inne, als er die hochgezogenen Augenbrauen von Auer sah.

„Mensch, Ulf, mach dir nicht ins Hemd. Die Datenbank des Familiengerichtes ist jetzt wirklich keine große Sache. Also keine Angst, da merkt schon keiner, dass ich da mal nachgesehen habe. Wir müssen die Unterlagen halt nachträglich noch offiziell anfordern, aber zumindest wissen wir schon mal, dass es sich vermutlich lohnt.“

Auer stöhnte vernehmlich auf, und Harry grinste still in sich hinein. „Eines Tages fällst du wirklich mal auf, und eigentlich würde ich dich ungern verlieren. Aber du musst es ja wissen, was du da so auf eigene Gefahr treibst. Also ...“, fragte Ulf schließlich, „... was ist da so ungewöhnlich oder schwer zu verstehen?“

Fisch ließ sich Zeit, und sein zufriedener Gesichtsausdruck zeigte, dass er es genoss, wieder einmal aufgrund seiner illegalen Aktivitäten mehr zu wissen als alle anderen. Schließlich ließ er sich dazu herab, zu berichten. Auer und Harry hatten sich Stühle herangezogen und lauschten ihm aufmerksam.

„Also ... es gibt da Andeutungen, nichts wirklich Genaues leider, dass er seine Frau – oder besser Ex-Frau – in den Wahnsinn getrieben haben muss aufgrund bestimmter psychischer Defizite, die sie nicht mehr aushalten konnte. Vermutlich“, er lachte laut auf, „hatte das Gericht wohl Angst vor genialen Hackern, die diese Unterlagen einsehen könnten, weshalb da keine genauen Erkenntnisse drinstehen.“

Als das wohl erwartete Lob seiner Genialität ausblieb, fuhr er etwas frustriert fort: „Na ja, wie dem auch sei, er musste auf jeden Fall einen nicht unerheblichen Betrag an Unterhalt zahlen, weshalb ich die Ex-Frau mal von der Liste der Verdächtigen streichen würde, denn die hat jetzt auf jeden Fall die A-Karte gezogen, wenn die Zahlungen ausbleiben.“

Harry Kruse hatte die Stirn gerunzelt, und seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen.

„Das ist alles? Ich fass es nicht. Und über solche Kleinigkeiten machst du so einen Aufriss? Pah!“

Er hatte sich erhoben und war in Richtung der Kaffeemaschine aufgebrochen. Dabei grummelte er vor sich hin und brachte so sein Missfallen zum Ausdruck.

„Was hast du denn bisher in der Sache geleistet, hä?“, rief Fisch ihm hinterher, und Auer sah sich genötigt, einzugreifen.

„Jetzt mal langsam, Jungs. Das ist doch für den Anfang schon mal was. Ich halte das für einen guten ersten Ansatzpunkt, und vielleicht bekommen wir ja bei den Ermittlungen am Arbeitsplatz oder der Vernehmung der Ex-Frau genauere Hinweise darauf, wo ein mögliches Motiv liegen könnte und um was für ein Problem es sich handelt, an dem die Ehe gescheitert ist. Zumindest“, rief er etwas lauter in Richtung Kaffeemaschine, „wissen wir ja schon mal, auf was wir achten müssen!“

„Pah“, schallte es wenig überzeugt von der Kaffeemaschine herüber.

„Mach dir nichts draus“, beruhigte er Fisch, der schon zu einer weiteren Entgegnung ansetzte, „er ist bloß frustriert. Keine große Sache.“

Manchmal, dachte er leicht genervt, komme ich mir vor wie im Kindergarten, wo man ständig zwischen den sich streitenden Kleinen vermitteln muss. Hoffentlich haben Duben und Coco noch was Positives am Tatort herausbekommen können.

Als hätten sie seine Gedanken hören können, öffnete sich in diesem Moment die Tür und Gerd Duben ließ Coco an sich vorbei in den Raum treten, was Auer ihm nicht zugetraut hätte, da Gerd normalerweise nicht wirklich ein Gentleman der alten Schule war. Als allerdings hinter Coco eine weitere Frau durch die Tür hereinkam, wurde ihm klar, woher die besondere Höflichkeit kam.

Dicht hinter Coco Crott trat Sandra Hartung ein, die Oberstaatsanwältin, von der lediglich die Mitglieder der Mordkommission wussten, dass sie das feste Liebesverhältnis von Ulf Auer war. Wobei das mit dem „fest“ so eine Sache war, von deren fehlender Beständigkeit die Kollegen zum Glück selten etwas mitbekamen. Leider viel zu oft gerieten Ulf und Sandra aneinander, wobei es meistens um die mögliche Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft ging. Momentan befanden sie sich in einer der „Friedensphasen“, in der das Thema eben gerade mal kein Thema war.

Der Blick der Neununddreißigjährigen erhellte sich, als sie Ulf sah, und sie ging mit einem kurzen Nicken in Richtung der anderen geradewegs auf ihn zu.

