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Kapitel 3
ОглавлениеDas Büro der Pfarrgemeinde lag in einem kleinen Fachwerkhäuschen nur hundert Meter von der St. Agnes Kirche entfernt. Es war durch ein großes, glänzendes Messingschild neben der uralten, geschnitzten und mit Ornamenten versehenen Tür leicht erkennbar. Jenny und Schmuddel gingen die fünf ausgetretenen Stufen aus Sandstein hinauf und drückten auf die Klingel, die in einer Messingschale von der Größe eines Suppentopfes in die Wand eingelassen war.
Der melodische Dreiklang war noch nicht verstummt, als von drinnen eine helle Stimme »Es ist offen!«,rief.
Jenny und Schmuddel betraten das Häuschen und gelangten zuerst in einen kleinen Flur, von dem rechts und links jeweils zwei altertümliche Holztüren abgingen. Die erste Tür links stand halb offen und die beiden wandten sich dorthin und traten ein.
»Grüß Gott. Sie sind bestimmt von der Kripo und wollen mich befragen, stimmt‘s?«, begrüßte sie eine zierliche Brünette mit halblangen glatten Haaren, die sich ihnen in einem freizügigen bunten Sommerkleid präsentierte.
Na, das ist aber nicht die graue Maus, die ich als Pfarrsekretärin erwartet hätte, dachte Jenny und betrachtete die junge Frau genauer. Vermutlich Ende zwanzig, deutlich sichtbar geschminkt und mit einem Ausschnitt, der ihren für die sonstige Figur überdimensionalen Busen sehr offen zur Geltung brachte.
Also, die geizt nun wirklich nicht mit ihren Reizen, schoss es Jenny durch den Kopf und sie konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Wie Schmuddel darauf wohl reagiert?
Ein kurzer Seitenblick zeigte ihr, dass Schmuddel ganz offensichtlich mehr als angetan war.
Er machte große Augen und leckte sich wie automatisch und unkontrollierbar die Lippen, wie er es immer tat, wenn er von etwas begeistert oder sogar angeturnt war.
Die Frau war bei ihrem Eintreten aufgesprungen und eilte nun mit ausgetreckter Hand auf sie zu. »Hallo, ich bin Hildegard Knecht, die Pfarrgemeindesekretärin ... aber die meisten nennen mich Hilu.« Sie schüttelte Jenny kurz die Hand und wandte sich dann Schmuddel zu. »Und sie sind ...?« Dabei sah sie ihm tief in die Augen, was ihn zu Jennys großer Belustigung ziemlich verlegen zu machen schien.
»Äh ... Oberkommissar Braake von der Mordkommission Frankfurt. Aber die meisten nennen mich ...«, er machte eine kurze Pause, »äh ... Klaus.« Er schüttelte ihre Hand und konnte seinen Blick kaum von ihrem Ausschnitt losreißen.
Jenny konnte sich nicht erinnern, dass er jemals zuvor seinen Spitznamen verheimlicht hätte.
Er will sie beeindrucken ... na ja, vermutlich erst mal nicht abschrecken. Interessant.
Sie nahm sich vor, Schmuddel genau zu beobachten. Das versprach, unter Umständen sehr lustig zu werden.
»Und mein Name ist Jung, auch Mordkommission Frankfurt. Und die meisten nennen mich ›Frau Oberkommissarin‹«, konnte sie sich nicht verkneifen, zu sagen. »Wir hätten einige Fragen an Sie«, ergänzte sie und versuchte, dabei so ernst wie möglich zu bleiben.
»Ja, ja, natürlich. Das kann ich mir denken. Ich glaube, ich habe auch ein paar Antworten für Sie«, meinte die junge Frau mit einem schelmischen Lächeln.
Jennys bisher freundliches Gesicht gefror. Sie hatte ganz unterschiedliche Reaktionen für möglich gehalten und auch schon so einiges erlebt, aber damit hatte sie nicht gerechnet.
»Der gewaltsame Tod Ihres Chefs scheint Sie allerdings nicht sehr mitgenommen zu haben«, meinte sie eisig. »Darf ich fragen, warum?«
Die junge Pfarrsekretärin lachte kurz aber laut auf. »Ich habe doch gesagt, ich habe sicherlich ein paar Antworten für Sie. Wenn ich Ihnen erzählt habe, was ich weiß, dann werden Sie mich verstehen. Setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Ja gerne«, beeilte sich Schmuddel, zu antworten.
