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Kapitel 11
ОглавлениеPünktlich um 08:00 Uhr trafen die beiden Dienstwagen vor dem Pfarrhaus ein. Zusätzlich zu den beiden Teams Irina und Jenny, sowie Mutti und Schmuddel, waren noch zwei Streifenwagenbesatzungen erschienen, von denen eine bei der Durchsuchung unterstützen sollte und die Zweite für die Außensicherung des Gebäudes zuständig war. Sie hatten dafür zu sorgen, dass allzu neugierige Pressevertreter oder Nachbarn auf Abstand gehalten wurden.
Bereits am Abend zuvor hatte Gregor einen Anruf ihres Chefs, Dr. Lohmeyer, bekommen, der ihn nochmals daran erinnert hatte, wie sensibel das Thema eines Mordes im Umfeld der Kirche war und wie hoch das Medieninteresse daran sein würde, sobald auch nur das kleinste Detail der Tatumstände an die Öffentlichkeit dringen würde. Bislang war es noch gelungen, die Presse über die grausigen Umstände des Todes von Pfarrer Bock im Dunkel zu halten.
Gregor hatte direkt nach dem Gespräch mit Lohmeyer per SMS alle Teammitglieder davon in Kenntnis gesetzt und sie nochmals ausdrücklich um absolute Verschwiegenheit gebeten.
Das Pfarrhaus war ein kleines Fachwerkhaus direkt gegenüber der Kirche, an das ein moderner Flachbau angebaut war, der durch ein großes Schild als »Altenbegegnungsstätte« ausgewiesen wurde.
Mutti hatte wie selbstverständlich die Führung übernommen und läutete an der Eingangstür. Schmuddel hielt sich direkt hinter ihr, während Irina und Jenny ein paar Schritte weiter weg warteten. Da Mutti den Auftrag hatte, die Haushälterin zu vernehmen, war sie es auch, die ihr den Durchsuchungsbeschluss für das Pfarrhaus eröffnen musste und sie dann so schonend wie möglich auf die Maßnahme vorbereiten sollte.
»Hast du schon mal bei einem Geistlichen eine Durchsuchung durchgeführt?«, fragte Irina leise ihre Lebensgefährtin. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Ihre religiöse Erziehung war russisch-orthodox gewesen und sie empfand sich selbst als gläubig. Dabei war sie sich nicht sicher, ob ihr Glaube mehr auf der Erziehung beruhte oder sie wirklich im tiefsten Inneren glaubte. Sie hatte sich lange unwohl gefühlt, als sie erkannte, dass ihre sexuelle Präferenz bei Frauen lag. Mittlerweile vermutete sie, dass ihr Glaube durch den Realismus des Lebens abgeschwächt worden war.
»Nein, hab ich noch nicht«, antwortete Jenny und riss sie dadurch aus ihren Gedanken.
Irina kehrte wieder in die Realität zurück. »Ist dir nicht unwohl bei dem Gedanken, in dem Privatleben eines Geistlichen zu wühlen?«
Jenny schien in sich hineinzuhorchen und ihre wirklichen Empfindungen zu suchen.
»Wenn ich ehrlich bin ... eigentlich nicht. Ich bin nicht wirklich religiös, wie du weißt, und wenn ich so die Presseberichte der letzten Jahre über die Kirche bedenke, sehe ich auch keinen echten Grund dafür.«
Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern und sah Irina dann sorgenvoll von der Seite an. »Aber dir scheint es nicht so richtig gut damit zu gehen, oder?«
Irina überlegte, ob das der richtige Moment war, Jenny über ihre religiösen Probleme zu berichten. Sie entschloss sich dazu, zumindest einen Teil des Problems offenzulegen. Sie standen noch immer auf dem Bürgersteig vor dem Haus, während Mutti die Haushälterin des Opfers auf das vorbereitete, was gleich geschehen würde.
»Ich bin in dem Glauben erzogen worden, dass Geistliche gute Menschen seien. Bis heute habe ich nur darüber gelesen, dass das nicht immer der Fall ist und ...«, sie machte eine Pause, »ich denke, ich habe Angst davor, heute zum ersten Mal persönlich bestätigt zu bekommen, wie wenig sich Geistliche von allen anderen Menschen unterscheiden.«
»Wäre das denn so schlimm?«, warf Jenny überrascht die Frage auf.
