Читать книгу Johann Heinrich Pestalozzi "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" - Dieter-Jürgen Löwisch - Страница 10

Eigentum–Besitzstand

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Sein Zweck und sein Recht muß ebenfalls von meiner Selbstsorge ausgehen und mich zur Befriedigung meiner selbst in meinen nächsten Verhältnissen hinführen. Aber der gesellschaftliche Mensch genießt dieses Recht und erkennt diesen Zweck nicht; im Gegenteil, das Eigentum ist in seiner Hand Pandorens Büchse geworden, aus der alle Übel der Erde entsprungen. Es ist durch die Nahrung, die es der Selbstsucht unserer tierischen Natur gibt, das große Hindernis des gesellschaftlichen Zwecks geworden und hat den Menschen bald allgemein dahin gebracht, daß er dasselbe entweder wie ein beladener Esel auf wundem Rücken herumträgt oder wie ein spielendes Kind als ein nichtiges Ding versplittert.

Eine ursprüngliche Rechtmäßigkeit des Besitzstandes oder eine Möglichkeit, den ursprünglich rechtmäßigen von dem ursprünglich unrechtmäßigen Besitzstand zu sondern, vermag ich mir nicht zu denken.

Der Besitzstand ist geheiliget, weil wir gesellschaftlich vereiniget sind – und wir sind gesellschaftlich vereiniget, weil der Besitzstand geheiliget ist. Welchen Ursprung er auch immer gehabt habe, das geht uns weiter nichts an, wir müssen ihn respektieren, weil er ist und größtenteils wie er ist, oder unsere Bande alle auflösen. – Aber wie er gebraucht wird und wie er gebraucht werden dürfe, das geht uns unendlich viel an. Je größer das gesellschaftliche Eigentum, je mehr ist es mit den Rechten vieler anderer, die auf nähere oder entferntere Art daran Teil haben, belastet, und kann folglich dem Zweck der gesellschaftlichen Vereinigung nur in soweit ein Genüge leisten, als die an demselben teilnehmenden Mitnutznießer derselben, in ihren Rechten gesichert, sich durch dasselbe einen befriedigenden Ersatz ihrer Naturrechte verschaffen können. Die Beschränkung der Nutznießung des Eigentums muß daher nach dem Grad seiner Ausdehnung immer steigen, und nach dem Grad seiner Einschränkung muß die Nutznießung immer abnehmen. Die Natur führt uns allgemein auf diese Bahn. Der Mann mit beschränktem Vermögen zieht, mit gleicher Tätigkeit und mit gleichen Kenntnissen, Nutzen aus denselben, dem sich der große Reichtum nie nähern kann.

Auch ruhet dieser Grundsatz ganz und gar nicht auf willkürlichen Voraussetzungen, sondern auf der Natur der gesellschaftlichen Rechtmäßigkeit des Besitzstands selber. Wann dieser nicht als der fortdauernde Genuß aller Folgen meiner bloß tierischen Kraft soll angesehen werden, so muß seine Benutzung notwendig so weit in gesetzliche Schranken gelenkt werden, daß es dem untergeordneten Nutznießer des großen Besitzstands immer möglich bleibt, im gesellschaftlichen Zustand durch diese Nutznießung diejenige Befriedigung zu finden, um deren willen er das bürgerliche Joch beruhiget am Halse trägt. Hier schlägt also natürlich die Frage ein: Was ist in einem Staat das Verhältnis der Eigentümer gegen die Nichteigentümer, des Besitzstandes gegen die Menschen, die keinen Teil an der Welt haben? – Gehört diesen unseren Mitmenschen, die, mit gleichen Naturrechten wie wir geboren, uns, den Besitzern der Erde, mit gleichen Ansprüchen ins Angesicht sehen – gehört diesen Staatsbürgern, die jede Last der gesellschaftlichen Vereinigung siebenfach tragen, keine ihre Natur befriedigende Stellung in unserer Mitte? – Fürchtet euch nicht, Besitzer der Erde – es ist hierin wahrlich mehr um Grundsätze als um Almosen, mehr um Rechtsgefühl als um Spitäler – mehr um Selbstständigkeit als um Gnaden zu tun. –

Aber wenn ich frage: Kennst du, Welt, diesen Grundsatz, findet der Mensch, der keinen Teil an der Welt hat, in den bestehenden Einrichtungen der Staaten einen wirklichen Ersatz aller Naturansprüche, findet er in denselben sichere Bildung und Mittel, sich dieselbe verschaffen zu können?

Wann ich das und dergleichen frage, so kann ich mir nicht verhehlen: das erleuchtete Jahrhundert kennt diesen Grundsatz nicht – je aufgeklärter unsre Zeiten werden, je weniger lassen die Staaten solche Fragen an sich kommen. Unsere Gesetzgebungen haben sich zu einer solchen Höhe geschwungen, daß es ihnen unmöglich ist, an den Menschen zu denken. – Sie besorgen den Staat und machen alle Kronen glänzend – indessen ist der, so keinen Teil an der Welt hat, zum voraus von ihnen vergessen – man steckt ihn aber unter das Militär oder erlaubt ihm, sich selber darunter zu stecken. – Zu Zeiten macht man auch eine Lotterie, darin jeder sein Glück mit wenigen Kreuzern probieren kann.

Gewiß ist es, daß der große Besitzstand in der Welt nicht einmal in einem realen Verhältnis mit dem kleinen belastet ist und daß man die Reichen ihre Fonds täglich mehr auf eine Art anhäufen läßt, die die Welt mit elenden, tief verdorbenen Menschen voll macht. Auch das ist wahr, wenn die Folgen dieses Volksverderbens sichtbar werden, so wirft man immer mehr die Schuld auf diejenigen, die verdorben worden sind, und nicht auf diejenigen, die verdorben haben und immer fortfahren, mit ihrem Vorteil tausend Umstände zu veranstalten, unter welchen das Volk notwendig schlecht werden muß. Man sieht ihnen nach, im Gefühl dessen, was sie sich unterstehen dürfen, werfen sie ein beati possidentes zu ihrer Rechtfertigung hin – und schicken die andern mit einem habeant sibi vor die Türe.

Johann Heinrich Pestalozzi

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