»Ja, ich auch«, sagte Jenny und setzte sich in einen der beiden vor dem Schreibtisch stehenden Stühle. Sie beobachtete, wie Hildegard Knecht zu einer Kaffeemaschine auf einem kleinen Beistelltisch neben ihrem Schreibtisch ging und dort die volle Kanne frisch gebrühten Kaffees von der Heizplatte nahm. Sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, wie man in so einer Situation zuerst mal frischen Kaffee kochen konnte. Hilu schenkte drei Tassen ein, stellte sie auf den Schreibtisch und nahm in ihrem Bürostuhl Platz. »Bevor Sie anfangen, mir Fragen zu stellen«, begann sie ohne Einleitung, »möchte ich Ihnen erst mal ein Bild von unserm lieben Pfarrer, dem ehrenwehrten Dr. Bock, aufzeigen, das Ihnen einige Illusionen nehmen wird und mein Verhalten vielleicht etwas verdeutlicht.«
Jenny konnte genug zwischen den Zeilen heraushören, um sich absolut sicher zu sein, dass hier nicht nur mangelnde Freundschaft, sondern viel mehr erbitterte Feindschaft oder vielleicht sogar offener Hass vorgeherrscht hatte.
»Pfarrer Dr. Bock«, Hilu betonte das ›Dr.‹ eher abfällig, »war gelinde gesagt ein Arschloch und ein rücksichtloses Schwein. Ich weiß, es ist traurig, wenn man das über einen kürzlich Verstorbenen sagen muss, aber es ist leider so ... war so«, korrigierte sie sich sofort.
»Könnten Sie das ein wenig präzisieren«, fragte Jenny in einem noch immer nicht sehr verständnisvollen Tonfall.
»Ja, natürlich. Ich weiß nur nicht so genau, wo ich anfangen soll.«
»Machen Sie sich keinen Kopf«, mischte Schmuddel sich ein und lächelte ihr verstehend zu, »erzählen Sie einfach frisch von der Leber weg, wir sortieren das dann schon.«
Sie lächelte dankbar zurück. »Ja, gerne.«
Jenny musste den Kopf schütteln über so viel blödes Geschwätz. »Na was denn nun, erzählen Sie mal«, forderte sie ungeduldig.
Hilu Knecht seufzte. »Okay, fangen wir mal ganz am Anfang an. Also der Pfarrer, der hat ... äh hatte ... keine Freunde. Eigentlich eher im Gegenteil, der hatte nur Feinde. Leute, die er vor den Kopf gestoßen hat, denen gegenüber er sich genau wie das Arschloch benommen hat, das er auch war. Ich weiß, das klingt hart, aber Sie haben ihn nicht gekannt. Er war«, sie schien sich langsam an die Vergangenheitsform zu gewöhnen, »arrogant, besserwisserisch, unausstehlich, immer schlecht gelaunt, frauenfeindlich, kinderfeindlich, eigentlich sogar menschenfeindlich, bigott, sexistisch, rassistisch und ... und ...« Ihr fielen offenbar keine Adjektive mehr ein, denn sie seufzte wieder schwer und verstummte.