Irina machte ein säuerliches Gesicht, da sie bemerkte, dass die Diskussion über dieses Thema ein abendfüllendes Programm ergeben würde. Jetzt und hier waren aber weder der Ort noch die Zeit, dies alles zu besprechen.
»Lass uns das ein andermal vertiefen. Ich glaube, wir können jetzt rein, Mutti scheint der Haushälterin alles so weit erklärt zu haben.«
Ihr war klar, Jenny würde es nicht auf sich beruhen lassen, sondern das Thema bei der nächstbesten Gelegenheit wieder aufgreifen würde. Aber grundsätzlich war es ja genau das, was sie an ihrer Freundin liebte: Offenheit, Ehrlichkeit und keine Angst davor, auch heikle Sachverhalte bis ins kleinste Detail auszudiskutieren.
Gemeinsam näherten sie sich mit zwei Uniformierten, einer jungen Kollegin und einem älteren Kollegen, der Eingangstür. Im direkt hinter der Tür liegenden Vorraum übernahm Jenny, die schon länger als Irina bei der MK II war, wie selbstverständlich die Führung.
»Okay, ich schlage vor, wir teilen uns auf. Wer von euch kann besser zeichnen?«, richtete sie die Frage an die beiden Uniformierten. Die beiden sahen sich kurz an, und es wurde sofort klar, dass sie nicht das erste Mal bei einer Durchsuchung unterstützten.
»Das mit der Grundrisszeichnung übernehme ich«, erklärte sich die junge Beamtin sofort bereit.
Irina war sich sicher, dass sie wusste, worauf es ankam. Sie sollte weder eine technische Zeichnung noch einen Grundriss wie vom Architekten erstellen, lediglich eine Zeichnung, auf der für jedes Stockwerk ersichtlich war, welches Zimmer wo lag oder an welchen andern Raum angrenzte.
In diesem groben Plan würden alle Zimmer eine fortlaufende Nummer erhalten. Dann konnten alle eventuellen Funde mit einer eindeutigen Nummer versehen und in dem Plan eingezeichnet werden.
»Gut, danke«, fuhr Jenny fort, der beide Kollegen namentlich bekannt waren, »Sei du bitte so gut, Horst, nimm dir den Keller vor, ich fange im Erdgeschoss an und du, Irina, nimmst dir das Obergeschoss vor. Ich denke mal, wir werden vor keine unlösbare Aufgabe gestellt, so groß ist das Haus ja schließlich nicht.«
Bevor sie jedoch mit der eigentlichen Durchsuchung begannen, gingen sie alle Räumlichkeiten des Pfarrhauses ab, um sich gemeinsam einen Überblick zu verschaffen.
Das Erdgeschoss wies vier Räume auf, die unschwer als die Domäne der Haushälterin zu erkennen waren: Eine Küche, ein Esszimmer, einen Schlafraum und ein kleines Bad. Über eine sehr steile und schmale Treppe ging es in das Obergeschoss, wo das Schlafzimmer des Pfarrers, sein Büro sowie sein Badezimmer beheimatet waren.
Da sie unten begonnen hatten, trennten sie sich im Obergeschoss auf, ließen also Irina dort zunächst allein zurück. Vorher wies Jenny alle an, sich sofort zu melden, wenn sie etwas von Wichtigkeit finden würden.
Dabei hatte sie allerdings nicht gesagt, was in ihren Augen ›von Wichtigkeit‹ sein könnte, dachte Irina.
Als sie alleine war, fiel es ihr erstmals schwer, sich zu entscheiden, wo sie anfangen sollte.
Sie entschied sich dafür, zunächst in dem kleinen Büro mit ihrer Suche zu beginnen. Der zierliche Schreibtisch schien ordentlich und aufgeräumt zu sein, und zu ihrer Überraschung waren alle Schubladen unverschlossen. Sie wühlte in den darin gelagerten Papieren und konnte nichts entdecken, was ihr verdächtig oder ungewöhnlich vorkam. Überwiegend handelte es sich um kirchliche Unterlagen, Entwürfe von Predigten, Bibelstellen, Liedvorschläge für die verschiedenen Messen, Namenslisten von Kommunionkindern und Katecheten, Protokolle von Sitzungen des Pfarrgemeinderates und so weiter. Alles erschien ihr ohne großen Belang über das Berufliche hinaus zu sein. Nichts davon schien auch nur einen entfernten Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang mit dem Ableben des Pfarrers zu enthalten. Dennoch versuchte sie sich zu merken, welche Unterlagen hier gelagert wurden, um zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht darauf zurückgreifen zu können.
