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2.Andere juristische Personen als funktionelle Auftraggeber

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Da der Staat sich zur Wahrnehmung seiner Aufgaben zunehmend privatrechtlicher Organisationsformen bedient, muss der Auftraggeberbegriff dieser Erscheinung Rechnung tragen, um eine Flucht des Staates in das Privatrecht zu verhindern. So umfasst der Kreis der öffentlichen Auftraggeber gem. § 99 Nr. 2 GWB alle juristischen Personen sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck der Erfüllung von nichtgewerblichen Aufgaben im Allgemeininteresse gegründet worden sind und die durch die öffentliche Hand aufgrund von Beteiligungen oder überwiegender Finanzierung beherrscht werden (sog. funktionelle Auftraggeber).

Praxistipp: Bei der Einordnung bestimmter Rechtssubjekte unter den Begriff des öffentlichen Auftraggebers kann der Anhang III der Vergabekoordinierungsrichtlinie zur Hilfe genommen werden, der eine Auflistung der in Deutschland zur Anwendung des Vergaberechts verpflichteten Rechtssubjekte bereithält.

Da diese Auflistung nicht abschließend ist, ist eine Definition der Rechtsbegriffe des Allgemeininteresses sowie der nichtgewerblichen Art notwendig.

Ausgehend von den Richtlinien wird der Begriff „Allgemeininteresse funktionell verstanden. Hiernach sind Einrichtungen – ungeachtet der Rechtsform – im Allgemeininteresse tätig, wenn sie nach ihrer rechtlichen Zweckbestimmung Aufgaben im gesamtgesellschaftlichen Interesse wahrnehmen. Hierzu sind Satzungen, Verordnungen, die Gründungsakte u. Ä. heranzuziehen. Dem Europäischen Gerichtshof zufolge kommt es darauf an, dass die Einrichtung Aufgaben wahrnimmt, die sie als besondere Pflicht zu erfüllen hat und die eng mit dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft sind63, also staatliche Aufgaben, die als „angeboren“, „ursprünglich“ bzw. „echt“ zu bezeichnen sind.64 Die Definition bezieht sich damit auf Aufgaben, die auf andere Art als durch Angebot von Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt erfüllt werden und die hoheitliche Befugnisse bzw. die Wahrnehmung der Belange des Staats und damit letztlich Themen betreffen, die der Staat aus Gründen des allgemeinen Wohles selbst erfüllen oder bei deren Erfüllung er entscheidenden Einfluss behalten möchte65 – die zu bewältigende Aufgabe also nicht im privaten Interesse Einzelner liegt. Dabei ist unbeachtlich, dass derartige Aufgaben auch von Privaten erfüllt werden oder erfüllt werden können. Hiernach wurden z. B. die Herstellung von Reisepässen und Personalausweisen, das Abholen und Behandeln von Hausmüll, der Betrieb einer Universität, Tätigkeiten im Bereich des sozialen Wohnungsbaus sowie Tätigkeiten einer privatrechtlichen Gesellschaft im Rahmen eines Stadtentwicklungsprojekts als Sachverhalte qualifiziert, die grundsätzlich dem Interesse der Allgemeinheit dienen.66

Das Merkmal der Nichtgewerblichkeit der Aufgabenwahrnehmung dient der Einschränkung des Begriffes der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe. Eine Aufgabe ist häufig dann nichtgewerblicher Art, wenn mit ihrer Erfüllung keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt wird. Allerdings ist zu beachten, dass die Gewinnerzielungsabsicht allein die Nichtgewerblichkeit nicht ausschließt. Sie ist aber ein gewichtiges Indiz für die Gewerblichkeit des Handelns. Immer ist die Frage zu stellen, ob das Unternehmen ebenso wie ein Privatunternehmen dem Druck des Wettbewerbs standzuhalten hat oder über eine staatlich herbeigeführte marktbezogene Sonderstellung verfügt. Der EuGH fragt danach, ob das Unternehmen Gewinne zu erzielen beabsichtigt, unter normalen Marktbedingungen agiert und das Verlustrisiko selbst trägt. Liegen diese Kriterien vor, spricht dies für eine Gewerblichkeit der Aufgaben.