Nicht nur Jenny war zu baff über diesen Ausbruch, um auf die Schnelle reagieren. Aber noch bevor sie oder Schmuddel sich etwas überlegen konnten, fuhr Hilu Knecht fort. »Wenn Sie es detaillierter wissen wollen, dann kann ich Ihnen verraten, dass er Krieg mit dem Pfarrgemeinderat hatte, mit dem Küster im Clinch lag, den Kantor gehasst hat, seine Haushälterin bis zur Weißglut brüskiert hat, mit dem Bischof von Limburg ständig Streit hatte und mir jeden Tag mindestens zwei Mal mit Kündigung gedroht hat. Hab ich noch jemand vergessen?« Sie horchte überlegend in sich hinein. »Nein, für den Anfang sollte das genügen, wenn Sie Leute suchen, die ihm den Tod gewünscht haben. Und um auf Ihre ursprüngliche Frage zurückzukommen: Nein, ich bin wirklich nicht sehr mitgenommen von seinem Tod. Wenn ich jemals an der himmlischen Gerechtigkeit gezweifelt habe, dann ist jetzt mein Glaube wiederhergestellt.«
Sie lehnte sich bequem in ihrem Stuhl zurück und sah die beiden Ermittler fragend, aber auch herausfordernd an. »Na, sind Sie jetzt schockiert?«
Jenny war sich noch nicht sicher, wie sie mit einer solchen Einstellung umgehen sollte. Auf Schmuddels Gesicht jedoch sah sie eine Art Zustimmung, die sich in einem breiten Grinsen manifestierte. Er nickte anerkennend mit dem Kopf. Jenny erkannte seine Bewunderung für ihre flapsige Art, mit dem Tod umzugehen. Er selbst hatte sich schon lange einen ähnlichen Umgang mit schlimmen Ereignissen angeeignet.
Ich werde das jetzt alles mal beiseitelassen und konzentriere mich auf die eigentlichen Fragen, entschloss sich Jenny.
»Wir sind nicht so leicht zu schockieren, Frau Knecht. Was sich aus Ihren Äußerungen schließen lässt, bleibt fürs Erste abzuwarten. Für den Moment würde es uns aber enorm weiterhelfen, wenn Sie uns den Ablauf der letzten vierundzwanzig Stunden im Leben von Pfarrer Bock mitteilen könnten. Vielleicht auch noch darüber hinaus noch seine Termine der letzten Wochen?«
»Kein Problem, Frau Kommissar.« Sie lächelte Jenny wieder schelmisch an. »Sind Sie technisch denn auf dem Stand, dass Sie mir eine Mailadresse zur Verfügung stellen können, dann sende ich Ihnen seinen kompletten Kalender? Da sind alle Termine der letzten vierundzwanzig Monate drin. Vielleicht hilft Ihnen das ja weiter.«
Bevor Jenny reagieren konnte, drängte Schmuddel sich in den Vordergrund. »Das ist dann wohl eher mein Ressort. Ich bin der Computerspezialist der Truppe.«
»Ach was«, zeigte sich Hilu Knecht interessiert, »da können Sie mir auch sicher bei dem einen oder anderen Computerproblem behilflich sein. Ich kenne mich zwar eigentlich ganz gut aus, aber mit dem Netzwerk habe ich so meine Schwierigkeiten.«
»Natürlich, gerne. Wo liegt denn Ihr Problem?«
Jenny war inzwischen ein wenig genervt von dem Gebalze, und sah sich gezwungen, mit Nachdruck einzuschreiten.
»Hallo, geht’s noch? Wir haben hier, glaube ich, ein dringlicheres Problem zu klären. Wenn Sie vielleicht so freundlich wären und meinem übereifrigen Kollegen den Kalender mit den Terminen zukommen zu lassen, wäre ich äußerst dankbar.«
Schmuddel schien zu erkennen, dass er vermutlich ein wenig über das Ziel hinausgeschossen war.
»Okay, ja, na klar. Passen Sie auf, ich gebe Ihnen jetzt eine Mailadresse, an die können Sie die Daten senden«, erklärte er kleinlaut. »Mit Ihrem Problem werde ich mich dann mal zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen.«
Hilu Knecht grinste noch immer unverschämt in Richtung Jenny. »Kein Problem für mich. Hat keine Eile. Ich denke, ich bin die nächste Zeit sowieso nicht so unter wirklichem Arbeitsdruck. Außer, dass ich seine Termine absagen muss.«
»Ach ja«, fiel Jenny noch ein wichtiger Punkt ein, »hat Pfarrer Bock auch einen eigenen Computer?«
»Ja, selbstverständlich. Auf den habe ich aber keinen Zugriff, der befindet sich in seiner Wohnung im Pfarrhaus.«
»Richtig, die Wohnung. Haben Sie einen Schlüssel für seine Wohnung?«
»Selbstverständlich nicht.« Die junge Frau war sichtlich entrüstet. »Ich bin Sekretärin, keine Putzfrau. Dafür ist seine Haushälterin, Maria Bleibtreu, die alte Hexe, zuständig. Die lebt schließlich auch in dem Haushalt.«