Читать книгу Frankfurter Kreuzigung - Dieter Aurass - Страница 9
Kapitel 2
ОглавлениеKein schlechter Typ. Richtig knackig, der Junge – eigentlich beide. Nur ein wenig zu jung, schade.
Jutta Beltermann konnte ihre Gedanken nicht im Zaum halten. Sie hatte die Gelegenheit, die beiden Sanitäter genauer zu betrachten, da ihre Kollegin Irina Petrowska durchaus in der Lage war, die Befragung alleine durchzuführen. Also stand sie dabei und schaute.
Der mit dem Drei-Tage-Bart ist der hübschere, aber der andere macht einen netteren Eindruck. Wie alt sind die beiden wohl? Vermutlich gerade mal Anfang zwanzig.
Sie konnte gerade noch einen Seufzer unterdrücken, als ihr so richtig klar wurde, dass sie es hier mit einer Liga zu tun hatte, von der sie in ihrem Alter besser die Finger lassen sollte. Sie würde ihrem Spitznamen ›Mutti‹ nur allzu gerecht werden, wenn sie mit einem dieser ›Kinder‹ etwas anfangen würde. Mal ganz abgesehen davon, ob die überhaupt Interesse an ihr hätten. Ihr Spitzname hatte zwar nichts mit ihrem Alter zu tun, sondern war dadurch entstanden, dass sie schon immer durch ihre fürsorgliche Art und das Bedürfnis, sich um alle Sorgen und Nöte der Kollegen zu kümmern, stets als ›Mutter der Kompanie‹ gegolten hatte - auch schon mit Mitte zwanzig.
Nun, in ihrem 42. Lebensjahr, kam sie langsam in die Situation, dass sie tatsächlich die Mutter einiger Kollegen und Kolleginnen hätte sein können.
Für ihr Alter fühlte sie sich eigentlich noch recht passabel. Sie trieb zwar keinen regelmäßigen Sport, aber ihre Figur war ansehnlich, sie war weder faltig, noch hatte sie Altersflecken, ihre Haut war straff und sie sah nach ihrer eigenen Einschätzung eigentlich jünger als 42 aus. Sie pflegte sich, achtete immer auf eine ordentliche Frisur und ihre mittelbraunen Haare wiesen noch nicht den Hauch von Grau auf.
Dennoch hatte sie seit geraumer Zeit keine Beziehung und noch nicht einmal Sex gehabt. Zumindest keinen, an dem mehr als eine Person beteiligt gewesen war. Wie lange ist das schon her?, fragte sie sich ein wenig wehmütig.
Sie musste diese Gedankengänge nicht weiterführen, da sie der emotionale Ausbruch eines der beiden Sanitäter wieder in die Gegenwart zurückholte. »Verdammt noch mal, ja, es war sicherlich ein Fehler ... und ja, ich war vielleicht ein wenig zu neugierig, aber das ist unter diesen Umständen doch sicherlich nachvollziehbar, oder?«, bemerkte er gerade ein wenig zu lautstark.
Der Hübschere, hmmm, der ist also tatsächlich nicht so nett.
Ihr war klar, dass er seinen Fehler erkannt hatte und sich nun mit Gewalt rechtfertigen wollte. »Ist ja gut, junger Mann, regen Sie sich nicht auf. Solange Sie keine falschen Spuren gelegt und den Tatort nicht verunreinigt haben, ist ja nichts passiert«, versuchte sie, ihn wieder ein wenig runter zu holen.
»Ich hatte selbstverständlich Handschuhe an, Frau Kommissarin.« Sein Tonfall war leicht indigniert, als wolle er die Unterstellung als völlig aus der Luft gegriffen und unangebracht aussehen lassen.
Mutti überhörte die Art, wie er ›Frau Kommissarin‹ betont hatte, geflissentlich. »Was können Sie uns denn zum Verhalten der Person sagen, die den Leichnam gefunden und Sie dann zu Hilfe gerufen hat?«
Sie sah sofort den überraschten Blick von Irina.
»Oh, hattest du das schon gefragt? Sorry, ich war gerade geistig ein wenig abwesend.«
»Kein Problem«, lächelte Irina verstehend. »Die beiden Herren sind der Meinung, dass er zwar ausnehmend neugierig, aber auch gleichzeitig aufrichtig entsetzt gewirkt habe. Auch die Reaktion seines Magens auf sein bescheuertes Betrachten der Verletzung war wohl durch echte Überraschung erzeugt.«
»Okay ... nun, dann mir fällt mir im Moment nichts mehr ein, was wir noch fragen könnten. Dir?« Mutti sah die zwanzig Jahre jüngere Kollegin fragend an.
»Nein, mir auch nicht. Tja, meine Herren, dann wären wir so weit fertig. Ihre Erreichbarkeit habe ich ja. Wir melden uns bei Ihnen, wenn noch etwas zu klären sein sollte. Erstmal vielen Dank.«
Mutti entgingen die gierigen Blicke der zwei momentan offensichtlich testosterongesteuerten Männer nicht, die an Irinas Lippen und anderen Körperteilen hingen. Sie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, aber es bestand keine Gefahr, dass die beiden darauf aufmerksam würden, denn sie hatten nur Augen für die junge Kollegin.
Tja, früher hätten sie vielleicht mal so nach mir geschaut. Aber das ist wohl vorbei. Schade, dass ich den beiden nicht sagen kann, dass sie bei Irina auf keinen Fall landen können.
Grundsätzlich war es eher nützlich, wenn ihr männliches Gegenüber, egal ob Zeugen oder Verdächtige, ein Auge auf Irina warf und sich vielleicht sogar Chancen ausrechneten. Von den beiden gab es allerdings kaum noch etwas zu erfahren.
Irina übergab einem gerade die Visitenkarte der Mordkommission mit der zentralen Nummer und äußerte die Bitte, sich doch zu melden, falls ihnen noch etwas Wichtiges einfallen würde.
»Kann ich Sie denn nicht auch persönlich anrufen, Frau Kommissarin. Ich meine, mir fällt bestimmt noch was ganz Wichtiges ein ... wenn Sie wissen, was ich meine?«, wagte es der Mutigere der beiden, zu fragen.
Irina lachte das für sie so typische Lachen und warf den Kopf zurück, wobei sie ihre gelockte schwarze Mähne schüttelte. Dann sah sie ihm tief in die Augen und ging näher an sein Gesicht heran. Das erwartungsvolle Leuchten in seinen Augen erlosch schneller als eine Kerze im Sturm, als sie ihm ganz leise zuflüsterte: »Träum weiter, Kleiner.«
Dann drehte sie sich um. »Komm Mutti, wir haben hier alles, was es zu erfahren gibt.«