Читать книгу Johann Heinrich Pestalozzi "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" - Dieter-Jürgen Löwisch - Страница 11

Gesellschaftlicher Zustand

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Bis die Macht das Wort ausspricht, sie wolle, daß der gesellschaftliche Zustand als ein nur auf ihrer List, auf ihrer Gewalt und auf ihrem Glück ruhender Zustand angesehen werde, nimmt der Mensch allgemein an, sie wolle, daß dieser Zustand als gesellschaftlich rechtmäßig angesehen werde, und handelt auf der ganzen Erde, wie er ohne diese Voraussetzung nicht handeln würde und nicht handeln könnte.

Er legt mit der trägen Gutmütigkeit seiner sinnlichen Natur das Unrecht, aus welchem der Besitzstand und die bestehende Gewalt entsprungen sein mag, allenthalben gerne in ewige Vergessenheit und begnügt sich mit der schwankenden Hoffnung, daß das fernere Beieinanderwohnen der Staatsbürger vor Gewalttätigkeit und Unrecht gesichert werde. Sowohl das Eigentum als der gesellschaftliche Besitzstand wird durch den Anspruch an Rechtmäßigkeit etwas, das er vorher und in seinem Ursprung nicht war, nämlich ein auf einem stillen aber wahren Vertrag ruhender Besitzstand, dessen erste Bedingung ist, alles Unrecht ihres Ursprungs zu vergessen, aber dasselbe für die Zukunft unmöglich zu machen. Wenn es also schon wahr ist, daß die Staaten sich nicht durch einen gesellschaftlichen Vertrag gebildet, so ist dennoch auch wahr, daß die Menschen nicht ohne den Geist eines solchen Vertrags in der bürgerlichen Gesellschaft leben und daß Recht und Gerechtigkeit, auf welche alle Staaten ihre Einrichtungen zu gründen sich rühmen – nichts anders sind, als ein lautes Anerkennen des allgemeinen Bestehens eines solchen Vertrags, der ihre Verwalter zu dem Wesen desselben, zu Recht und Gerechtigkeit, als zu ihrer Pflicht, hinlenkt.

Indessen sagen die Erfahrungen aller Zeiten, daß der Mann am Platz jeden Verein zwischen sich und seinen Untergebenen zuerst zu seinen Gunsten motivieren, stilisieren, zu Zeiten auch radieren und variieren läßt und dann noch das wenige, was nach allen diesem den Untergebenen noch dienen könnte, als der Herrschaft lästige Eingriffe erklärt, die als bloße Gnadensachen gar nicht nach dem Buchstaben, sondern nach dem Befinden der Herrschaft erklärt werden müssen.

Allenthalben wendet der Mensch im Besitz der Macht alles mögliche an, um ohne wirkliche Anerkennung des Gesellschaftsrechts in der bürgerlichen Gesellschaft doch Meister zu sein. Die Ursachen davon liegen so tief in unserer tierischen Natur, daß wir uns darüber gar nicht verwundern sollen.

Alles gesellschaftliche Unrecht ist in seinem Wesen immer eine Folge des freien Spielraums, den meine tierische Natur im gesellschaftlichen Zustand – gegen den Zweck der gesellschaftlichen Vereinigung findet. Alle Maßregeln der gesellschaftlichen Ordnung sind daher nichts anders als gesellschaftliche Einrichtungen, diesen Spielraum meiner tierischen Natur zu Gunsten des gesellschaftlichen Zwecks einzuschränken; und der gesellschaftliche Vertrag selber ist nichts anders als der sichere Willen gesellschaftlich vereinter Menschen, der diese Einschränkung zu Gunsten des gesellschaftlichen Zwecks gebietet. Der Geist dieses Vertrags soll mich sichern, das nicht zu entbehren, was ich vermög meiner Natur im gesellschaftlichen Zustand immer wollen muß, und das nicht zu leiden, was ich in demselben nicht wollen kann.

Johann Heinrich Pestalozzi

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