Weiterhin erforderlich ist eine gewisse Staatsnähe der juristischen Person, die sich aus einer überwiegenden Finanzierung durch die öffentliche Hand und deren Beteiligungen oder aus der Reichweite der staatlichen Aufsicht – etwa durch die Satzung und den Gesellschaftsvertrag oder die tatsächliche Besetzung ihrer Organe und Gremien67 – ergeben kann. Nur im Fall eines solchen öffentlichen Beherrschungsverhältnisses i. S. einer qualifizierten staatlichen Einflussnahmemöglichkeit kann es sich um einen öffentlichen Auftraggeber gem. § 99 Nr. 2 GWB handeln.

Fall 6:Wohnungsbau im Zwielicht

Sachverhalt:

Die Wohnungsbau GmbH ist eine 100 %-ige kommunale Gesellschaft in einer Großstadt. Sie wurde ursprünglich gegründet, um Sozialwohnungen zu errichten und zu bewirtschaften. Die GmbH beabsichtigt den Neubau eines Wohnparks „Wohnen im Sonnenschein“ mit höherwertigen Eigentumswohnungen in einer gelockerten Bauweise. Sie schreibt die Planungsleistungen trotz der Überschreitung des maßgeblichen Schwellenwerts nicht EU-weit aus, sondern schließt einen Architektenvertrag mit Büro „Immer bereit“. Der Architekt Argus leitet ein Nachprüfungsverfahren ein und beantragt die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages wegen der Nichtbeachtung der Ausschreibungspflicht. Mit Erfolg?

Lösung:

Ob eine EU-weite Ausschreibungspflicht besteht, hängt davon ab, ob die Wohnungsbau GmbH in den subjektiven Anwendungsbereich des GWB fällt. Sie ist zwar privatrechtlich organisiert, ihre Geschäftsanteile hält aber allein die Kommune, die ein klassischer öffentlicher Auftraggeber ist. Nach § 99 Nr. 2 GWB kommt es deswegen darauf an, ob die GmbH als juristische Person (nicht etwa nur bei dem konkreten Bauvorhaben) bei wertender Betrachtung ausschließlich oder jedenfalls teilweise dem Zweck dient, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Der GmbH obliegt, auch wenn sie mit dem konkreten Bauvorhaben ein anderes Ziel verfolgt, zumindest auch der soziale Wohnungsbau und das Anbieten von Sozialwohnungen; diese Aufgaben liegen im Allgemeininteresse. Die vorbeschriebene Tätigkeit erfolgt zwar in einem gewerblichen Umfeld, es gibt auch private Wohnungsbaugesellschaften. Die GmbH arbeitet nach privatwirtschaftlichen Prinzipien; daran ändert es nichts, dass sie etwaige Gewinne u. U. an ihre Gesellschafterin abführen muss. Das spricht gegen eine Stellung als öffentlicher Auftraggeber. Jedoch unterliegt die GmbH im Unterschied zu typischen Marktteilnehmern keinem realen Insolvenzrisiko. Häufig existiert sogar schon eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag. Selbst wenn eine Einstandsverpflichtung nicht vertraglich geregelt ist, spricht vieles dafür, dass die Stadt als alleinige Gesellschafterin bei drohender Insolvenz finanziell einspringt, um ihr Instrument für die Realisierung einer sozialverträglichen Wohnungspolitik nicht zu verlieren. Dem steht auch nicht entgegen, wenn aktuell das Insolvenzrisiko der GmbH gering sein sollte, denn die Insolvenzfestigkeit verschafft ihr eine atypische, nicht gewerbliche Marktstellung als Nachfrager von Bau- und Planungs- oder Finanzleistungen. Bei wertender Betrachtung ist sie der öffentlichen Hand zuzurechnen und muss deswegen das Vergaberecht beachten.

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