In einer anderen Schublade fand sie persönliche Dinge: Mitgliedsausweis des Tennisvereins, Beitragsquittungen und ... Bankunterlagen und Kontoauszüge!
Bereits ein kurzer Blick in die Kontounterlagen war enttäuschend. Keine außergewöhnlichen Kontobewegungen, keine großen Summen. Dennoch legte sie zwei Stapel Auszüge beiseite, um sie später ordentlich einzutüten.
Insgesamt erschienen ihr die Schubladen eher unergiebig.
Den mitten auf dem Schreibtisch stehenden Laptop hatte sie bisher ungeprüft gelassen. Nun klappte sie ihn auf und schaltete ihn ein. Dazu setzte sie sich auf den bequemen Bürodrehstuhl und wartete geduldig, dass der Rechner startete und das Betriebssystem hochfuhr. Ihre Befürchtung bestätigte sich, als der Startprozess abgeschlossen war und das Betriebssystem die Eingabe eines Passworts verlangte.
Na toll! Wieder mal was für Schmuddel. Hoffentlich bekommt er das Passwort geknackt.
Sie klappte den Laptop wieder zu und nahm sich vor, ihn mitzunehmen und später Schmuddel auszuhändigen.
An einer Seite des kleinen Büros befand sich noch eine Bücherwand. Da es keine anderen zu durchsuchender Behältnisse gab, sie in der folgenden Viertelstunde jedes Buch aus dem Regal und sah nach, ob eventuell darin oder dahinter etwas versteckt war. Frustriert schob sie zum Ende ihrer Durchsicht das letzte Buch wieder hinein, legte die Kontoauszüge auf den Laptop und wandte sich dem nächsten Zimmer zu - dem Schlafraum des Pfarrers.
Ihr erster Eindruck war, dass dieser Raum einen unordentlichen und ungepflegten Eindruck machte. Warum ist das wohl so? Wofür hat er eine Haushälterin, die doch für Ordnung und Sauberkeit sorgen sollte?, fragte sie sich verwundert. Das Zimmer enthielt nichts außer einem recht großen Bett, einem Kleiderschrank und einem Nachttisch neben dem Kopfende des Bettes. Der Boden des Zimmers bestand aus alten Dielen, auf denen ein billiger und abgewetzter Teppich lag.
Das Bett war zwar gemacht, aber es sah nicht so aus, als habe es jemand gemacht, der das gut konnte.
Wenn das die Haushälterin war, ist sie keinen Cent ihres Gehalts wert. Oder aber – ihr schoss ein Gedanke durch den Kopf. Was, wenn die Haushälterin nicht nur dieses Bett nicht gemacht hatte, sondern es sogar gar nicht machen durfte? Was, wenn der Pfarrer ihr verboten hatte, dieses Zimmer zu betreten? Das gesamte Erscheinungsbild des Raumes sprach dafür.
Das wiederum weckte die Hoffnung, dass sie hier eher etwas finden würde, als in jedem anderen Raum des Hauses. Natürlich ... wenn ich etwas verstecken wollte, bestand aufgrund der Haushälterin überall die Gefahr, sie könnte etwas beim Saubermachen entdecken, selbst ohne gezielt danach auf die Suche zu gehen.
Irina nahm sich vor, dieses Zimmer mit besonderer Sorgfalt zu durchsuchen.
Der Kleiderschrank erbrachte nichts, aber der Nachttisch erwies sich als Schatzkammer ... wenn man es denn so bezeichnen wollte. Bereits in der Schublade entdeckte Irina Visitenkarten verschiedener Hostessenservices und spezieller Damen des ältesten Gewerbes der Welt. Hierbei handelte es sich allerdings um sehr spezielle Damen. In der Hand hielt sie verschiedene Karten mit dunkler Grundfarbe und roter oder violetter Schrift und jeweils dem Bild einer ›Dame‹, die sich als ›Madame eXtreme‹, ›Frau Dr. SeX‹ und ›Chantalle brutal‹ selbst anpriesen. Irina legte die Karten oben auf den Nachttisch. Ansonsten enthielt die Schublade Ölfläschchen, Tempotaschentücher und ... hochglanzpolierte, metallenen Wäscheklammern ähnelnde Dinger mit feinen Ketten daran.