„So, ihr habt also wieder einen neuen Mordfall, und wenn die Informationen, die mir bisher vorliegen, richtig sind, dann handelt es sich mal wieder um etwas Spektakuläres, richtig?“

„Ja, leider“, seufzte Ulf, während er um ihre Taille griff, sie zu sich heranzog und ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen gab. „Der Tatort lässt darauf schließen, dass es sich nicht um ein spontanes Verbrechen gehandelt hat, sondern von langer Hand geplant und vorbereitet war. Aber diesbezüglich stehen wir wirklich noch ganz am Anfang.“

Sandra Hartung schüttelt ihre lange schwarze Mähne, die ihr helles Gesicht mit den rot geschminkten Lippen so kontrastreich einrahmte.

„Ich will doch hoffen, dass es sich nicht wieder um den Auftakt einer Serie handelt. Sollten wir eine Sonderkommission bilden, damit ihr Unterstützung bei den Ermittlungen habt?“

„Gott bewahre“, beeilte sich Auer zu entgegnen. „Mal den Teufel nicht an die Wand. Bisher kommen wir sicherlich noch alleine zurecht, und an einen neuerlichen Serientäter will ich gar nicht denken. Aber da fällt mir ein, dass ich Coco und Gerd noch über den Ermittlungsstand informieren wollte, und dabei kannst du gleich zuhören.“

Er winkte Coco und Gerd zu sich heran, und sie setzten sich gemeinsam an den kleinen Besprechungstisch.

„Auch einen Kaffee, Frau Oberstaatsanwältin?“, fragte Coco noch stehend. Sandra Hartung bejahte, und Coco beeilte sich, zwei Tassen Kaffee zu holen und an den Tisch zu bringen. „Okay“, fragte Coco, nachdem sie sich gesetzt hatte, „was gibt es, was wir noch nicht wissen? Ich kann jetzt schon sagen, dass es auf jeden Fall mehr ist, als wir am Tatort herausfinden konnten, aber dazu gleich mehr. Du zuerst“, sagte sie in Richtung Auer und nippte an ihrem Kaffee.

Auer erzählte von den Erkenntnissen bezüglich der Ex-Frau, wobei er es vermied, die Quelle der Informationen zu nennen.

Aus den zusammengekniffenen Augen und dem misstrauischen Seitenblick in Richtung Fisch durch Sandra Hartung konnte er allerdings schließen, dass sie sich denken konnte, dass diese Informationen auf bestenfalls halb legalen Wegen an die MK gelangt waren.

„Und was habt ihr vom Tatort zu berichten?“, lenkte Auer mit seiner Frage an Duben die Aufmerksamkeit der Oberstaatsanwältin von Fisch ab.

„Berichte du, Coco, es frustriert mich zu sehr“, antwortete Duben genervt.

Coco nahm sofort den Faden auf. „Nun ja, es ist wirklich nicht sehr erfreulich. Das ist der denkbar schlechteste Tatort, den man sich vorstellen kann, zumindest aus unserer Sicht. Für den oder die Täter war es ein Segen. Keine Alarmanlage, keine Videoüberwachung, Unmengen von Schlüsseln, über die es keine Nachweise gibt, zahlreiche Angestellte, überwiegend Teilzeitkräfte, und vor allem keine Kundendatei, aus der wir eruieren könnten, wer alles die Anlage ausgespäht haben könnte. Wir haben selbstverständlich eine Liste aller Beschäftigten, und Fisch kann ja mal in den einschlägigen Systemen checken, ob jemand Bekanntes dabei ist, aber ich verspreche mir nicht wirklich viel davon. Da jede Menge junger Leute einfach so vorbeikommen und sich stundenlang zum Spielen dort aufhalten können, kann es Hunderte von Leuten geben, die sich dort in aller Ruhe umgesehen haben und dabei feststellen konnten, wie einfach es ist, da reinzukommen und wie lange die Anlage zwischen den Öffnungszeiten in der Nacht verwaist und unbewacht ist. Tut mir leid.“

Auer winkte ab. „Das ist dann halt nicht zu ändern. Also ermitteln wir erst mal mit dem Wenigen, was wir bisher haben. Ich schlage deshalb vor“, fuhr er nach kurzer Überlegung fort, „dass ein Team sich schnellstmöglich in diese Werbeagentur begibt und dort die Ermittlungen aufnimmt. Ein weiteres Team sollte versuchen, die Ex-Frau ausfindig zu machen und zu befragen. Wer macht was?“

Er sah, wie Sandra Hartung die Augen verdrehte. Er wusste, dass sie es nicht verstand, wie viel Entscheidungsfreiheit er seinen Mitarbeitern ließ. Sie an seiner Stelle hätte eine Einteilung vorgenommen, egal, ob die ihren Mitarbeitern gefallen hätte oder nicht.

Zwang zu töten

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