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Kapitel 8

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»Du glaubst nicht, was heute angekommen ist«, überfiel Sonja ihren nach Hause kommenden Lebensgefährten freudestrahlend. Sie umarmte Gregor und drückte ihm einen dicken Kuss auf die Lippen.

Er hielt sie auf Armeslänge von sich weg und schaute prüfend in ihr Gesicht. »Da du seit Wochen über fast nichts Anderes redest, gehe ich zwingend davon aus, dass es sich um die technische Ausrüstung für das rechtsmedizinische Institut handelt.«

»Bäh, Spielverderber«, wies sie ihn mit gespielter Verärgerung zurecht. »Tu doch wenigstens so, als ob du raten müsstest.«

»Warum?«

Sonja seufzte tief. Es war sinnlos und sie überlegte, ob sie versuchen sollte, es ihm zu erklären, was der Sinn rhetorischer Fragen war und warum sie ihm stolz berichten und dann seine freudige Überraschung zur Kenntnis nehmen wollte. Gregor war für Frage-und-Antwort-Spiele nicht der geeignete Partner. Er konnte keine Unwissenheit vortäuschen, wenn er die Antwort kannte. Er verstand auch nicht, warum sie ihm eine Frage stellte, wenn sie die Antwort schon kannte.

Lass dich mit einem Logiker ein und du bekommst die Quittung, die du verdienst.

Aber sie liebte ihn dennoch, wenn auch nicht gerade in solchen Momenten. »Ja, du hast ja Recht. Komm, ich habe das Essen gleich fertig und wenn wir gegessen haben berichte ich dir ausführlich.«

Das hinter ihr her gemurmelte »Das war keine adäquate Antwort auf meine Frage« ignorierte sie einfach.

Aber schon während des Essens war Sonja nicht in der Lage, ihre Begeisterung über das neue Gerät in den Griff zu bekommen und schwärmte unentwegt davon.

Viele andere Männer hätten sie gebremst und auf ihre ursprüngliche Aussage verwiesen, bis nach dem Essen warten zu wollen. Gregor allerdings lauschte schweigend und schien alle Informationen wie ein Schwamm in sich aufzusaugen. Ein Teil war ihm natürlich schon bekannt, denn er war nicht ganz unschuldig an dem Umstand, dass die Rechtsmedizin nun über diese nagelneue und hochtechnologische Apparatur verfügte.

Vor mehr als einem Jahr hatte Gregor ein Erbe angetreten, das auf einem Verbrechen in der Nazizeit basiert hatte und das er demzufolge nicht annehmen wollte. Das galt sowohl für das Bankhaus Mandelbaum als auch für das Grundstück der damals abgebrannten Mandelbaum-Villa mitten in Frankfurt. Aber anstatt das Erbe einfach abzulehnen, hatte er eine Stiftung gegründet und alle Vermögenswerte, die auf unrechte Art und Weise in den Besitz der Familie gekommen waren, dieser Stiftung zur Verfügung gestellt. Ziel der Stiftung war es, die Verbrechensbekämpfung zu unterstützen, wo immer es möglich war. Dazu musste lediglich ein Antrag an den Stiftungsrat - dem Gregor natürlich auch selbst angehörte - gestellt werden und danach wurde dort entschieden, ob das entsprechende Projekt unterstützt wurde oder eben nicht. Einer dieser Anträge war vor über drei Monaten vom rechtsmedizinischen Institut der Goethe-Universität Frankfurt gestellt worden und betraf eine sündhaft teure Ausrüstung. Was schon seit Jahren in Fernsehserien wie ›CSI‹, ›Bones – die Knochenjägerin‹ und vergleichbaren amerikanischen Krimi-TV-Serien immer wieder dargestellt wurde, hatte seit kurzem Einzug in die Realität gehalten. Ein Schweizer Unternehmen hatte die Virtopsy und den Virtobot entwickelt und gebaut. Virtopsy stand für die Verbindung der Worte ›virtuell‹ und ›Autopsie‹. Der Virtobot war das Gerät, das die virtuelle Autopsie durchführte. Es war ein Instrument, dass man als eine Kombination aus CT, MRT und Röntgengerät bezeichnen konnte, bei dem ein toter menschlicher Körper durch eine Art Ring gefahren wurde, der alles aufnahm, in einem Computer verarbeitete und anschließend dreidimensional auf Bildschirmen darstellen konnte. So war es möglich, in einen Körper hineinzusehen, ohne ihn öffnen zu müssen. Darüber hinaus stellte es eine Detailgenauigkeit dar, die weit über das menschliche Auge hinausging, ließ sich vergrößern und verkleinern und in allen Dimensionen drehen.