Sie war sich aufgrund ihrer früheren Tätigkeit bei der Sitte, von der sie zur MK II gewechselt war, darüber im Klaren, was diese Utensilien bedeuteten.
Es hätte des Stapels von Pornoheften im unteren Teil des Nachttisches nicht bedurft, um ihr klarzumachen, dass der Pfarrer eine sexuelle Vorliebe für Dominas, Bondage, also Fesselungsspiele, und diverse andere Praktiken des als Sado-Maso bezeichneten Bereichs der Sexualpraktiken gepflegt hatte. Ihre Gefühle wechselten zwischen Zufriedenheit darüber, etwas gefunden zu haben, und Enttäuschung, dass Geistliche eben doch nur Menschen wie alle anderen waren. Sie mochte sich nicht vorstellen, dass Pfarrer Bock die Köpfe von Kommunionkindern mit Händen gestreichelt hatte, die des Nachts ganz anderen Tätigkeiten nachgingen.
Angewidert legte sie den Stapel Hefte auf das so schlecht gemachte Bett.
Das Bett! Irina fiel ein, dass sie es auch noch einer genaueren Untersuchung unterziehen musste. Also legte sie die Hefte auf den Nachttisch und begann, das Bett auseinanderzunehmen. Bereits vor Beginn der Durchsuchung hatte sie dünne, weiße Stoffhandschuhe angezogen, die sie den Latex-Chirurgenhandschuhen vorzog, die viele Kollegen bei Durchsuchungen anzogen. Sie hasste es, wenn sie nach einer zweistündigen Durchsuchung Waschhaut an den Fingern hatte. Mit ihren Handschuhen hatte sie keine Probleme, in fremden Betten zu wühlen, eklige Taschentücher einzutüten oder in Ritzen zu fühlen, ohne zu wissen, was sie darin ertasten könnte.
Sie zog die Bettdecke ab, tastete das Innenleben ab und warf beides danach im hohen Bogen in eine Ecke des Zimmers. Dann zog sie den Bettbezug ab und untersuchte die Matratze. Zunächst hob sie das ziemlich durchgelegene und von Flecken zweifelhafter Herkunft übersäte Teil an einer Ecke an und schaute darunter. Es befand sich kein Lattenrost unter der Matratze, sondern ein aus Drähten und Sprungfedern bestehendes Geflecht, wie sie es sonst nur noch aus Besuchen in der Heimat ihrer Eltern in Russland kannte.
Hier war es unmöglich etwas zu verstecken, denn man konnte durch das Drahtgeflecht bis auf den von zahllosen Staubflusen bedeckten Boden sehen.
Verdammt! Enttäuscht warf sie die Matratze über das Bett hinaus, so dass sie mit der Unterseite nach oben hinter dem Bettrahmen liegenblieb.
Erst jetzt fiel ihr an der Unterseite der Matratze etwas auf, was dort nicht hinzugehören schien. Was sollte ein Reißverschluss quer über den unteren Teil für einen Sinn haben?
Irina ging um das Bett herum und betrachtete den Reißverschluss. Er war von jemandem eingenäht worden, der das Nähen nicht wirklich beherrscht hatte. Ohne zu zögern, zog sie ihn auf ... und verstand zunächst nicht, was sie dort sah. In einer Aushöhlung, die in die Matratze geschnitten war, lag ein kleines Paket in der Größe von zwei oder drei Taschenbüchern, das so dick in Klarsichtfolie eingewickelt war, dass der Inhalt nicht erkennbar war. Sie entnahm das Päckchen seinem Versteck und wickelte es vorsichtig aus.
Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und sie stieß einen überraschten Pfiff aus, als sie entdeckte, was ihr beim Auspacken entgegenfiel: Es handelte sich um mehrere dicke Bündel Geldscheine.