Читать книгу Johann Heinrich Pestalozzi "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" - Dieter-Jürgen Löwisch - Страница 23
Wohlwollen
ОглавлениеHarmlose Behaglichkeit ist die Mutter meines bloß tierischen Wohlwollens. Du findest dasselbe beim unmündigen Kind und beim behaglichen Wilden wie beim Hirten, der seine Weiden nicht verzinset und mit seinen Nachbarn nicht market, du findest es allenthalben, wo der Sinnengenuß des Menschen erquickend und leicht ist.
Aber so wie es Anstrengung erfordert, so wie er durch Sorgen und Angst unterbrochen, so wie er mit Gefahr und Kränkung begleitet ist, so wie meine tierische Natur keine harmlose Befriedigung mehr findet, also mindert sich dieses Wohlwollen in derselben. So wie das Kind das Übel empfindet, so wie es weint, so wie es leidet und mangelt, also mindert sich bei ihm diese tierische Quelle des Wohlwollens, seine Harmlosigkeit. Also auch beim Wilden, so wie ihm Behaglichkeit mangelt, so wie seine Sonne nicht mild ist, so wie er sich des vergangenen Übels erinnert, das zukünftige fürchtet und vom gegenwärtigen leidet, also mindert sich sein Wohlwollen.
Da, wo seine Haut vom Frost erstarrt und er beschneites Moos mit seinem magern Rentier teilt, da wird er falsch und hart wie der Bauer, der den unbezahlten Pflug auf rohem Land treibt, und der mühselig lebende Bürger. Auch der Hirt, wenn er hinter magerm Vieh auf dürren Heiden flucht und jeden Zuber Milch hinter Schloß und Riegel verwahrt, ist ohne dieses Wohlwollen. Es verliert sich allenthalben da, wo der Sinnengenuß meiner Natur für mein Geschlecht mühsam ist und Anstrengung fordert: und dieses ist bald auf der ganzen weiten Erde der Fall, nur selten gönnt ein ewiger Frühling den flötenden Hirten einen immerwährenden Scherz mit seinen Herden und mit seinem Geschlecht.
Aber es ist für den gesellschaftlichen Menschen wirklich gut, daß es so ist, das Menschengeschlecht bildet sich durch eben die Hemmungen, durch welche sein tierisches Wohlwollen verloren geht, und es ist für diese Ausbildung wesentlich wichtig, daß der Boden, den er baut, Geld kostet. Er soll sich freuen, wenn er für Weib und Kind Milch bekommt von der Kuh, die nicht sein ist, und Brot von dem Acker, den er für einen fremden Mann bauet. Demnach ist behagliche Wonne das allgemeine Ziel meines tierischen und meines gesellschaftlichen Daseins auf Erden.
Alle Kunst des Eigentums ist nichts anders als das Streben meines Geschlechts, die Behaglichkeit auf den Fleck zusammen zu bringen, auf dem ein jeder lebt.
Alle Kunst des Staats ist nichts anders als das Streben meines Geschlechts, die Behaglichkeit der ganzen Erde auf den Fleck zusammen zu bringen, auf welchem die Menschen leben, für die er sorgt.
Der Mensch setzt, so wie ihm dies gelingt, sich selbst in eben die Lage, in welcher der harmlose Südländer die Gutmütigkeit mit sich ins Grab trägt, die die belasteten Völker nur mit sich auf die Welt bringen, und der Staat tut, in soweit er seine Bürger in eine harmlose Lage setzt, in Rücksicht auf diejenigen, die er also setzt, die nämliche Sache. Das Wohlwollen der Paläste ist daher im allgemeinen nichts anders als die Wirkung einer solchen Südseeluft und einer solchen Südseefülle.
Zürnet nicht, gute Töchter von Menschen, deren Amtleute hart sind, wenn ich die Liebe zu eurem Papagei und zu eurer Tante für nichts anders erkläre! Wenn ihr mitten in Genüssen, die auf dem Unrecht vollendeter Staatsverhärtung ruhen, wie die schuldlosen Südländerinnen empfindet, so ist euer Wohlwollen nichts anders als der Selbstbetrug der tierischen Neigung zur harmlosen Behaglichkeit, die auch den rohesten Mann dahin bringt, daß es ihm lieb ist, wenn ohne seinen Abbruch andere Leute essen, trinken und schlafen können.
Diese Neigung zur Behaglichkeit ist die allgemeine Triebfeder unsers tierischen Daseins. Du dankest ihr deine Betriebsamkeit, aber wenn du aus Unbetriebsamkeit verfaulest, so geschiehet es aus gleicher Neigung. Um ihretwillen bist du barmherzig, aber auch um ihretwillen zerfleischest du unser Geschlecht. Um ihretwillen fronest du der Meinung des Volks, aber auch um ihretwillen höhnest du das Urteil deines Geschlechts. Um ihretwillen bauest du der Ehre Altäre, und um ihretwillen gründest du den Sitz der Thronen auf die Ehrlosigkeit des Menschengeschlechts. Um ihretwillen erscheinst du unter deinem Geschlecht gern als gepriesene Mutter der Gnaden, aber auch um ihretwillen zertrittst du das Recht deines Geschlechts. Sie ist es, die zum Heldensinn der Freiheit erhebt, aber sie ist es auch, was dich jedes Joch der Knechtschaft zu ertragen gewöhnt.