Der Virtobot sah, außer dem Ring, durch den der Körper gefahren wurde, wie ein Roboterarm in einer modernen Fertigungsstätte für Autos aus. An seinem Ende ließen sich verschiedene Geräte befestigen, die der Virtobot sich selbst aus einem Arsenal holte. Das waren zum Beispiel unterschiedliche Kameras, die einen Oberflächenscan ausführten und somit äußere Verletzungen dokumentierten, aber auch die Grundlage für Körpermessungen darstellte. Mit stattdessen dort angebrachten Spritzen und Kanülen entnahm der Roboterarm darüber hinaus noch Gewebeproben und Körperflüssigkeiten, sodass sowohl eine Biopsie als auch eine toxikologische Untersuchung von dem Computer selbständig durchgeführt werden konnten.

Sonja war versucht zu erwähnen, dass die Leiche des Pfarrers ein oder zwei Tage zu früh bei ihr auf dem Tisch gelegen hatte, biss sich aber noch rechtzeitig auf die Lippen. Es wäre unsensibel und morbide gewesen, so über den Zeitpunkt des Todes eines Menschen zu sprechen. Sie erwischte sich dabei, dass sie insgeheim kurz die Hoffnung hatte, eine neue Leiche würde nicht lange auf sich warten lassen.

Bereits vor mehr als einem Monat, nachdem die Bestellung für die Gerätschaften losgeschickt worden war, hatte sie eine zweiwöchige Ausbildung in der Schweiz absolviert. Das Gerät war derart komplex, dass die Handhabung nicht selbsterklärend war. Nun wollte sie so schnell wie möglich auch an einer echten Leiche ausprobieren, was sie bisher nur in der Theorie kannte.

»Du hoffst, bald wieder eine Leiche zu bekommen, damit du das Gerät testen kannst«, stellte Gregor nüchtern fest.

»O Gott«, schrak sie aus ihren Gedanken auf, »sieht man mir das so deutlich an?«

»Nein, das nicht, aber es ist eine logische Folgerung aus deiner Begeisterung und dem nachvollziehbaren Umstand, dass du es natürlich so bald wie möglich erproben willst.«

Sonja war erleichtert, denn es war ihr peinlich, dass ihre Gedanken in eine solche Richtung gegangen waren. Irgendwann nach dem Essen, als sie bei einem Espresso im Wohnzimmer saßen, ging ihr der Gesprächsstoff zu ihrer neuesten Errungenschaft aus, und ihre Gedanken wanderten für einen Augenblick. Dabei fiel ihr siedend heiß ein, dass es ja noch eine weitere Nachricht gab, die sie Gregor unbedingt mitteilen wollte.

»Ach ja, das hab ich ganz vergessen, dir zu erzählen. Der Makler hat heute angerufen und gefragt, wann wir uns das Haus ansehen können, dass er für uns gefunden hat.«

Das war eine gute Nachricht und sie sah, dass Gregor freudige Überraschung simulierte, weil er wusste, dass sie genau das erwartete. Dennoch freute sie sich, denn sie wusste, er würde niemals eine Empfindung vortäuschen, die dem widersprach, was seine grundsätzliche Einstellung zu einem Thema war. Er wollte, dass sie zusammen in ein Haus umzogen, also simulierte er Freude über einen möglichen Erfolg ihres gemeinsamen Plans.

»Wir haben morgen einen sehr ausgefüllten Tag, deshalb weiß ich noch nicht, ob ich die Zeit dafür finde. Ich rufe dich an, wenn ich ein Zeitfenster sehe.«

Das reichte Sonja derzeit als Antwort und sie stellte die Tasse auf den Couchtisch. Dann setzte sie sich zu Gregor und begann, in der Hoffnung auf mehr, mit ihm zu kuscheln - zu ihrer Freude wurden ihre Hoffnungen nicht enttäuscht.

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