Читать книгу Johann Heinrich Pestalozzi "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" - Dieter-Jürgen Löwisch - Страница 24

Liebe

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Wenn der Mensch in aller Gedankenlosigkeit seiner sinnlichen Natur sein Dasein an der Sonne verträumt und in allem Nebel des Tiersinns mit seinem schweifenden irrenden Wissen weit von sich weg fliegt, die Not der Seinen bricht ihm doch das Herz, er wirft die Afterkrone seines Wissens zu ihren Füßen und legt seiner Wirtschaft ob, ihr Leben zu retten.

Wenn vom ewigen Reiben des Eigentums seine Hand hart wird wie der Fuß des schwerfälligsten Tiers, das Sinnengefühl seiner tierischen Teilnehmung erhält ihm dennoch sein Herz noch weich. Der Mann, der an seinem Pult für die Ordnung eines Kreuzers unerbittlich ist, gibt dem Elenden unter seiner Türe ungezähltes Geld.

Wenn du im Besitz der Macht mit unermeßlichem Tiersinn den Nacken der Völker unter deinem Fuß fühlst, dieser Sinnengenuß hält dich zurück, daß du mit deiner Ferse weniger hart auftrittst auf den Nacken der liegenden Völker. Und wenn dir der Atem fast stille steht vor dem Gefühle der Ehre und du das Blut und den Hohn der Unschuld nicht achtest, damit ein Weichling dir lächle und tausend Narren deinen Namen nennen, dieses Sinnengefühl bringt dich zu dir selber: daß das Lächeln des Schwächlings dir den Mord der Unschuld und den Hohn des Elends weniger vergütet, und die Tausende, die deinen Namen kennen, dir nicht mehr wert sind, um ihretwillen mit dir selber im Streit und ein Schurke zu sein vor deinem eigenen innern Richter.

Das tut die Liebe in der Hülle des tierischen Wohlwollens, aus dem sie entkeimt. Noch ist sie nicht Liebe! – Sie ist es nur, wenn sie sich zum Göttersinn einer zuverlässigen Treue zu erheben vermag. Aber wo findest du diesen Göttersinn der zuverlässigen Treue? – Ich habe sie auf Erden gesucht und nirgend anders gefunden als gepfropft auf Gehorsam und Furcht. Zeitalter! ich danke es dir nicht, auch ich warf in deinen Fluten Zwang und Furcht als ein lästiges Gewand weg, wie deine Jünglinge alle. Die Nachwelt wird sie wieder suchen, die heilige Furcht und den frommen Gehorsam, auf dem so menschliche Früchte gedeihen.

Sie weilen nicht ewig auf dem Stamm, dem sie entkeimten. Wenn dem Menschen auf Weisheit gegründete Furcht und auf Liebe ruhender Gehorsam zur zweiten Natur geworden, so finden die gereiften Früchte an dem Stamm, dem sie entkeimet, keine Nahrung mehr, und das große Werk, das der Mensch in sich selbst erschafft, seine zuverlässige Treue, wird dann frei.

So allgemein das tierische Wohlwollen, so selten ist die Liebe. Wo du sie suchst, da findest du Untreue, und wo du einen Menschen treu glaubst, da findest du ihn kraftlos.

Aber der Trug des Wohlwollens und die Lügen seiner Schwächen sind noch verachtenswürdiger als die Kraft des lieblosen Mannes.

Die Armseligkeit des tierischen Wohlwollens untergräbt alle Fundamente des gesellschaftlichen Lebens, seine Schwäche ist gedankenlos und fahrlässig, jeder Erwerb entschlüpft der ohnmächtigen Hand, die es mit der ganzen Welt wohl meint. Undank überlebt den armseligen Mann, dieser hat von jeher das gedankenlose Wohlwollen mit Verachtung bezahlt; auch endet der Mensch diese Laufbahn so oft damit, daß er entweder ein Narr wird oder ein Menschenfeind.

Selber die Macht geht durch den Trug dieses Wohlwollens zu Grund, sie kann nicht anders, ihr Wesen ruhet auf kraftvoller Erhaltung ihrer tierischen Stellung. Auf die Liebe macht sie zwar selten Anspruch, aber ihre Neigung zur Behaglichkeit reizt sie zuweilen, nach dem Sinnengenuß des harmlosen Wohlwollens zu gelüsten, dann verdirbt sie sich selber; eben so die Ehre. Schande ist die ewige Gefährtin aller bloß tierischen Harmlosigkeit.

Johann Heinrich Pestalozzi

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